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Bellinzona - Thun 1:3
18.11.2022Challenge League 2022/2023


Kennst DU Valmir Matoshi? Selbst wer in der Kosova-Community mittendrin statt nur dabei ist, kann nach einigem Grübeln höchstens das Modelabel von Teuta Matoshi nennen. Vielleicht hat sie ja unter dem Namen Valmir eine spezielle Halloween-Kollektion lanciert. Nun, was oder wer Valmir Meloshi ist, wird sich heute im Hexenkessel von Bellinzona klären.
Kleiner Joke am Rande, das Tessin bleibt natürlich eine Eishockeyregion, wo selbst Dorfklubs vier- bis fünfmal mehr Zuschauer anlocken als die Fussballklubs in den Städten. Auf meinem 10-Minuten-Marsch vom Bahnhof zum Stadion anderthalb Stunden vor Spielbeginn zähle ich 1 ACB-Kleber, 0 Matchplakate und 0 Fans. Beim Stadion angekommen, muss ich mich erst mal durchfragen: „Cerco i visitatori“. „Ah, stai cercando gli ospiti.“ Wie auch immer, einmal gerade aus, einmal links, dann wie bei der Resaga in Lugano an ein paar Häusern vorbei und dann bin ich beim Gästesektor. Come il primo. Weshalb in der WC-Anlage noch nicht mal das Licht läuft. Was, wie ich merke, aber nicht vom Zuschauer(an)drang abhängt. Auch als die zwei gut gefüllten Cars ihre dutzenden Fans entladen, bleibt es beim Dunkel-Lichtmodus im WC. Eine Energiesparaktion? Oder eine Vorsichtsmassnahme gegen Kleberkids? Nichts von beidem, sondern Fachkräftemangel im Ausbaugewerbe. Der herbeigeholte Elektriker kann das Lichtproblem, dass die Security mindestens so sehr nervt wie uns, nämlich nicht lösen. So lassen wir die Handys halt heute beim Pissen leuchten.
Der Sektor ist wie erwähnt gut gefüllt. Auch dank einer fröhlichen Gästeschar aus Freiburg. Wobei sie ungewollt für Unruhe sorgen. Sie wollen nämlich ein paar Erinnerungsfotos von sich und ihren Thuner Fanfreunden machen - ohne Mattängs und auch ohne Leute mit Block Süd-Schals auf dem Bild. Kaum ist das geklärt, sorgt die Fotosession an sich für Ärger. Sie geben ihr Handy einem Tessiner Security, der ein paar Fotos des Freiburger Viertels in der Kurve schiesst - und prompt mit einem Bierbecher aus den Block Süd-Reihen beschossen wird. Zielobjekt knapp verfehlt. Aber das sorgt natürlich dafür, dass ein gewisses gegenseitiges Unverständnis zwischen den unterschiedlichen Kurvenleuten bestehen bleibt. Einen Kritikpunkt kann ich aber nicht nachvollziehen: Dass der Capo zu lahme Lieder singe. Vielleicht will er ja Rücksicht nehmen auf die kaum vorhandenen Mundartkennisse der Freiburger. Vor allem aber passt er sich mit seinen austauschbaren Melodien dem Spielverlauf an. Es ist eine sehr harzige Partie in dieser ersten Halbzeit. Höhepunkt ist ein aberkanntes Tor von Bellinzona. Und ansonsten ein paar Schüsschen des Heimteams. Von Thun kommt nicht viel, Oberlin zum Beispiel setzt sein einziges Ausrufezeichen mit einer Gelben Karte. Ein typisches 0:0-Spiel, so scheint es nach 45 Minuten.
Umso überraschender all die plötzlichen Emotionen nach Wiederanpfiff, auf einmal sind Spieler und Fans warmgelaufen. In der 48. Minute fängt die heisse Phase des Spiels mit einem Eckball von Bellinzona an. Die Tessiner sind generell gefährlich auf Standards. Und so auch hier. Ball zu Pollero, Ball von ihm ins Tor. 1:0. Die Tifosi zünden Pyros. Dann in der 56. Minute ein eigentlich schon missglückter Angriff der Thuner. Bellinzona-Goalie Kiassumbua lässt den Ball aber abprallen, ein Thuner reagiert blitzschnell und schiebt zum 1:1 ein. Und wieder zündet die Bellinzona-Kurve eine Pyro, wahrscheinlich aus purer Freude an Fussballtoren. In der 61. Minute dann wieder Thun. Noch recht weit vom Tor entfernt versucht es ein Thuner mit einem Schuss. Der Ball wird abgelenkt und landet im Tor. 1:2! Schliesslich die 65. Minute. Eckball Thun, die Tessiner Abwehr zögert, ein Thuner nutzt die Gelegenheit und schiesst zum 1:3. Drei Thuner Tore in neun Minuten und irgendwie weiss niemand von uns, wer denn die drei Torschütze waren. Denn in diesen Szenen war nie ein bekanntes Gesicht am Ball. Wir googeln und murmeln und stellen schliesslich fest: Valmir Matoshi hat in neun Minuten einen lupenreinen Hattrick erzielt. Kennst DU Valmir Matoshi? Der Fan neben mir meint, dass sei der Cousin seines Trainers. Ein 19-Jähriger aus der U21, der zuvor dreimal während Spielen der 1. Mannschaft eingewechselt worden war. Alles klar, was für ein Einstand bei seinem Debüt als Startspieler. Dreifaches Aufrufezeichen!!!
Thun spielt diese geradezu sensationell erkämpfte Führung souverän über die Zeit. Bellinzona muss mehrmals den Ball ins Aus klären, wobei auch zwei Bälle bei uns in der Kurve landen. So erzählt man es sich jedenfalls. Was man sich auch erzählt, nachdem wir gemeinsam mit dem Team ausführlich den Sieg gefeiert haben und auch zwei, drei Trikots abstauben konnten: Geschichtsbewusste Fans möchten eigentlich diese Bälle als Erinnerung mit nach Hause nehmen, doch die Polizei (!) will das verhindern. Für Ball Nummer 2 drohen die Zivis sogar, in den Car hineinzukommen. Wir geben diesen Ball dann raus, damit die Situation nicht eskaliert. Und so verlassen wir drei Punkte reicher Bellinzona wieder, begleitet durch einen Polizeitöff mit viel blauem Licht und noch viel mehr Glück, als er fast einen Velofahrer rammt direkt vor uns. Bellinzona ist anscheinend vor allem auf der Strasse ein Hexenkessel.