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Thun - Be'er Sheva 2:1
23.07.2015Europa League 2015/2016


Es ist der wahr gewordene Albtraum des thunfans.ch-Teams: Da sind wir immer auf der Suche nach Skandalen auf und neben dem Platz – und vor allem in den Hotelzimmern der Fans – und dann führt Vaduz im fernen Estland tatsächlich gegen Nomme Kalju Tallinn bereits 2:0, als in Thun das Spiel noch nicht mal begonnen hat. Unsere Spieler stehen zwar schon seit 19.25 Uhr auf dem Rasen herum, doch das auch nur, weil die englischen Schiedsrichter die beiden Teams fünf Minuten zu früh aus den Garderoben abgeführt haben. Wahrscheinlich haben sich die vier Herren Mister Craig Pawson, Mister John Brooks, Mister Lee Betts und Mister Jonathan Moss um diese Zeit zur Tea Time an der Seitenlinie verabredet. Bleibt also Zeit für Spieler und Fans, sich schon ein wenig auf den übernächsten Gegner zu konzentrieren. Denn diese Wüstenjungs aus Be’er Scheva schlagen wir ja Zuhause locker.
Wenn also Nomme Kalju – nicht verwandt mit Alo Kaste – in der Schlussviertelstunde nicht fünf Tore schiesst, geht’s in der nächsten Europacuprunde nach Liechtenstein. Also in ein Land, das man schneller durchquert hat als die israelische Zollkontrolle. In ein Dorf, in dem sich wohl niemand für eine mehrtägige Beizentour begeistern lässt. Okay, Bühler darf man nie unterschätzen. Und eine elektrische Zahnbürste nimmt erst recht niemand mit nach Vaduz.
Nicht einmal finanziell ist das Los ein Lottogewinn. Die Auswärtsfahrt ist zwar für das Team (sicher) und für die Fans (für diejenigen der Gruppe Istanbul vielleicht) billiger. Dafür werden die Zuschauereinnahmen sicher einbrechen. Glaubt zum Beispiel wirklich jemand, dass Vaduz ebenfalls weit über 50 Fans mitbringt wie heute Be’er Scheva?
Ein gemütlicher Abend wird das hier werden, nur ab zu leicht gestört durch laute Gesänge der Be’er Scheva-Fans. Schau, da tritt Rojas einen Eckball. Schau, da steht Rapp in idealer Position – oh, schade Offside. Und schau, da schiesst Frontino einen Freistoss. Wie viel ist erst gespielt, fünf Min…? Was ist, Frontino hat gerade den Ball verloren? Kann diese Nummer 5 von Be’er Scheva, die jetzt den Ball hat, etwas? Der schiesst ja… oh verdammt, das 0:1, erzielt aus 30 oder gar 40 Metern Distanz. Was für ein Treffer von John Ugochukwu Ogu. Und was für ein Bock von Faivre, der sich einfach so hat überraschen lassen. Und so liegt Thun nach sechs Minuten tatsächlich mal wieder zurück.
Ja, Thuns Fussballspiel ist wieder mal nicht schön anzusehen. Und doch schauen wir insofern gerne ihn, dass die Spieler auch heute wieder kämpfen und alles geben. Kein Zweikampf wird ausgelassen und sei der Ball noch so weit vom Tor entfernt. Und das zahlt sich schnell aus: In der 19. Minute kann Rapp im Mittelfeld nur mit einem Ellbogenschlag ins Gesicht gestoppt werden. Das hat nichts mit einem taktischen Foul zu tun, sondern ist eine klare Tätlichkeit. Zum Glück kennt das englische Schiedsrichtergespann die Fussballregeln besser als vor einer Woche die Belgier. Mister Craig Pawson zeigt der Nummer 5 von Be’er Scheva, Shir Tzedek, die Rote Karte. Grosser Jubel im Stadion, grosses Entsetzen bei den Israeli. Hoffentlich spricht es sich jetzt nicht herum, was passiert ist, als letztmals in einem Thuner Europacupspiel ein Gegenspieler früh (damals war es in der 17. Minute) vom Platz geflogen ist.
Thun drückt nun noch mehr. Nach rund einer halben Stunde schwindet bereits bei den ersten Be’er-Scheva-Spielern die Kraft. In der 36. Minute spielt Thun geradezu Powerplay. Erst köpfelt Frontino den Ball an die Latte, dann schiesst Wittwer knapp am Tor vorbei. Und dann ist da auch noch Ferreira: In der 40. Minute versucht er aus wenigen Metern sein Glück – und trifft! 1:1. Ein gemütlicher Abend wird das hier werden.
Das Internet ist schon eine verfluchte Erfindung. Klar kann man sich im heiligen WWW informieren, ob Nomme Kalju tatsächlich noch fünf Tore geschossen hat. Sie haben es nicht, wie auch der Speaker erwähnt – und behauptet, die meisten von uns hätten das wohl schon im Blick gelesen. Wo im Blick? In der «Mein Traum»-Rubrik auf Seite 1? Aber im Internet kann man eben auch recherchieren, wie gut Thun in Überzahl spielt. Und siehe da: Am 7. November 2013 spielte Thun im Europacup ab der 17. Minute in Überzahl und hat dennoch 0:2 verloren. Und genauso wie damals Dynamo Kiew sucht nun nach Wiederanpfiff auch Be’er Scheva mit aller Kraft den zweiten Treffer. Radi schiesst ein erstes Mal! Radi schiesst ein zweites Mal!! Radi hat zum dritten Mal eine Topchance!!! Und dann schiesst in der 55. Minute auch noch Hoban gefährlich aufs Tor. Es ist Faivre zu verdanken, dass Thun in dieser Phase nicht den Ausgleich kassiert. Und es kommt noch schlimmer: In der 60. Minute will Glarner an der Seitenlinie unbedingt den Ball im Spiel halten und verletzt sich dabei ohne Zutun des Gegners am Fuss.
Und als wäre das alles noch nicht genug, schiesst Thun in der 69. Minute ein Tor, das gar nicht zählt. Der Lattenknaller von Rapp landet ziemlich sicher hinter der Linie. Doch Mister Craig Pawson ist sich ziemlich sicher, dass er nicht für ein Wembley-Tor bekannt werden will. Und so lässt er das Spiel einfach weiter laufen. Ja haben sich diese Saison denn alle Fussballgötter gegen Thun verschworen!?
Doch dann fasst Ferreira nochmals Mut. Er visiert die linke untere Torecke an, zielt – und trifft in der 72. Minute zum 2:1. Freudentaumel unter den 4000 Zuschauern.
Wenn Thun nun keinen Treffer mehr erhält, können wir mit den Vaduz-Vorbereitungen fortfahren. Und bis zur 90. Minute lässt sich Faivre tatsächlich kein zweites Mal bezwingen. Nur eben: erst haben die Be’er Scheva-Spieler auf Zeitspiel gesetzt, jetzt tun es ihnen die Thun-Spieler gleich. Was bei einem englischen Schiedsrichter gleichbedeutend ist mit einer langen Nachspielzeit. Nachdem das Spiel nun sehr zäh und von vielen Unterbrüchen geprägt ist, können wir froh sein, dass statt 7 oder 9 nur 5 Nachspielminuten angezeigt werden.
In der Nachspielzeit hat Be’er Scheva noch einmal einen Eckball. Und auch einen Freistoss aus guter Distanz. Die Schlussphase ist nochmals voller Schreckmomente. Doch dann ist Schluss, Thun ist eine Runde weiter. Wir singen vom «Europapokal, Europokal…» Ein gemütlicher Abend wird das hier werden.
Die Thunspieler bedanken bei den Fans auf der Gegentribüne. Die Thunspieler bedanken bei den Fans auf der Haupttribüne. Und die Thunspieler zeigen ihre Mentalita Ultrà. Der Block Süd wird von ihnen nämlich ignoriert. Konsequent. Selbst Doppeltorschütze Ferreira macht seine Welle nur aus einer «0:1-Distanz». Ein paar enttäuschte Fans singen «wir sind Thuner, was seid ihr». Nun ja, mit ihrer Launenhaftigkeit und Sturheit sind uns die Spieler ziemlich ähnlich. Und sind wir ehrlich: wer dieses Spiel gesehen hat, ahnt, dass es diese Saison für die Spieler nicht allzu viele Gelegenheiten geben wird, um sich nach einem Sieg zu zeigen, dass sie sich nicht jede Art von Kritik gefallen lassen wollen. Denn eines ist ja wohl klar: Bei Niederlagen gehört das Team vor die Kurve! Und wenn’s schon gegen Vaduz sein muss.