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St. Gallen - Thun 2:1 n.V.
29.10.2014Schweizer Cup 2014/2015


Heute setze ich ein Zeichen. Ich stehe doch nicht einfach so beim harten Fankern. Ich bin ein eingefleischter Fan, der ganz einfach meine Bratwurst geniessen will. Schlimm genug, dass es dazu heute keinen Senf gibt. Da will ich mich nicht noch anders einschränken. Und so stehe ich zwar in der ABC Arena neben den Thunfans, aber vor allem neben einem Zaun, der mich vom Block Süd trennt. Heute rufe ich den alternativen Block B3 ins Leben. Offen für alle Zugfahrer und sonstige Zuschauer mit knappem Zeit- und Nervenbudget. Genervt bin ich nämlich nicht über irgendwelche Ultras, sondern über den FCSG. Als einzige der acht Achtelfinalpartien wurde St.Gallen-Thun erst auf 20 Uhr angesetzt. Das mag vielleicht aus «Ich bin auch ein Einkaufszentrum»-Sicht Sinn ergeben, für mich als Zugfahrer bedeutet die späte Anspielzeit, dass ich mich im Falle einer Verlängerung oder gar eines Penalytschiessens mindestens in Speedy Gonzales oder Michi Frey verwandeln muss. Sadik-Tempo reicht da nicht, den Zug in Gossau noch zu erreichen. Und erst recht nicht, wenn sich mir noch eine Security-Stammelf in den Weg stellen und mich zu einem 30-minütigen Sektorenrückhalt verknurren würde. Nein, nein, auf der anderen Seite des Zauns ist es doch viel gemütlicher. Und da ich ein Beer Native statt ein Digital Native bin, nehme ich im Block B3 gerne am Kurs Arena Card für Anfänger teil. Das Bezahlsystem habe ich einigermassen schnell im Griff, auch wenn mich die Verkäuferin wegen meiner Langsamkeit beim Geldwegometer wohl für einen Oberländer Dschungelbewohner hält, der zum ersten Mal in einer Grosstadt ist. Einzig das Bildsujet auf der Arena Card: «Meine erste Liebe» - und dann küsst einfach so eine FCSG-MILF einen jungen FCSG-Herrn. Ich weiss nicht recht, die Wurst ohne Senf liegt doch auch schon ohne solche Bilderwelten eher schwer auf dem Magen.
Ein Herr im Stadion scheint von meinem Zeitproblem zu wissen und setzt alles daran, dass Spiel zu verkürzen. Schiedsrichter Fedayi San pfeift nicht unbedingt schlecht, aber systematisch so, dass diese Partie nach 90 Minuten gelaufen sein müsste. An die Sankt Galler verteilt er fleissig Gelbe Karten – nicht alle wären wirklich nötig – dafür lässt er es selbst bei einem struben Foul von Everton an Hediger mit Gelb bewenden. Auch nur Gelb gibt’s, als Lenjani als letzter Mann Schneuwly nur mit einer Notbremse stoppen kann. Vor allem aber verteilt Fedayi San einen Penalty an die Sankt Galler – in der 20. Minute nach einem Hands von Schirinzi. War die Hand oder doch eher der Oberarm? Wars Absicht oder nicht doch eher ein dummer Zufall? Alles Jammern nützt nichts, es kommt zum Duell Tafer gegen Faivre. Tafer versenkt den Ball sicher in die rechte Ecke.
Und so führt St. Gallen 1:0. Und das lange. Dabei hätte dieser verbissen geführte Schlagabtausch auf dem Platz eigentlich alles, um zur torreichen Partie zu werden. Je nachdem, welches Team mal wieder eine glasklare Torchance auslässt, bleibt uns nur das blanke Entsetzen bzw. Staunen. Thun hätte den Ausgleich verdient. Aber auch St. Gallen hätte den Sack eigentlich schon längst zumachen sollen, als ich um Viertel vor Zehn erfahre, dass sich gerade Gottéron aus dem Eishockeycup verabschiedet hat. Thun dagegen gibt sich auch in den Schlussminuten nicht auf. Drei Minuten vor Schluss lanciert Glarner nochmals Sadik, dem mal wieder ein genauer Pass gelingt. Gonzalez bedankt sich für die präzise Vorlage, in dem er zum 1:1 einschiesst. Plötzlich ist im Stadion nichts mehr zu hören von wegen «Hier regiert der FSCG». Und ich schaue auf meine Uhr.
Es kommt zur Verlängerung. Thun hofft nun auf den zweiten Treffer, macht aber leider vor allem aus seinen Standardsituationen viel zu wenig. Zumindest die Freistösse bereiten Lopar Schwierigkeiten, die insgesamt 11(!) Eckbälle fallen dagegen durchwegs harmlos aus. Dagegen hat der erst kurz zuvor eingewechselte Roberto Rodriguez sein Visier richtig eingestellt. Er setzt sich im Duell der Einwechselspieler gegen Mangold durch – ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig ein breites Kader ist – und setzt dann einen satten Schuss direkt unter die Latte. In der 104. Minute führt St. Gallen wieder.
Thun kämpft beherzt weiter, kommt aber nicht mehr zu der Topchance. Und wir wollen auch ganz ehrlich sein: die Thuner sind zu wenig im St. Galler Strafraum präsent, dass auch nur ansatzweise ein Kompensationspenalty erzwungen werden könnte. So endet die Partie um 22.27 Uhr mit einem lauten Jubel der St. Galler – und ich spurte gleich auf den Bus Richtung Gossau.
In Gossau reicht die Zeit zum Glück noch, um im Quellenhof einen Tankstopp einzulegen und Bier über die Gasse zu kaufen. Erst wundere ich mich noch, warum ich nicht der einzige Fussballfan bin, der schon hier aufs WC geht statt erst im Zug. Dann aber verstehe ich, als ich mich mal wieder mit einer Ostschweizer Eigenheit konfrontiert sehe. Der Zug – im SBB-Jargon eine «Ersatzkomposition» - verkehrt nämlich nicht nur sehr verkürzt, sondern auch sehr verstopft. Das einzige WC an Bord ist kaputt, wie der Kondukteur in seiner ersten von insgesamt vier Lautsprecherdurchsagen zum WC-GAU mit tieftrauriger Stimme erklärt. Bei Durchsage Nummer 2 ist er aber schon etwas optimistischer. Er schlägt vor, nach der Einfahrt in Winterthur eine verlängerte Pinkelpause auf Gleis 1 (selbstverständlich samt Besuch in der WC-Anlage) einzulegen. Bei Durchsage Nummer 3 frohlockt er schon, dass er vier Zusatzminuten ausgehandelt hat und alle WC-Willigen einfach dem Zugpersonal folgen sollten. Bei Durchsage Nummer 4 ist er dann aber wieder sehr traurig. Die WC-Anlage am Bahnhof Winterthur sei um diese Zeit – wir haben kurz nach halb Zwölf – bereits geschlossen. Reisende Richtung Zürich Flughafen und Zürich HB könnten aber auf Gleis 4 in einen Zug umsteigen mit funktionierendem WC. Halleluja! Da nehme ich doch nochmals einen kräftigen Schluck aus meiner Schützengartendose. Ja, ja, auch mit dem Block B3 unterwegs zu sein ist ganz schön krass.