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Aarau - Thun 3:2
29.05.2015Super League 2014/2015


Selten hat ein Plakat direkt vor dem Stadioneingang mehr Sinn gemacht: „Wir machen Karriere auf dem Bau“ erklären uns drei junge Männer mit Helm und werben für bauberufe.ch. Bedarf für Baufachkräfte besteht hier nämlich direkt vor Ort. Der FCA hat es immer noch nicht geschafft, einen zumutbaren Gästesektorzugang zu bauen. (Von einem neuen Stadion ganz zu schweigen). Und so stehen wir wieder einmal in Einerkolonne an mit einer Wartezeit wie an Pfingsten vor dem Gotthard. Aber man hat ja sonst nichts zu tun an einem Freitagabend.
Noch nerviger wird’s, wenn man vor dem Gästesektor abgewiesen wird. Nicht etwa, weil man ein Stadionverbot hat, sondern einen Schiedsrichterausweis. Nun sind Schiedsrichter tatsächlich nicht jene Randgruppe, die überall gern gesehen ist. Aber es ist schon verwunderlich, warum ausgerechnet der FC Aarau gleich vier Thunern mit SFV-Ausweis keine Tickets für den Gästesektor zur Verfügung stellen will. Stattdessen weibelt ein FCA-Funktionär mit schwulstigen Worten dafür, dass sich unsere vier Schiedsrichterkameraden doch das Spiel im FCA-Sektor ansehen sollen. Klar, in voller Thunmontur bei einem Hochrisikospiel. Man könnte meinen, der FC Aarau würde direkt um Ausschreitungen bzw. um (rotweiss)fadenscheinige Ausreden dafür betteln. Wie Gastfreundlichkeit wirklich funktioniert, zeigt dagegen (um nur ein Beispiel zu nennen) jeweils der FC Luzern, der bereits auf seiner Homepage klar deklariert: „Der Inhaber eines gültigen, roten SFV-Ausweises erhält eine Freikarte für einen Stehplatz wahlweise auf der Tribüne B3 (FCL-Fans) oder im Gastsektor C6 (es steht nur eine beschränkte Anzahl Stehplätze zur Verfügung)“. Manche Vereine sind halt NLA-tauglich, andere sind es nicht.
Als ich endlich im Stadion bin, ist der Ball bereits im Spiel. Und wenig später vermeldet der Teletext bereits das 1:0 für Aarau. Es wird nicht die einzige Fehlinformation dieses Abends bleiben. Wobei später Fernsehbilder zeigen werden, dass in jener Szene, in der Faivre auf der Linie gegen Wieser klärt, man den Ball durchaus hätte hinter der Linien sehen können. Doch Schiedsrichter Hänni gehört nicht dazu. Dagegen stimmt eine Meldung aus Zürich: GC führt seit der dritten Minute 0:1. Die Thuner Chancen auf Platz 3 stehen nun wirklich gut.
Das ändert sich aber in der 12. Minute, in der Aarau bereits zur dritten Chance kommt (der Lesbarkeit dieses Matchberichts zuliebe wollen wir hier mal nicht alle auflisten): Flanke von Jaggy, Schuss von Senger – 1:0. Zugleich gleicht im Letzigrund Schneuwly für den FCZ aus. Ich weiss nicht, wie die Südkurve jenes Tor feiert. In Aarau jedenfalls wird der Führungstreffer mit einem ordentlichen Feuerwerk aus der Kurve gefeiert. „Ja wollt ihr nächste Saison keine NLA-Spiele mehr sehen!?“ rufen wir den FCA-Fans in Andeutung auf die drohenden Stadionverbote zu.
Bei Thun holt sich Rojas zwar keine Rauchvergiftung, muss aber nach nur 13 Minuten dennoch verletzt raus. Ein unschön früher Abschied eines Spielers, der zu den technisch besten Ballkünstlern zählte, die Thun je hatte. Ob er deshalb immer irgendwie ein (spielerischer) Fremdkörper im Team blieb? Der Gegensatz bei der Auswechslung könnte jedenfalls nicht grösser sein: Für Rojas kommt Munsy. Derweil geht GC 1:2 in Führung.
Die Thuner haben durchaus ihre Chancen, allen voran Sadik und Hediger. Doch keine Aktion ist wirklich zwingend. Weit abgebrühter vor dem Tor sind dagegen Chermiti (2:2 FCZ) und Sadiku (2:3 GC). In Zürich muss wirklich was los sein. Hier in Aarau stellt sich Hänni gegen ein mögliches Tor. In der 32. Minute nimmt ein Aarauer bei einer Abwehraktion klar die Hand zu Hilfe. Das kann nur Penalty sein. Doch Hänni lässt einfach weiterlaufen. Und aus dem Spiel heraus tun sich Thun heute nun mal seltsam schwer.
Aarau führt zur Pause 1:0. Wir haben uns schon längst in den drei langen Schlangen vor dem Verpflegungsstand eingereiht, als bereits wieder eine Nachricht aus Zürich eintrifft. GC hat in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit zum 3:3 ausgeglichen. Bei jenem Tempo dort und bei jenem Tempo hier in Aarau wird eines der beiden Zürcher Team wohl bereits ein Stängeli bejubeln können, ehe wir hier unsere Bratwurst oder unser Bier bekommen.
Den meisten von uns reicht es dann aber doch auf die zweite Halbzeit zurück auf die Zuschauerrampe. Wieder ist es der FC Aarau, der uns ein Spektakel bietet. Die gelungene Pyroaktion, die dann in rotweissen Rauch übergeht, ist definitiv eine Augenweide. Wie wärs, Pyroaktionen nach 21 Uhr zu legalisieren? Um diese Uhrzeit sind die Kinder ja bereits alle im Bett. Ich scherze mit Dave, ob er nicht rasch in den Heimsektor rüber gehen kann, um uns ein wenig Pyros zu besorgen. Was aber unnötig ist. Wenige Minuten später rauchen auch im Thunsektor die Köpfe. Und nicht nur die. Anlass für das Feuerchen in der 53. Minute ist das 1:1, das Munsy (herrliches Tackling!) und Karlen herausgespielt haben. Wir Thuner schöpfen wieder Hoffnung – und müssen mitansehen, wie Senger in der 55. Minute bereits wieder in Führung geht. Faivre leistet sich dabei einer seiner grössten Flops der Saison, in dem er daneben fasst. Vielleicht hätte Leite doch ein Abschiedsspiel verdient gehabt.
In der 74. Minute kommt es dann ganz knüppeldick. Einerseits scheibt Radice im Brügglifeld den Ball zum 3:1 über die Linie, andererseits schiesst im Letzigrund Chermiti zum 4:3 ein. Thun droht nun der Absturz auf den vierten Platz. Nun ja, Absturz ist wohl zu hoch bzw. zu tief gegriffen. Aber ein gewisser Frust macht sich schon breit. In der Schlussphase der letzten Saison hat es Thun in drei Anläufen nicht geschafft, sich den fünften Platz zu sichern. Und nun droht Thun tatsächlich mit drei sieglosen Spielen in Serie den dritten Platz zu verspielen. Passt bloss auf, dass wir demnächst nicht eine Oberländer Übersetzung für den Fussballfachbegriff veryoungboysen auftüfteln müssen.
Hektisch wird’s dann in der Schlussphase. Interessant, wie der Sportal-Liveticker-Schreiberling orakeklt: „Nun zünden auch die Thuner "Fans" hinter dem Tor noch Feuerwerk und sorgen so für einen längeren Spielunterbruch! Das muss nun echt nicht sein!“ Was er nicht bemerkt oder allenfalls bewusst verschweigt: Das Spiel muss unterbrochen werden, weil zwei oder drei FCA-Fans aufs Feld stürmen und Richtung Gästesektor wollen. Der Fahnenklau glückt zwar nicht, aber die Atmosphäre im Stadion wird durch diese Aktion mehr vergiftet als durch jede Leuchtdings an diesem Abend.
Obwohl Thun der sicheren Niederlage entgegen geht, jubelt die Thuner Kurve dann plötzlich doch noch: Nicht etwa als Karlen in der 87. Minute den 3:2-Anschlusstreffer erzielt, sondern als jemand aus dem oberen Bereich der Kurve nach 90 Minuten lauthals „4:4“ in die Runde schreit. Die Kurve explodiert förmlich vor Freude und singt den „Europapokal Europapokal“-Schlachtruf lauter denn je. Derweil steht es im Letzigrund 4:3.
Heute Abend gewinnt Aarau. Und heute Abend gewinnt der FCZ. Wenn nach dem Abpfiff die traurigen Gesichter überwiegen, hängt das aber weniger mit der (vermeintlich) verpasten Europa League-Gruppenphase zusammen, sondern mit dem emotionalen Abschied von Sadik. Viele von uns reichen ihm die Hand durch den Zaun. Dass ich diese Szene bloss von weitem verfolge, hat nichts mit einer allfälligen Skepsis gegenüber Sadik zu tun. Ich will einfach nicht noch mehr Finger in Aarau verlieren bzw. aufschlitzen. Und wenn ich die Sonnenbrille aufsetze, will ich damit nicht etwa Tränen verstecken. Es wird ganz einfach noch etwas gefeiert auf dem Weg an den Bahnhof. Und da kann es manchmal ganz schön hell werden. Hinausbegleitet werden wir durch Helene Fischer, die über die Lautsprecheranlage singt: „Atemlos durch Europa...“ In diesem Sinne auf Wiedersehen in der Saison 2015/2016.