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Schaffhausen - Thun 1:0
15.07.2022Challenge League 2022/2023


Rayonverbote haben auch ihre Vorteile. Man lernt als Stadionverbötler Fussballtreffpunkte kennen, die der brave Fan nicht auf seiner Landkarte hat. Berüchtigtes Beispiel für einen solchen Ort ist etwa Ins, das sogar auf einem T-Shirt der Thuner Kurve verewigt worden ist. Und heute trifft es Bülach. „Gibt es in Bülach ein gutes Puff?“ fragt einer der Stadionverbötler einen vermeintlichen Einheimischen im Zug. Der Logistiker möchte zwar gerne helfen, ist aber selbst nur auf der Durchreise. So geht unser Grüppchen ohne Insiderinformationen auf Bülacher Entdeckungstour. Und ich habe mal wieder eine Midlifecrisis. Ich erinnere mich daran, wie ich mit 25 einst an Auswärtsspielen Pyro zündete ohne eine zweijährige Stadionsperre zu kassieren. Wie das? Pyrorauch wurde damals Anfang der 00er-Jahre in den Schweizer Stadien ganz einfach noch geduldet.
In einem modernen Hochsicherheitsgefängnis wie dem Schaffhauser Stadion ist das natürlich nicht möglich. 1200 Leute wollen hier gemäss offiziellen Zahlen trotzdem einen heissen, aber rauchfreien Fussballabend verbringen. Na ja, in der Realität sind es eher 500 bis 600 Zuschauer, darunter gegen 100 Thunfans und 1 Auefan. Der Erzgebirgler hat als Einziger in der Fankurve das richtige Outfit mitgebracht, denn sein lila Aue-Dress hat heute tupfgenau die gleiche Farbe wie das Thuner Auswärtsdress. Ob er sich deshalb so stark mit den Berner Oberländern identifiziert und sie die ganze Zeit kritisiert? „Ich bin auch Trainer! Ich würde das Spielsystem ändern!“ So genau blicken wir Thuner nach der langen süffigen Anfahrt nicht mehr durch. Wir würden salopp die Tatsache ändern, dass jeder Angriff von Mattäng (der Spieler mit der Nummer 9 ist gemeint) und Touré versandet. Die beste Chance hat denn auch Bertone bei seinem starken Comeback. Er knallt in der 40. Minute einen wuchtigen Freistoss an die Latte. Dafür gefällt die Verteidigung. Mit Lüchinger stehen die Thuner hinten so sicher wie lange nicht mehr, die Zeiten der Partien mit drei bis fünf Gegentreffern sollten nun endlich vorbei sein. Nur zu Null spielen die Thuner halt doch nicht. In der 45. Minute agiert Bobadilla in der Sommerhitze eiskalt und verwertet eine Eckballflanke zum 1:0.
Zeit für eine Abkühlung zur Pause. Ich drücke Party-Kernen 11 Franken in die Hand, damit er als Wiedergutmachung für seine Eskapaden in den vergangenen Wochen das Bierholen übernimmt. Ob wenigstens in diesem Punkt noch Verlass ist auf ihn. Klar, am Verpflegungsstand arbeitet nur eine einzige ältere Dame, die in der Tat nur langsam vorwärts kommt und mit ihr ebenso langsam die Warteschlange. Aber wenn Party-Kernen dann nach 20 Minuten mit leeren Händen zurückkommt und erklärt, jemand vom Block Süd bringe dann später das Bier, ist das schon ziemlich schwach. Ob er mal wieder die Wahrheit frei nach seinen speziellen Oberländer Massstäben auslegt? Ich kann und will es nicht wissen. Das versprochene und von mir ja auch bezahlte Bier taucht jedenfalls nie auf. So etwas habe ich in all meinen FC Thun-Jahren noch nie erlebt und es motiviert mich ehrlich gesagt nicht zum Abokauf. Wir schicken dann in der 78. Minute jemand anderes zum Bier holen.
Da steht es immer noch 1:0. Thun drückt immer stärker und hält das Tempo auch nach mehreren Wechseln hoch. Ein gutes Spiel, das auch Schiedsrichter - aufgepasst auf seinen edlen Namen - Johannes von Manndach zu Gefallen scheint. Er gewährt den Thunern gleich vier Nachspielminuten. Und die Gäste kommen tatsächlich noch einmal zu einer Topchance. Freistoss von Bertone, wuchtiger Schuss von Bertone, der an den Pfosten knallt. Bald folgt der Abpfiff, Thun hat mal wieder gegen Schaffhausen verloren.
Und auch ich bin irgendwie Verlierer des Spiels. Mit Bier und mir wird das heute nichts mehr. Ich freue mich auf meine Schlössli-Dose, die ich vor dem Stadion deponiert habe. Doch dann sehe ich wie diese in hohen Bogen über den Zaun Richtung Schaffhauser Fans fliegt und gleich noch weitere Male unter lautem Geschrei hin und her. Die Stimmung ist angespannt. Nicht nur bei mir wegen meinem Durst. Die Fahrt von Herblingen nach Schaffhausen in der völlig überfüllten S-Bahn und so ganz ohne getrennte Fanlager ist unangenehm. Schaffhauser Fans provozieren mit Sprüchen. Und was ein „Scheiss Winti“-Lied in dieser Situation soll, wird mir auch nicht klar. Und dann gibt es in unseren Reihen Maulhelden wie Party-Kernen: „Ich will einen Schal rupfen. Oder ich klaue dem Polizisten den Pfefferspray.“ Ja, mindestens drei Polizisten reisen in dem Getümmel auch mit. Ich sage noch so zum überhitzten Party-Kernen: „Als ob du das schaffen würdest. Der Polizist ist kurz davor, seinen Pfefferspray einzusetzen.“ Und ich erinnere mich zurück an jene Rückfahrt von Schaffhausen, die noch übler war.
Ich versetze mich zurück in die Vergangenheit und zwar ins Jahr 2006: „Als der Zug einfährt, vermummen sich vielleicht 5 Schaffhausenfans und steigen auch ein. Den Durchgang zur 2. Klasse blockieren sie, sie wollen sichtlich Streit bzw. einen Schal, was auf das Gleiche hinausläuft. Als sie jedoch weder einen Schal erobern können, noch sonst wie beachtet wurden, lassen sie uns im Speisewagen ruhig sitzen. Ruhig laufen sie an uns vorbei Richtung 1. Klasse. Doch dann die Überraschung: Plötzlich werfen sie eine Rauchbombe in den Speisewagen - glauben wir jedenfalls. In Wahrheit haben sie sich zwei Feuerlöscher geschappt und verhüllen damit den ganzen Speisewegen in weissem Nebel. Schliesslich rennen sie vor uns durch und versperren uns den Weg. Und so stehen wir im "Rauch": 4 weibliche und 3 männliche Thunfans. Brennt echt toll in den Augen…“
Zurück in die Gegenwart. 2022 hält unser Zug in Schaffhausen. Die Türen gehen auf und es knallt. Erst fliegen Sonnenbrillen übers Perron, dann zischt eine grosse Wolke Pfefferspray durch die beiden Fangruppen. Und so erlebe ich meinen inzwischen fünften (!) Polizeieinsatz an einem Thuner Auswärtsspiel gegen Schaffhausen. Ich frage mich: Sollte man am Bahnhof Schaffhausen nun eher die Rayonverbote von gewissen Thunfans oder die IQ-Verbote von gewissen Bierkurve-Leuten rückgängig machen? Ich glaube, das nächste Mal bleibe ich auch in Bülach und suche mir dort eine Layla.