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Thun - HSV 1-0
16.02.2006Uefa Cup 2005/2006


„Hamburg, wir hören nichts! Hamburg, wir hören nichts!“ Unser Spottgesang, den wir letzte Saison in der AOL-Arena so laut sangen, ist heute nicht angebracht. Zu laut sind die deutschen Gäste, dagegen kommen wir Thuner kaum an. Ein deutlicher Klassenunterschied. Gesungen wird trotzdem 90 Minuten lang, auch wenn ausgerechnet einer der wichtigsten Fans fehlt. Wegen einem Fasnachtsfluch bzw. einer zu späten Heimkehr nach dem sangt gallischen Chapf-Chläpfer-Guggespektakel der himmlischen Engelburgerinnen, ist ihm verboten worden, den heutigen Match zu besuchen. So trommelt halt unter anderem Niederscherli-Älu – immerhin mit meinen Handschuhen. Was gebe ich nicht alles für die Fankurve, egal wie verworren die Vereinspläne sind. Einmal Thunfan, immer Thunfan. So bin ich auch bereits seit 14.00 im Thundress unterwegs, wobei ich mich in der Berner Altstadt schon etwas wie ein Fussballtourist vorkomme. Hamburger Jungs treffen Tomtom und ich viele. Freche Sprüche und nette Gespräche in den Gassen und im Tramdepot stimmen fröhlich. Der Nachmittag wäre perfekt, wenn Tomtom nicht irgendwo sein Portemonnaie liegen lassen würde. Er glaubt an einen Diebstahl, ich nicht. Wer in meiner Jacke herausläuft und felsenfest glaubt, es sei seine, verliert sicher auch bei den Geldgeschäften schnell die Übersicht. Wenigstens konnte er zuvor noch die letzte Runde bezahlen.
Aber zurück ins Stadion, wo Älu trommelt, Michu seine Fahne schwingt, Sanel durchs Mikrofon schreit und Gölä Reis isst. Gezündet wird bei uns im Gegensatz zur Hamburger Ecke nicht. Optisch ist der Auftritt der Thuner Fans dennoch gut. Auch diese „europäische“ Choreo ist gelungen – die Aktion für Longo in der Pause finde ich genial. Ein Spruchband, das mir als Fan die Tränen in die Augen drückt. "Danke Longo - denn sie wissen nicht was sie t(h)un!" Abschiedsschmerz. So einen Abgang hat unser Erfolgstrainer nicht verdient. Wenigstens kann Longo heute Abend noch einmal seinen Thuner Ruhm geniessen. Er trifft rund ums Stadion ein paar von uns Fans – und telefoniert nach dem Spiel sogar mit „Kevin allein Zuhause“. Eine Super Geste. Ich weiss, dass ich mit diesen Zeilen auf Unverständnis stosse bei einigen langjährigen Fans, die Weder und Geber um jeden Preis die Treue halten wollen. Zwei Fragen seien aber erlaubt: Wo wäre Thun ohne Longo? Was wird aus Thun ohne Longo?
Der neue Trainer heisst Heinz. Wobei ihn wohl kaum jemand in Thun je so nennen wird, zu distanziert ist er zu den Fans. Er ist der Herr Peischl aus Österreich – ein langjähriger Trainer mit viel Erfahrung. Dem heutigen Erfolgsdruck hält er überraschend gut stand, er hat bei seiner Mannschaftsausstellung ein goldenes Händchen. Und Millicevic gefällt mir in der Captainrolle besser als Aegerter.
Und so stellen selbst die grössten Peischl-Kritiker fest, dass der hohe Besuch aus der Bundesliga zwar auf den Fanrängen, nicht aber auf dem Spielfeld dominiert. Auf dem Rasen ist Thun die Nummer1. Einmal mehr erstaunt das Team europäisch, obwohl oder weil (wie Dschüsä und Weder meinen) Longo seit Montagmittag nicht mehr Trainer ist.
Eine Szene in der 30. Minute zeigt, dass im Berner Oberland nicht nur clevere Wintersportler ihre Heimat haben: Wicky spielt im Mittelfeld den Ball unbedrängt in die Füsse von Omar. Dieser gibt den Ball an Adriano weiter, der auf das Tor zu rennt. Kaum im Strafraum, drückt er ab und hämmert den Ball aus zehn Metern über den Torhüter hinweg direkt unter die Latte. 1-0 für Thun, einmal mehr gibt es im Wankdorf einen unerwarteten Torjubel.
Der HSV tut vorher und nachher zwar mehr fürs Spiel, doch wirklich unter Druck ist Thun deswegen längst nicht. Die Abwehr steht geschlossen und verliert kaum ein Ballduell, Jakupovic wirft sich jedem Ball entgegen. Eine HSV-Grosschance gibt es nie, nicht einmal eine penaltywürdie Abwehrattacke. Mehr aus Spass denn aus Gehässigkeit disse ich Barbarez bei jedem Angriff. Ein Tor für den HSV heute abend? Irgendwie undenkbar. So sorgt Ferreira für das Highlight in der zweiten Halbzeit. Wie einst in London schlägt er wieder eine seiner berüchtigten Flanken. Er kickt den Ball gefährlich Richtung Tor – doch der Ball knallt nicht ins Netz, sondern bloss an die Latte. Eine dritte Grosschance hat Thun nicht – das Team gewinnt angemessen 1-0.
Feiern ist angesagt, obwohl es mittlerweile gruusig regnet und wegen der beschissenen Anspielzeit auch der Magen knurrt. Richtiges Bier gibt es zudem auch nicht im Stadion – aber das finde ich natürlich ganz gut, weil übermässiger Alkoholkonsum auch bei historischen Sportereignissen voll daneben ist. Stimmt doch, Herr Mäder? Aber ein Siegeschnupf sei erlaubt. Und als ich so in meiner Jacke nach der Schnupfdose suche, finde ich im Jackenfutter ein Portemonnaie, ein zweites Portemonnaie. Es gehört Tausendsassa Tomtom. Gross seine Erleichterung, torjubellaut sein Merci. Die Siegesfeier im Klösterli Pub kann mit all dem Geld noch lange dauern. Wir dichten jedes behämmerte Lied, das Gölä im Pub auswählt, in ein Derby-Verlierer-Liedchen um mit Texten wie „YB gibs doch uf“. Und dazu läuft auf den Bildschirmen Eiskunstlauf. Wir jubeln zwar laut mit Lambiel mit, aber erst richtig, als uns seine Medaille von unserer SMS-Dolmetscherin Cindy bestätigt wird. So ganz ohne Ton haben wir Lambiels Patzer zu vernichtend eingeschätzt. Die Olympiaabendsendung macht so Spass. Gold für Pedersen-Bieri, Silber für Lambiel. Für uns ist aber kurz vor Zwölf die Zusammenfassung des Thun-Spiels auch der fernsehmässige Höhepunkt. Und jetzt stimmen wir halt doch noch an: „Hamburg, wir hören nichts! Hamburg, wir hören nichts!“