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Thun - Ajax 2-4
03.11.2005Champions League 2005/2006


In ihrem öffentlichen Training auf dem Sportplatz Inseli in Konolfingen zeigen sich die Ajaxspieler und auch ihr Trainer gut gelaunt. Sie laufen sich nicht nur ein und üben nicht nur das Ballhalten, sondern simulieren auch in einem gewitzigen Spielchen in kleinen Gruppen den Torjubel.
Gleich ein doppelter solcher Torjubel wird am Schluss des Champions League-Spieles im Stade de Suisse stehen. In der Nachspielzeit erzielen De Jong und Boukhari die beiden entscheidenden Treffer, worauf wenige Meter vor den Thunfans der in Konolfingen geübte Torjubel mit grossem Genuss umgesetzt wird – für uns sind beide Jubelszenen eine unendliche Qual.
Und doch bleibt dieser Abend bei allen, die seit mehr als zwei Monaten Thunfans sind, in guter Erinnerung. Einmal mehr herrscht vor dem Match Volksfeststimmung rund ums Stade de Suisse. Auch ich bin wieder ab 18.30 bei der Shell Tankstelle zugegen, obwohl ich einmal mehr erst um 20.00 ins Stadion will. Aber da es im Stadion nun mal kein Bier gibt, muss man halt draussen mehrmals prosten. Bier, Zigis und Schnupf – zudem noch ein süsslicher Duft, der in der Luft liegt – dazu immer wieder ein Thungesang auf den Lippen, die Atmosphäre ist toll. Auch wenn im Gegensatz zu den anderen Champions League-Spiele die nun Sonne nun nicht mehr auf uns herab scheint, wir haben es auch in der Dunkelheit der Winterzeit lustig. Angeblich soll es auch Holländer in unserer grossen Festgemeinde haben, doch wir kümmern uns nicht weiter drum.
Im Stadion herrscht schon um 20.00 Hektik. Seit Stunden wird im Sektor D die grosse Choreo vorbereitet, die nicht mit der Plastikfähnchen-Aktion in den übrigen Stadionecken zu vergleichen ist. Nach wochenlanger Arbeit ist der grosse Moment da, wo 84 Doppelhalter mit den Wappen aller Oberländer Gemeinden in die Höhe gehoben werden, dies nebst sonstigen bunten Effekten. Hierbei ist weder der Einsatz von Pyro gemeint, noch soll dies ein negativer Seitenhieb auf zündende Fans sein.
Das Spiel beginnt – meine mittlerweile achte Partie mit dem berühmten Champions League-Ball! Der Anfang ist eher harzig, Thun spielt abwartend. Im Gegensatz zum Basler Auftritt gegen Strassburg soll wohl ein blamabler Auftakt vermieden werden. Doch ein holländischer Nationalspieler wie Sneijders findet auch gegen eine konzentrierte Thuner Hintermannschaft ein Mittel, in der 27. Minute erzielt er das 1-0 für Ajax. Bei diesem Stand bleibt es bis zur Pause – dies auch weil Lustrinelli wieder einmal den Pfosten statt das Tor trifft. Allgemein ist das Spiel wenig attraktiv.
Dies ändert sich nach dem Seitenwechsel. Erstmals seit dem Malmö-Match zeigt Thun wieder Vorwärtsdrang in der Champions League. Klar man noch nicht gerade von einem Offensivspektakel sprechen, doch erarbeiten sie sich nun doch ein Chancenplus. Und einer trifft tatsächlich: Ausgerechnet Lustrinelli erzielt in der 56. Minute den Ausgleich.
Ausgelassen der Jubel im Fanblock, wo die Stimmung heute Abend ohnehin genial ist. Endlich machen mal alle mit, besonders jetzt mit dem Punktgewinn vor Augen. Doch schon Minuten später geht Ajax wieder in Führung. Babel erzielt in der 63. Minute das 2-1. Eine grosse Mitschuld am Tor trifft Deumi, in einem SMS von Zuhause wird gar behauptet, er habe bei beiden Toren seine Füsse im Spiel gehabt. Mist.
Doch Thuns Angriffstempo ist mittlerweile so hoch, dass man um sie nicht fürchten muss. Weiter bieten sich ihnen Chancen. Und in der 74. Minute steht das Spiel bereits wieder Unentschieden – Adriano der Torschütze.
Es liegt viel drin heute Abend. Der unter grossem Jubel eingewechselte Gerber sowie Lustrinelli haben je den Siegestreffer auf dem Fuss beziehungsweise auf dem Kopf. Doch beide scheitern.
Mehr gibt aber eine Aktion von Hodzic zu reden. Nach einem Duell am Thuner Strafraum fällt die 18 der Holländer um. Wir vermuten eine ähnlich theatralische Einlage wie bei Ajaxs Nummer 11, die wir ohnehin schon bei jedem Ballbesitz ausbuhen. Aus dem Balkon über uns schickt mir aber mein Arbeitskollege eine SMS: „Da het Selver aber Schwein gha. Klari Tätlechkeit!“ Er habe seinem Gegenspieler den Ellbogen ins Gesicht gerammt. Die Aktion bleibt zu seinem Glück ungeahndet, obwohl er die Grenze zwischen internationaler und übertriebener Härte wohl klar überschritten hat.
2-2 steht es nach 90 Minuten, der Traum von einem weiteren Champions League-Punkt oder gar einem Sieg in extremis wie gegen Sparta Prag ist allgegenwärtig. Doch ausgerechnet da zeigen die Thuner Hinterleute nerven und zeigen sich bei zwei Ajaxangriffen nacheinander machtlos. Thun verliert noch 4-2, eine Teilnahme am Champions League-Achtelfinale ist so nun praktisch unmöglich.
Grund zum Trübsal blasen ist das noch lange nicht. Im und später auch vor dem Stadion wird trotzdem noch laut gesungen. Man sollte dabei vielleicht nicht ganz so überschwänglich sein wie Kevin, der vor zwei Kastenwägen der Polizei auf eine Verkehrsampel klettert. Aber die kleine polizeiliche Ermahnung, dies zu unterlassen, ist nicht weiter schlimm. Tom muss sich dafür auf dem Perron von einer Bahn-Security-Frau den BLS-Knigge anhören lassen. Infolge ihrem verwirrenden Basler Dialekt lässt sich aber nicht genau deuten, ob ihr wichtigster Ratschlag für die Heimreise „Müänd nid biere“ oder „Tüänd nid masturbiere“ lautet. Oder vielleicht ist sie in Wahrheit auch Schweiz-Holländische Doppelbürgerin und meint auf holländisch etwas wie „Du cheibe Modefan, tue doch nid so blöd mit dim rote Plastikfähndli umefuchtle, als häbsch i dim Läbe no nie öppis geilers gmacht.“ Kevin zerreist dann später im Zug Richtung Münsingen das Plastikfähnchen, womit weitere Missverstände gar nicht mehr möglich sind...

Matthias Engel