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Stoke - Thun 4:1
25.08.2011Europa League 2011/2012


Kaum am Flughafen, sind wir schon direkt in der Schusslinie. Und wie: Eine Polizistin umklammert ihr Maschinengewehr und kommt auf uns zu. Was für ein gastfeindliches Land. Dabei wollen wir doch nur eine Rauchpause machen und unser letztes Bierchen geniessen. Schliesslich fährt aber ein Car vor und alles ist klar. Der Spielercar des FC Bayern München platzt direkt in unsere Rauchpause. Schweini, Boateng und Co. schlendern an uns vorbei und werden von einem halben Dutzend Autogrammjägern umlagert. Warum bloss die Euphorie? «Nie Schweizer Meister, ihr werdet nie Schweizer Meister!» Von einem Flughafenangestellten werden wir dann im breitesten Züridütsch noch angepöbelt, der jeden in der Gruppe fragt, ob er eigentlich ein Eidgenosse sei. Andere dürfen wohl nicht mehr in rot-weissen Farben herumlaufen, auch nicht, wenn es sich um FC Thun-Utensilien handelt. Wir lernen vom Zürcher: Schweizer wählen nur SVP. Ah ja? Uns würde ja brennend interessieren, ob in anderen Ländern Touristen auch mit ausländerfeindlichen Plakaten begrüsst werden.
Zweieinhalb Stunden später (oder je nach Jetlag-Stellung nur anderthalb Stunden später) sind wir in Manchester. Dort nerven auf den Plakatwänden höchstens ManU-Spieler, die für eine türkische (!) Fluggesellschaft werben. Wir nehmen aber ohnehin gleich den nächsten Zug, ist doch unser Ziel Pottersville, oder genauer gesagt eine Fussballmetropole namens Stoke-on-Trent, in der Zehntausende Stalker zu Hause sind. Der Bahnhof dagegen erinnert mehr an die Stationen Heimberg oder Lädeli, als an eine europäische Stadt. Einen Dorfplatz – oder auch schon nur eine Hauptgasse – suchen wir vergebens, im als Café getarnten Bahnhofbuffet gibt es kein Bier. Die Häuser sind prinzipiell alle aus rotem Backstein gebaut, die Einheimischen in dicke Kleider gehüllt. Ende August überschreiten die Temperaturen hier die 20 Grad-Marke wohl nicht mehr.
Umso wichtiger ist die richtige Verpflegung. Die Bierkarte im Hotel ist umfangreich, im benachbarten Pub erst recht. Die nervige «e Stange oder es Grosses»-Frage bleibt hier weg, nur Pints werden ausgeschenkt. Das englische Essen dagegen… klar, wir bestellen unser Ripeye Steak «medium». Aber wir hätten nicht gedacht, dass dies in England gleichbedeutend mit einer verkohlten Aussenhaut und einer rohen Innenschicht ist. Und auch die Erbsen sind ziemlich roh. Ein Genuss ist das erst das Frühstück am nächsten Morgen – vorausgesetzt, man steht auf mit Bohnen belegtes Toastbrot. Gölä und ich diskutieren derweil, warum am Buffettisch weiche Mini-Parisette herumliegen, die in der Schweiz gewöhnlich als Aufbackbrötchen verkauft werden. «Schmeiss doch deine beiden Brötchen in den Toaster», sage ich zu Gölä. Als dann eines der Brötchen in Flammen aufgeht und ein bissiger Rauchgestank seinen Weg von der Küche in den Essaal sucht, ergreift Gölä die Flucht. Hauptverdächtige sind so englische Kiddies mit roten Haaren.
Wir machen uns dann bald auf den Weg zur grössten Attraktion in der Gegend. Während andere sich im Beatles-Museum in Liverpool oder im Gay Village in Manchester vergnügen, fahren wir in den Monkey Forest. In den Affenpark laufen kleine Berberaffen zu Dutzenden in einem Wald frei herum. Wir lernen viel über die Affenwelt: So kratzen sich die Affen nicht gegenseitig, weil sie Läuse haben, sondern weil sie fummeln wollen. Und gefüttert werden sie nur mit Früchten. Immer zur akademischen Stunden um viertel nach Irgendwas. Dann will nämlich jeweils eine Studentin inmitten der fressenden Affen einen hochintelligenten Vortrag zum besten geben. Halt nur auf Englisch. Aber ich frage dann trotzdem nach: Auch Affen fallen gemäss der Auskunftsdame nicht immer auf den Pfoten, wenn sie von den Bäumen springen. Aber auch Landungen auf den Rücken würden sie – allerdings unter ziemlichen Schock – überleben. Mein damaliger (Um-) Fall in Aarau war also rein evolutionsmässig bedingt.
Zu Mittag essen wir dann Oatcakes, jene Haferplätzen-Omeletten, die in North Staffordshire weit beliebter sind als Fish & Chips. Tatsächlich schmecken die Oatcakes, die verschiedenen Füllungen kann ich aber nicht untereinander unterscheiden. «It’s bacon again», sage ich daher jeweils an der Kasse und wähle somit die billigste Lösung. Da es im Banana Café kein Bier gibt, trinken wir halt Fanta mit 5 Prozent Fruchtsaft. Das sind doch deutlich mehr als am Morgenbuffet, wo wir beim Blindtest den 0,05-prozentigen «Apfelsaft» nicht vom 0,05-prozentigen «Orangensaft» unterscheiden konnten.
Mangels weiteren Attraktionen verbringen wir den Rest des Tages jassend im Hotelzimmer. Nur für den kleinen Programmpunkt Europacupspiel gegen einen Premiershipklub gehen wir noch rasch raus, das Stadium liegt schliesslich nur ein paar hundert Metern neben unserem gediegenen Zwei-Stern-Hotel. Unterwegs ist es so stürmisch, dass ich am Kleiderbasar zu feilschen beginne. Schliesslich gelingt mir das Jahrhundert-Schnäppchen: Ein gefälschter Thunschal mit hässlich-verzerrtem Stern plus eine dämliche Zottelmütze für gemeinsam nur 13 Pfund – statt 15! Peinlicher wäre es jetzt nur noch, sich eine Schweizer Fahne umzulegen, einen grossen Hut aufzusetzen und sich das Gesicht Rot-weiss zu färben. Hey Mann, wo isch Kurve-Ghetto- Authentizität?
600 Thuner sind leider nicht wie einst in London. Aber wir sind auch nicht gerade 13 Nasen, wies es der Blick behauptet. Ha, ha, alleine auf eurem Bild sind ja mehr Fans abgebildet. Halten wir uns an «The Guardian», an die bestrecherchierte englische Tageszeitung: «There was a buzz about this game that might come as a surprise to those who consider the Europe League to be the Carling Cup with passports. Virtually every home seat had been sold. It was, however, much less of an event in the Bernese Oberland. Precisely 46 Thun supporters travelled.» Gemeinsam mit unseren englischen Supporters (hey Ben!) sind wir aber nicht nur 50 Fans, sondern vor allem auch lauter als die «lautesten Fans England». Immer wieder haben wir das Stimmungsmonopol im Stadion. «Noch nie waren Gästefans bei uns so laut», wird ein Stalker nach dem Match sagen.
Dabei läuft das Spiel überhaupt nicht für Thun. Nach einigermassen soliden Startminuten wird die erste Halbzeit zum Desaster. Ersatzgoalie Djukic bekommt keinen Ball zu fassen. In der 25. Minute trifft Upson zum 1:0, in der 31. Minute Jones zum 2:0 und in der 38. Minute Whelan zum 3:0. Und als in der 72. Minute Jones gar zum 4:0 einschiesst, wird gar im Thunblock laut gejubelt. Hämische Gesänge? Nein, aus irgendeinem unverständlichen Grund sitzen (!) in der zweiten Halbzeit zwei Dutzend Dortmund-Junioren in Gelb-Schwarz (!!) in den ersten Reihen des Gästesektors und hüpfen beim 4:0 durch die Luft (!!!). Alles Huth oder was? So wird doch jede Fantrennung ad absurdum geführt. Aber die Security weisen uns lieber nochmals darauf hin, dass auf der Treppe, auf dem Stuhl und irgendwie überall Stehen verboten ist.
Doch der zwischenzeitliche Ärger über die gelbschwarzen Maxer ist verschwunden, als Witwer in der 77. Minuten den Ehrentreffer erzielt. Oder wie «The Guardian» ganz am Schluss seines Spielberichts schreibt: «To prove it was not a complete walkover, Andreas Wittwer scored, allowing the 46 to reach for their scarves and lunch another chorus of Yellow Submarine.» Bitte, man hat uns inmitten der «lautesten Fans Englands» sogar auf der Pressetribüne gehört!? Was zur Beatles-Melodie gesungen haben? «Mir si Thuner u mir…» Grosses Kino!
Nach dem Spiel bleibts friedlich. Wenn wir überhaupt angequascht werden, dann von Stalker, die letzte Woche in Thun waren und sich nochmals für die angenehmen Tage im Berner Oberland bedanken wollen. Da trinken wir doch noch zwei, drei, vier, fünf Bier auf die angenehme Atmosphäre. Und die Pizza, die der Kurier weit nach Mitternacht ins Hotel liefert, ist doch gar nicht mal so schlecht. Ob man die wohl im Toaster noch wärmen könnte? So kommt Heimweh bei mir erst auf, als mein Zimmermitbewohner mitten in der Nacht die Klimaanlage – wegen ihrer Gnadenlosigkeit bloss «die Schneekanone» genannt – voll aufdreht. Was soll man zu einem solchen eisigen Blödsinn bloss sagen? Wie wärs mit einem gemeinsamen Gruss an die Stalker… «NIE SCHWEIZER MEISTER, IHR WERDET NIE SCHWEIZER MEISTER, NIE SCHWEIZER MEISTER…»