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St. Gallen - Thun 1:0
02.11.2014Super League 2014/2015


Wiedersehen macht Freude. Besonders im wilden Osten, wo man sich dank Trinkritualen schnell mal näher kommt. Umso überraschter sind wir, als uns der Buseinweiser in Gossau darauf hinweist, dass man im vermeintlichen Wodkaschlitten gar nicht Trinken darf. Zwei, drei nette Worte später einigen wir uns aber darauf, dass dieses Piktogramm bei der Bustüre hier doch auch nur eine wenig beachtete Soll-Vorschrift wie das Sprechen mit einem angenehmen Dialekt oder das Fussballspielen mit Blick aufs gegnerische Tor statt aufs gegnerische Schienbein. Dass wir unseren Mitpassagieren während der Fahrt einen ordentlichen Schrecken einjagen, liegt dann aber nicht an unserem Bierdosengeklapper, sondern am plötzlichen Ausstossen von wilden Schreien, die wohl selbst im fernen Sibirien noch für Angstschübe sorgen würden. «Fadoz, Fadoz!» schreien wir. Wir bejubeln damit ein Tor im fernen Bern. Und fürchten gleichzeitig irgendwie, dass dieser kurze Moment der Schadenfreude bereits der Höhepunkt der Thuner Fussballwoche sein könnte. Aaretaler Fussballkenner behaupten nämlich, dass man schon eine Trainerlegende wie Kurt Feuz plus eine FCZ-Legende wie Silvan Aegerter benötigt, um dieser Tage ein Ostschweizer Fussballteam zu besiegen.
Manchmal genügt aber schon ein Schiedsrichter, der es gut mit einem meint. Gerade mal 24 Stunden ist es her, dass ich in einer Emmentaler Metzgerei mit Ferreira und Glarner diskutiert habe, dass ein thunfreundlicherer Schiri als am Mittwoch fürs Punktesammeln sehr wichtig wäre. Und dann entscheidet Schiedsrichter Studer in der 28. Minute tatsächlich bei einem Laufduell zwischen Glarner und Everton nicht unbedingt goldrichtig, aber aus Thuner Sicht sehr treffend. In einer Szene, die mehr nach Penalty ausgesehen hat als die Strafraumszene vor dem 1:0 am Mittwoch, zeigt Studer Everton tatsächlich Schwalben-Gelb. Und damit nicht genug: Es handelt sich sogar um Schwalben-Gelb-Rot. Dabei hat Glarner Everton tatsächlich an der Schulter berührt. Entsprechend gross ist das Pfeifkonzert in der ABC Arena. Erst sind die Pfiffe gegen Studer gerichtet, dass bei praktisch jedem Ballkontakt gegen die Thuner. Boxplaystimmung wie in Rapperswil! Nur sind die Thuner gar nicht so oft am Ball, wie man es angesichts der Überzahl eigentlich erwarten könnte. Ein Schüsschen hier, ein Schüsschen da, aber eine wirkliche Torchance sehen wir in der ersten Halbzeit nicht. Da auch das dezimierte St. Gallen nicht viel fürs Spiel machen kann bzw. will, deutet in der Pause viel darauf hin, dass wir Thunfans die dritte Meisterschaftspartie in Folge nur ein 0:0 sehen könnten.
Wie schon am Mittwoch erweist es sich aber als entscheidend, welches der beiden Teams die stärkeren Ersatzleute hat. Nach rund einer Stunde bringt St. Gallen Rodriguez ins Spiel, Thun Gonzalez. Und der macht bereits nach wenigen Minuten eine äusserst schlechte Figur. Oder wie der Livetickerschreiberling seine Intervention von hinten gegen Facchinetti beschreibt: «Bei Thun verursachte der eingewechselte Gonzalez auf amateurhafte Weise den Penalty im eigenen Strafraum». Ja, es kommt in der 67. Minute tatsächlich schon zum zweiten Penaltyduell der Woche in der ABC Arena. Statt Tréand gegen Faivre, heisst es heute Rodriguez gegen Faivre. Rodriguez wählt die linke Ecke – und trifft! Im Hockey würde man von einem ärgerlichen Shorthander sprechen, im Fussball verwenden da ganz andere Fluchwörter.
Doch Vorsicht beim Fluchen. Jeder von uns schaut und hört heute nicht nur genau hin, was auf dem Rasen alles so abgeht, sondern passt auch auf, wie sich die Fans in der Kurve verhalten. Die 300 Franken-Kopfprämie für alle Untaten dieser Fussballwelt wecken schliesslich das Kollegenschwein und die Petze in uns. Rauchen trotz Rauchverbot? Ich zeige dich bei Lüthi an! Mittelfinger gegen maxende FCSG-Fan? Ich zeige dich bei Lüthi an! Bratwurstessen mit Senf? Ich zeige dich bei Lüthi an! Einer von uns (den Namen verrate ich nur Lüthi!) macht dann sogar den Vorschlag, ab sofort Spiele des FC Basel zu besuchen. Wer dort jeden Fanfehltritt ordentlich dokumentiert, wird sicher schnell zum Prämien-Millionär – nach geschätzten zwei Spielen.
Die Schlussphase ist nochmals äussert turbulent, beide Teams zeigen mal wieder, wie schwer ihnen das Toreschiessen aus dem Spiel heraus fällt. Dabei merkt man natürlich immer noch, dass die Thuner einen Mann mehr auf dem Platz haben. Doch was bringt es, wenn sie in der Nachspielzeit gleich zu viert(!) vor Goalie Herzog auftauchen, Gonzalez aus bester Abschussposition aber nur das Aussennetz trifft? Es ist zum Haareausreissen. Kleine Zwischenfrage an die St. Galler Leserschaft: So fühlt es sich jeweils sicher an, wenn Rappi minutenlang Powerplay spielt, nicht wahr? Der Schlusspfiff fühlt sich dann aber so gar nicht an wie Spielenden im Rapperswiler Kinderzoo. Hier ist nämlich eine mehr als 10 000 Mann/Frau starke Heimkurve völlig aus dem ABC Häuschen, weil das Heimteam sich auf Platz 3 festgesetzt hat. Und das mit einem Sieg in Unterzahl. Respekt.
In unseren Fanreihen ist der Frust dagegen natürlich gross. Wir applaudieren dennoch unseren Spielern, die den beiden tristen Ostschweiz-Ausflügen zum Trotz nach wie vor auf dem hervorragenden vierten Tabellenplatz liegt. Nur ein Thuner stellt sich extra in die vorderste Fanreihe und beschimpft das Team. Man könne doch nicht so verlieren und doch sicher nicht gegen St. Gallen blabla blabla blabla. Dann wird er leider von einem Broncho ins Visier genommen und verstummt ziemlich schnell. Schade eigentlich, ich habe mich doch schon auf die 300 Franken-Prämie gefreut.