Thunfans » Spielberichte » Testspiele 2000 bis 2023 » Thun - Lausanne
Thun - Lausanne 0:1
09.07.2022Testspiele 2000 bis 2023


Testspiele sind bekannt für ihre besondere Fussballatmosphäre. Statt Ultras-Pflichttermine wie all die Wettbewerbsspiele sind sie ganz einfach bunte Farbtupfer mit Groundhopping-Glücksgefühlen. Und so überlässt der Block Süd auch schon mal wie heute das Terrain einer anderen lauten Fussballgruppierung: Zur heutigen gemeinsamen Auswärtsfahrt laden die Fussballfreunde Thun Steiner ein. So lautet auch die Anschrift im Zug von Thun nach Spiez. Auf den reservierten Plätzen sind lauter Rentner und Mattäng. Haben der Fachkräftemangel und die Überalterung nun auch die Thuner Fanszene erreicht? Jein. Nach dem Umsteigen in Spiez schaffen es auch noch die rund 50 anderen Thunfans Seite an Seite mit Mattäng in den richtigen Wagen. Nur lässt die Musikwahl schon ein gewisses Nachwuchsproblem erahnen. Auf der ganzen Fahrt durchs Oberland läuft nämlich 90er-Sound von Haddaway, Rednex, La Bouche oder La la la ATC. Mattäng fühlt sich wieder jung - bis er sich mit seinem Sitznachbar über jenes Spiel von 2005 in Kiew austauscht. „2005? Cool, das ist mein Jahrgang!“ Und ist vermutlich auch der Jahrgang der aufgeweckten Girls, die immer wieder Papierflieger herumschmeissen. Eine junge Dame erinnert Mattäng nicht nur wegen ihrer Falttechnik an eine Schulkollegin aus den 90ern in Thun. Das ist doch nicht etwa ihre... idealer Zeitpunkt für einen grossen Schluck Moretti.
Schliesslich sind wir in Gstaad. Gstaad!? Der Fussballmatch ist doch in Saanen. Doch die Fussballfreunde Steiner, die absichtlich drei Stunden zusätzliche Reisezeit eingeplant haben, werden hier nun zu Volkeyballfreunden. Im Sponsorendorf des Beachvolleyballturniers lässt sich eine andere Sportwelt entdecken. Coole Community, auch wenn Gratisgeschenke wie Fischerhüte, Sonnenbrillen, Aufkleb-Tattoos und (ein echtes Angebot des BEKB-Stands) leere Bierbecher halt so gar nicht auf die Bedürfnisse von Fussballfreunden zugeschnitten sind. Und überhaupt sind wir irgendwie alle overdressed, also auch bereits in knielangen Shorts und T-Shirts. Womit ich nichts gegen die VBC Thun-Spielerin und ihre Mitsporterinnen gesagt haben will, jede Sportart hat halt ihren eigenen Kleiderknigge.
Beim Anblick der halbnackten Menschenmassen tauschen wir uns logischerweise über das naheliegende Thema schlechthin aus: den Gesundheitsschutz. Während die einen von uns auf Sonnencreme mit Schutzfaktor 50 setzen (in den 90er-Jahren gab es noch Schutzfaktor 15 in den Läden, erinnert sich Greis Mattäng), sprechen die anderen von ihrer Corona-Impfung Nummer 4. Ob’s mehr am Impfarm oder am Alkkopf liegt, dass zweite Gruppe ihre WhatsApp-Nachrichten im Laufe des Tages immer langsamer tippt, lassen wir hier mal offen. In einer Frage sich dann alle Gesundheitsfanatiker - und auch die Kettenraucher - wieder einig: Es gilt vor der Weiterreise noch unbedingt das Bahnhofsschild Gstaad vom Mob durch den Mob bis auf den letzten Zentimeter zu überkleben.
Schliesslich erreichen die Fussballfreunde vier Stunden nach Abfahrt in Thun Saanen. Und machen unerwartet laut Stimmung. Alles bleibt friedlich, trotz mehreren Lausanne-Fans. Das einzige Wortgefecht gibt es, als ein Traktor den 100-Meter-Fanmarsch kreuzt. Erkenntnis: Vorsicht Städter, wir haben gefährlich viele Bauernsöhne in unserer Kurve.
Ja und dann ist da das Spiel selber. Nach einer Viertelstunde ist klar: Ein 3:3-Torfestival wie in Heimberg wird das hier nicht. Zu defensiv sind die Teams eingestellt, auf Thuner Seite gefällt hinten Testspieler Lüchinger. Hingegen verliert Hefti an der Seite etliche Laufduelle, was die Thuner Offensivchancen schwächt. Ein überhartes Spiel wie in Oberdiessbach wird das hier auch nicht. Wenige Tage vor Saisonstart gehen die Teams nicht mehr voll in die Zweikämpfe. Einige Fouls gibts es zwar. Aber wenn hier insbesondere die Frauen am Spielfeldrand öfters aufschreien und gegen Spieler motzen, liegt dass zu einem grossen Teil an jenen Frauen, die mit Selina auf Poltertour sind. „Ich bin zum ersten Mal an einem Spiel“, meint ihre „Poltertante“ und poltert mit Schreien wie „Hey Thuner“ lautstark weiter.
Nur Gelegenheit zum Torjubel hat lange niemand. Lausanne steht dem Tor zwar mit einem Pfostenschuss, einem Lattenknaller und mehreren Eckbällen (Pfeifkonzert der Fussballfreunde inbegriffen) näher, doch deutet alles auf ein 0:0 hin. Bis zu jenem Weitschuss in der 88. Minute: Custodio schiesst zum 0:1 ein. Das sind die bitteren Fussballmomente. Vor allem wenn sich der Fussballausflug allein dadurch verlängert, dass der Zug mit den reservierten Wagen gemäss Fahrplan exakt 60 Minuten nach Abpfiff am benachbarten Bahnhof abfährt - in Echtzeit sind es dann sogar 70 Minuten, in denen wir noch im wahrsten Sinne in der heissen Sommersonne von Saanen herumhängen. Dort, wo das Chnoblibrot 5 Franken kostet, die Bratwurst aber 8 und gefühlt im 5-Minuten-Takt Gratis-Pommes-Frittes herumgereicht werden. Und dort, wo es Mattäng trotz all der Entschleunigung noch schafft, all seine Sachen vor dem Klubhaus liegen zu lassen und beim Last-Minute-Spurt zurück am Fundort vom heiligen Gerber gecheckt wird. Unabsichtlich!
Alles in allem ein fussballtastischer Ausflug. Und auch wenn einige von uns hin und wieder von Motivationsschwierigkeiten und Fussball-Burnouts wegen dem FC Thun geplagt werden, Fusdballfreunde bleiben wir sicher - ob Jahrgang 2005 oder Jahrgang (Zensur aus TindergrĂĽnden).