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Thun - YB 0:0
01.03.2015Super League 2014/2015


Heute kommt sie endlich wieder zum Zug, die Siegenthalersche (De)Eskalationsskala. Da das Leitbild der Stadt Thun kürzlich um die Regel «Bitte nur im Jodlerklub Singen und Fahnen schwingen» ergänzt worden ist, ist heute im YB-Sektor alles verboten, was eine Fanszene ausmacht – inklusive Schwenkfahnen, Zaunfahnen und die besonders gefährlichen CHOReinlagen, bei denen jeweils ganz primitiv mit dicken Adamsäpfeln provoziert wird. Dass dennoch hunderte YB-Fans in die Arena kommen, kann nur als Entwicklungshilfe für einen finanziell angeschlagenen Verein verstanden werden. Ja, es soll doch tatsächlich Gelbschwarze geben, die trotz allem Derbyhass immer noch mehr Tröpfchen Herzblut für den FCT haben als der Thuner Polizeichef höchstpersönlich.
Doch Siegenthaler ist mächtig, sehr mächtig sogar. Zwar hat die Thuner Kurve zu Spielbeginn einen viertelstündigen Stimmungsboykott angesetzt, der aber durch eine laute Huldigung an den ehrenwerten Siegenthaler durchbrochen wird. Als in gelb-schwarze Kleider gehüllte Siegenthaler-Jünger einen lauten musikalischen Gruss Richtung Polizeichef anstimmen, können viele Thunfans nicht anders, als sich dem Sprechgesang anzuschliessen. Und so hallen die Siegenthaler-Rufe minutenlang durch die Arena. Es ist eine Geisterbeschwörung, die sich während diesem Spiel noch weitere dreimal abspielen wird.
Es müssen für Siegenthaler allen Chorverboten zum Trotz schöne Momente sein, so sehr im Mittelpunkt zu stehen. Ich weiss ehrlich gesagt nicht mal, welcher Topshot an meinem Wohnort für die Abteilung Sicherheit verantwortlich ist. Siegenthaler dagegen ist jetzt schon eine Politik-, Polizei- und Fussballlegende, wie es selbst ein gewisser Nause nie werden wird. Weiter so! Aber wäre nicht vielleicht doch der Zeitpunkt für Siegenthaler gekommen, vom grossen Spielfeld der Politik abzutreten. Schliesslich wird im Matchprogramm selbst Schirinzi mit der Altersfrage konfrontiert: «Du hast im November deinen 30. Geburtstag gefeiert. Hast du Mühe mit dem Älterwerden?» Oder gibt es andere Gründe, sich so sehr daran zu stören, dass so ein Fussballstadion auch in Thun der grösste Jugendtreff der Stadt ist.
Als nach einer Viertelstunde der Stimmungsboykott definitiv von Konfettikanonen weggeblasen wird (droht deswegen die nächste Anpassung des Thuner Leitbilds?), beginnt ein schön kurzweiliger Arena-Nachmittag. Thun hält in einer attraktiven ersten Halbzeit mit YB gut mit, wobei die ganz dicken Chancen die Gäste haben. Erst trifft Kubo aus dem Spiel heraus den Pfosten, dann auch noch Rochat nach einem Eckball. Faivre wäre beide Male geschlagen gewesen. Für die Thuner Offensivkräfte rund um Sadik und Karlen heisst die Endstation dagegen stets Movogo. Das 0:0-Pausenresultat ist die logische Folge.
In der zweiten Halbzeit flacht das Spiel zunehmend ab. Beide Teams scheinen die englische Woche nun in Kopf und Füssen zu spüren. Schliesslich musste YB gegen Everton spielen – und Thun gegen das einstige tschetschenische Spitzenteam Xamax. Da ist es verständlich, dass man als Spieler manchmal ein paar Schritte zu spät kommt und/oder auf die dumme Idee kommt, den Gegenspieler einfach mal umzumähen. Hierbei sticht vor allem der Schafsecku heraus. Es wird immer Jaccottets Geheimnis bleiben, weshalb mit Hediger, Sadik, Rochat, Nicola Sutter, Gajic, von Bergen und Rojas gleich sieben Spieler Gelb sehen, aber ausgerechnet der durchspielende Schafsecku ungeschoren davon kommt. Wir Thunfans üben uns deshalb bald einmal in Selbstjustiz und pfeifen Schafsecku bei jedem Ballkontakt aus. Worauf Uli Forte sogleich Sämi Afum auf Spielfeld schickt. Wahrscheinlich will er testen, ob wir ernsthaft ein Problem mit Schafsecku haben oder ob wir nur Rassisten sind. Zum Glück trifft Zweites nicht zu. Akustisches Highlight ist dann aber in der Thun-Kurve ein Schlachtruf, der gar nicht erst angestimmt wird: Könnte es tatsächlich sein, dass im Jahr 2015 auch in Thun endlich homophobe Gesänge out sind?
Für das optische Highlight ist derweil die YB-Kurve besorgt: Die YB-Viertelstunde wird mit Pyros gefeiert, wobei auch sie umgehend zur Selbstjustiz greifen (oder ist es eher Selbstzensur?) und die frech und grell leuchtenden Pyros umgehend verschwinden lassen – hinter einer dicken schwarzen Rauchwolke. Nicht mehr zu sehen ist dadurch auch die meterlange Zaunfahne, die mittlerweile vor dem YB-Block hängt. Nähen eigentlich die Young Boys und Young Girls wirklich so schnell Stoffstücke zusammen (was für den Lehrplan 21 sprechen würde) oder hat da etwa jemand eine ganze Zaunfahne ins Stadion geschmuggelt (was doch stark gegen die Siegenthalersche (De)Eskalationsskala sprechen würde)?
Da das Spiel rauchbedingt kurz unterbrochen werden muss, beträgt die Nachspielzeit ganze fünf Minuten. Viel mehr als der siebte ungefährliche Thuner Eckball schaut dabei aber nicht mehr heraus. Das Spiel endet 0:0. Passt irgendwie, hätte der heutige Fussballtag in Thun doch angesichts der Siegenthalerschen (De)Eskalationsskala auch keinen Gewinner verdient gehabt.