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Gossau - Thun 2:6
15.05.2010Challenge League 2009/2010


Der Fanclublegende-Express rollt wieder mal über die Schweizer Autobahnen. Das Wetter ist schlecht, aber Fussballfanatiker wie wir es sind, interessieren uns die Burgen, Schösser und Sondermülldeponien am Wegrand sowieso nicht. Unsere Sehenswürdigkeiten sind die Autobahnbeschilderungen. Mal sehen wir die Abzweigungen nach Lausanne, Genf und Biel, dann fahren wir an NLB-Hochburgen wie Wohlen, Aarau oder Wil vorbei. Wie schön es doch wäre, überall hier nie mehr halten zu müssen.
In Würenlos halten wir dennoch, Pinkelpause. Wenn das kein gutes Omen: Die Eintrittspreise beim Pissoir bewegen sich auf Champions League-Niveau. Wenigstens können wir uns die 1-Franken-Quittungen auf unseren Einkauf anrechnen lassen. Frau Fanclublegende schlägt vor, das Geld im Magic X zu investieren. Doch Herr Fanclublegende stellt klar: "Heute denken wir nur an Fussball, nicht an Sex." So tätigen wir im Migros einen schüchternen Red Bull-Kauf. Mein FC Thun-Schal fällt dabei niemandem auf.
Kurz nach 16 Uhr treffen wir beim Stadion ein. Auch hier regnets, weshalb wir uns für Sitzplätze entscheiden. Da es ein wichtiges Spiel ist, ist der Andrang an der Kasse gross. Ach, die Kasse öffnet heute ja erst um halb Fünf. Für Gossau scheint dies heute eine x-beliebige Amateur-Liga-Partie zu sein. So läuft vor 17 Uhr auch keine Stadionmusik und Matchprogramme werden auch nirgends verteilt. Immerhin wurde der fehlende Service beim der Berechnung der Eintrittspreise berücksichtigt. Ich zahle für meinen Platz auf der Haupttribüne gerade mal 17 Franken. Da sag ich doch nicht nein.
Seltsame finde ich die rote Alarmlampe vor dem Tribünendach. Gemäss Auskunft der Einheimischen handelt es sich dabei um ein Sturmalarmsystem. Blinkt die Lampe rot auf, muss die ganze Tribüne evakuiert werden. Dass sind ja beruhigende Aussichten angesichts des heutigen Sauwetters. Dennoch nimmt auch Prominenz auf der Tribüne Platz: der Yakin Hakan, der Fetscherin Adrian und (warum eigentlich namentlich begrüsst?) die einzig wahre Fanclublegende. Zwei Drittel der Fans auf der Tribüne sind Thuner. Und wir werden natürlich von den Gossauer angesprochen. «Wie sehen eigentlich die Aufstiegschancen der Thuner aus? Sind sie jetzt Erster oder Zweiter?» , fragt uns die Frau in der ersten Tribünenreihe. Ihre Frage ist verständlich, als Schlusslicht schaut man nicht mehr regelmässig auf die Tabellenspitze… oder überhaupt noch auf die Tabelle.

Wir dagegen kennen jedes Teil der Tabellenspitze:
1. FC Lugano 29 17 7 5 64 : 28 58
2. FC Thun 29 17 6 6 64 : 34 57

Thun reicht also ein Sieg gegen Gossau nicht, Lugano muss im Heimspiel gegen Vaduz unbedingt einen Punkt abgeben. Der Begriff „Totomat“ erhält für uns heute eine ganz neue Bedeutung, wird zum lebensbedeutenden Elixir. Für mich setzt heute meine Freundin vor dem Fernseher und schaut sich auf TSI2 die Liveübertragung von Lugano – Vaduz an. Ihre SMS vor dem Spiel machen mich noch etwas nervöser: 7700 Zuschauer sind im Stadion (bei Gratiseintritt - hier in Gossau sind dagegen gerade mal 710 zahlende Fans), alle Experten rechnen mit einem Lugano-Sieg und Aufstieg. Und als das Lugano-Spiel pünktlich um halb Sechs beginnt, dauert es nicht lange, bis die ersten „Lugano ist aber Drücker, Lugano vergibt 100prozentige Torchancen“-SMS kommen. Da hat das Thunspiel noch gar nicht begonnen. Mit vier Minuten Rückstand aufs Tessin erfolgt hier der Ankick.

Die Aufstellungen der beiden Mannschaften:
FC Thun: Stulz; Lüthi, Zahnd, Klose, Reinmann; Bättig, Demiri, Aratore, Scarione, Kukuruzovic; Rama.
FC Gossau: Lattmann; Trajkovic, Ludäscher, Soljic, Gugelmann; Holenstein, Berger, Lattmann, Avanzini; Eggmann, Graf.

Was auffällt: Yakin verzichet auf eine Petkovic-Pokerface-Spiel und lässt die drei Gelbsperre-Gefährdeten Lüthi, Klose und Scarione allesamt spielen. Finde ich richtig: Auch gegen Gossau brauchts das bestmöglichste Aufgebot. Zur Erinnerung: Letzte Saison hat Thun auf der Buechenwald 3:4 verloren.
Das soll heute nicht nochmal passieren. Thun startet mit einem wahnsinnigen Sturmlauf. Rama, Scarione, Kukuruzovic – alle haben sie Top-Torchancen. «Es müsste schon 3:0 stehen», analysiert Fanclublegende nach einer Viertelstunde treffend. Allerdings: Auch Lugano hätte längst die Führung verdient.
Doch dann beginnt in der 20. Minute eine Art goldene Thuner Viertelstunde. In der 20. Minute schliesst Aratore einen tollen Angriff mit dem 1:0 ab. Und nur drei Minuten später trifft auch Rama. 2:0!

Und dann klingelt mein Handy. «Vaduz hat gerade das 1:0 geschossen. Cerrone ist der Torschütze…» Und ich schreie über die ganze Tribüne: «1:0 für Vaduz!» Der Jubel ist grösser als bei Ramas Tor. Erst Stunden später soll ich erfahren, wie dieses Tor zustande gekommen ist: Lugano forderte im Mittelfeld einen Freistoss, doch der Fändlima entschied auf Einwurf für Vaduz. Der Einwurf wurde schnell ausgeführt, der Ball kam zu Bruno Sutter, dieser lancierte Cerrone… und Disco-Cerry schoss Vaduz (und Thun!) mit der allerersten Vaduz-Torchance tatsächlich ins Glück.
Ab diesem Moment sind Fanclublegende und ich zu nervös, zu sitzen. Wir stehen in der letzten der vier Tribünenreihe, rufen immer wieder „Hopp Thun“ und verbrüdern uns mit den anderen Thunfans. Heute sind wir eine Schicksalsgemeinschaft. Fanclublegende und ich tragen stolz unsere roten T-Shirts. «Hurra wird sind im A» steht drauf. Warum soll 2010 nicht das selbe gelten wie 2002!?
In der 35. Minute dürfen wir ein weiteres Tor bejubeln. Kukuruzovic schiesst zum 3:0 ein. Wenig später jubeln dann aber die Gossauer. Der stets souverän pfeifende Schiedsrichter Gremaud entscheidet nach einem Zweikampf im Thuner Strafraum auf Penalty. Gossau-Captain Michel Avanzin nimmt Anlauf und trifft 3:1. Jetzt bloss nicht nachlässig werden.
Und dann klingelt mein Handy. «In Lugano ist Halbzeit. Es steht immer noch 0:1.» Puh, bis jetzt läufts ja wirklich für den FC Thun. Doch der Abend ist noch jung. 200 Thunfans im nassen Stehsektor und mehrere Dutzend weitere Rotgekleidete auf der Tribüne sehnen sich jetzt so sehr das Spielende herbei. Bitte gewinnt, ihr Thuner und ihr Vaduzer, bitte…

Die zweite Halbzeit beginnt mit einem erneuten Thuner Offensivfeuerwerk. In der 49. Minute schiesst Aratore das 4:1, in der 53. Minute erhöht Rama auf 5:1. Dieses Spiel hier ist definitiv entschieden.
Und dann klingelt mein Handy. «Penalty für Lugano, Penalty für Lugano. Da Silva schiesst, Tor!» Ai ai ai. Die Vorgeschichte: Der Vaduzer Michael Stegmayer hat in der 58. Minute seinen Gegenspieler Pascal Thrier im Strafraum zu Fall gebracht.
Dieses Tor im Tessiner Nirgendwo schmerzt gewaltig. Dass dagegen in der 56. Minute Michel Avanzini auf 2:5 verkürzt, neben wir nur so nebenbei zur Kenntnis. Gross dagegen der Jubel, als Wittwer in der 60. Minute wieder den alten Vier-Tore-Vorsprung herstellt. «Wittwer, Wittwer!» rufen wir. Er winkt uns zu.
Dann beginnt der Trash Talk zwischen den Zuschauern. Ein Ostschweizer Chörli stimmt «Lugano, Lugano!»-Gesänge an. Wir antworten mit «1.Liga, Gossau ist dabei.» Viel lieber möchten wir aber «Nie meh, nie meh Nati B» singen – und uns mit diesem Lied nicht auf Gossau, sondern auf Thun beziehen. Doch während hier in Gossau alles klar ist und beide Teams keine wirklichen Angriffsbemühungen mehr zeigen, beginnt in Lugano eine wahre Abwehrschlacht. Die SMS verlauten nichts Gutes: «Vaduz ist stehend k.O.», «Teilweise Waltklaasse-Paraden von Peter Jehle! Vaduz nun mit 11 Mann hinten. Es geht nichts mehr.»
Immerhin: Lugano ist immer noch vier Spielminuten vor Thun. Es wird also sicher keinen Platzsturm à là Schalke geben, bei dem wir im Jubelmeer erst bemerken würden, dass anderswo doch noch ein Tor gefallen ist. Ja, was ist los in diesem Anderswo, in diesem Cornaredo? Kurz vor Spielschluss rufe ich meine Freundin an, vergesse ganz Gossau rund um mich und höre nur noch ihr zu. «Lugano am Ball… Vaduz kann befreien… wieder Lugano, nochmals eine Chance… übers Tor..» Ich bin wie in Trance, merke nur so nebenbei, dass Schiedsrichter Schiedsrichter Gremaud nach exakt 90 Minuten hier schon abpfeift. Und dann wenige Sekunden später das Schlüsselwort: «Fertig! Das Spiel ist fertig!»

Ich renne die Tribüne hinab. Am Spielfeldrand meint noch der Security: «Es ist noch zu früh für den Platzsturm.» Doch da rennen schon all die Kollegen aus dem Gästeblock auf dem Rasen, ich hüpfe auch über die Spielfeldstange und bin mitten drin im Getümmel. «Nie meh, nie meh Nati B, Nie meh, nie meh Nati B». Hunderte Thunfans in Ekstase. Und mittendrin das Team, alle Verantwortlichen und auch viele Fernsehkameras, die mal keine Skandalbilder schiessen wollen.
Und dann der nächste grosse Moment: Rama darf den goldenen Meisterpokal in die Höhe stellen? Meisterpokal für den NLB-Spitzenplatz? Arm in Arm stellen wir Fans fest. «Das ist ja der allererste Pokal der Vereinsgeschichte.» Wobei wir natürlich nicht die heroischen Goldschlüsselcup-Helden vergessen wollen.
Was für ein Fest. Dabei regnet es doch. Egal. Manche rauchen einen Aufsteigerstumpen, ich begnüge mich mit einem Glässchen Grappa. Betrunken bin ich aber nicht vom Alkohol, sondern von der unglaublichen Freude.

Nach einer Stunde Jubelszenen geht’s ab ins Auto, Richtung Thun. Auf dem Weg sehen wir wieder viele Autobahnschilder. Doch uns interessieren nun die Abzweigungen nach Basel und St. Gallen, die Ausfahrten von Zürich und Bern. Und beim Zwischenstopp an der Raststätte sagt uns die Verkäuferin. «Ihr seid vom FC Thun? Ich habe im Radio vom Aufstieg gehört.» Thun ist zurück im A, Thun ist wieder wer im Schweizer Fussball.
Um halb Zwölf wird auf dem Thuner Rathausplatz weiter gefeiert. Hunderte Fans singen ausgelassen. Dabei regnet es doch. Egal. Wenig später rollt der Mannschaftscar im Schritttempo auf dem Platz ein. Der Pyroemfpang ist fantastisch. Dass auf der Rathausplatztribüne auch die Politikgrössen von Allmen und Haller mit Schal um den Hals FC Thun-Weisheiten verkünden wollen, nehmen wir hin. Doch wahrer Jubel spricht aus, als Yakin und Rama, Gerber und Stähli zu uns sprechen. Und dann erst die Comedyshow vom Timm Klose, der mit viel Witz alle Spieler und Betreuer vorstellt. Selten so gelacht! Eine perfekte Fussballnacht.

Die Tabelle übrigens, die lautet nun so:
1. FC Thun 30 18 6 6 70 : 36 60 (Aufsteiger)
2. FC Lugano 30 17 8 5 65 : 29 59 (Barrage)