Thunfans » Spielberichte » Challenge League 2022/2023 » Bellinzona - Thun
Bellinzona - Thun 3:0
23.05.2023Challenge League 2022/2023


Es ist 3.15 Uhr in der Nacht. In Thun. Ich öffne bei meinen Eltern die Wohnungstür und versuche möglichst leise zu sein. Was für ein Wochenende… ach Nein, wir stecken noch mitten in der Woche und um 8 Uhr beginnt mein nächster Arbeitstag. Ein Ausflug ins Tessin war’s. Zum Fussball. Fussball in Anführungszeichen. Ich habe gerade einen halbstündigen Fussmarsch hinter mir. Es gibt bei mir so Uhrzeiten, an denen ich keine Nerven mehr habe, auf ein Taxi zu warten. Heimlaufen sollten heute eigentlich die FC Thun-Spieler. Eine Null-Leistung war das heute im Tessin. Torlos, chancenlos, charakterlos. Dieses Team ist wohl nicht mal fähig, mit einem 9-Millionen-Budget die 50-Punkte-Marke zu knacken in der NLB. Und wir Fans so: Schlaflos. Und überdreht wegen all dem Alkohol und Nikotin.
Weshalb tut man sich als Fan so etwas eigentlich an? Und «man», das sind heute immerhin 50 bis 60 Thunfans. Ist es purer Masochismus? Oder sucht man eine Gelegenheit, um sich trotz tristen Wetters mal wieder in Shorts und Shirt (oder Oben-Ohne) der Frauenwelt zu präsentieren? Man notiere sich: Die Wetter App von SRF ist fehleranfälliger als die Thuner Abwehr. In jedem Fall ist das Spiel Nebensache. Übrigens in beiden Fankurven. Die Bellinzona-Kurve ist wegen fehlender Lizenz und sonstigen Klubeskapaden sauer und zieht einen Stimmungsboykott durch. Die Thun-Kurve ist nach dem Verpassen sämtlicher Saisonziele so etwas von gleichgültig und zieht einen Dauersupport durch. Alles, was Spass macht, ist erlaubt. Alles, was einem Negativsupport gleich kommt, ist untersagt. Und alle im Stadion halten das so durch. Keine Ahnung, wie das möglich ist.
Die Bellinzona-Fans müssten viel und laut jubeln. In der 15. Minute schiesst Tresor Samba volley zum 1:0 ein. In der 31. Minute erhöht Souza nach einem Patzer des Thuner Mittelfeldes und einem schönen Solo auf 2:0. Das ist der Pausenstand. Und wir Thun-Fans müssten viel und laut fluchen. Es könnte 4:0 oder 5:0 stehen. Wir singen und klatschen weiter, beim «Aui abhocke» schaffen wir es mit unserem Charme, dass auch die Signora am Bierstand mitmacht. Es wäre eigentlich ein schöner Tessiner Abend, der selbst Carlo Kilchherr so verzaubert, dass er dem Frauengrüppchen neben mir eine Runde spendiert. Wäre da bloss nicht dieses Spiel. Auch ohne Oberlin (Überraschung: Er ist im besten Balotelli-Stil als verletzt gemeldet) ist Thun torlos, chancenlos, charakterlos. In der 72. Minute erzielt Thomas das 3:0.
Dann ist nach leidvollen 92 Minuten – immerhin ist die Nachspielzeit überschaubar – das Spiel endlich vorbei. Die Spieler kommen an den Zaun, wir singen ganz nett. Ich bin leicht abgelenkt, weil ich mir in grösstmöglicher Lautstärke die Blue Zoom-Übertragung von Yverdons Aufstieg und Platzsturm auf dem Handy anschaue. Das kann ich dann doch nicht lassen. Sorry, falls das den einen oder anderen Spieler irritiert haben sollte.
Es ist 22.05 Uhr am Abend. In Bellinzona. Die Rückreise wird lang sein und phasenweise mühsam. Aber nie so mühsam wie dieses Spiel. Wie diese Saison. Für mich beginnt in diesem Moment die Sommerpause.