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FCB - Thun 4-1
07.05.2005SuperLeague 2004/2005


Es ist einer der Tage, an dem wirklich alles daneben geht. Bereits als ich kurz vor 9 Uhr am Berner Bahnhof stehe und mein Zug auf der grossen Anzeigetafel nicht aufleuchtet, macht sich zum ersten Mal das „Wäre ich heute doch besser im Bett geblieben“-Gefühl in mir breit. Zugausfall also, statt in den Zug Richtung Zofingen-Sursee-Luzern muss ich mich notgedrungen schon jetzt in den Zug nach Basel setzen. Ein Fingerzeig für heute abend? Wenigstens führt mein Umweg an mein Reiseziel noch nicht an Basel vorbei, sondern an so faszinierenden Haltestellen wie Muhen Nord, Muhen, Mittelmuhen und Obermuhen. Da fühle ich mich als Kuhstall-Thuner (an dieser Stelle ein liebes Grüsschen an alle YB-Fans) richtig Zuhause. Mein Ziel ist das Coiffeurgeschäft meiner Kollegin – oder besser gesagt meiner „4-Tore-Vorsprung-Glücksfee“. Was macht man nicht alles aus Aberglaube. Mit einer ganzen Stunde Verspätung bin ich schliesslich bei ihr.
Zur gleichen Zeit fightet Rüpel-Alain noch um sein Ticket. Längst ist ja der Thunsektor ausverkauft, er dagegen bemüht sich erst seit Freitag um ein Billet. Die Lage scheint lange aussichtslos, doch auf ricardo.ch entdeckt er noch eine Eintrittskarte. Eine hitzige Steigerung, bei der Älus Thunehre auf dem Spiel steht, beginnt. In der letzten Minute erhält er den Zuschlag für 65 Franken – Übergabetermin beim Stadion.
Glück gehabt hat auch Mario, der sich auch mehrere Tage um ein Billet bemühen musste. Celine-Heart ist schliesslich seine Glücksbringerin, da eine ihrer Kolleginnen auf den Match verzichten muss. So fährt Mario mit kurzweiliger Frauenbegleitung im Car Richtung Basel und erreicht das Stadion nach einiger Stau-Nervosität pünktlich.
Ich dagegen treffe in Olten (aus Zugsverspätungsgründen ist ein Einsteigen in Bern nicht möglich) auf eine grosse Zugfahrergruppe. Da gibt mir die Gelegenheit zum ultimativen Biervergleich: Ist Feldschlösschen mit dem Verfalldatum Dezember 2005 etwa besser als Feldschlösschen mit dem Verfalldatum Februar 2005? Die Antwort ist ja. Es passt halt zu diesem Tag, dass ich ausgerechnet altes Bier eingepackt habe. Eine Spätfolge der ständigen Spielabsagen im Winter.
Beim Stadion angekommen, warten Rüpel-Alain und ich auf den Ticketdealer. Und das recht exponiert vor dem Sektor A – wo also die Basler Fans sind. Hier treffen wir auch Lydia, die ihr Thunsektorbillet mit einer Familie getauscht hat und somit nun im Sektor A Stimmung machen will. „Natürlich juble ich, die werden doch eine alte Frau wie mich nicht schlagen!“ zeigt sie sich selbstbewusst. Na ja, vielleicht hilft ihr unsäglicher Basler Dialekt ihr noch etwas.
Köbi Kuhn sehen wir auch noch – jedenfalls einen Studenten mit Köbi Kuhn-Maske. Gerne machen wir beim Calsberg-SMS-Wettbewerb mit, doch leider bin ich schon so besoffen, dass ich die SMS nicht mehr korrekt schreiben kann. Dann halt eben nicht.
Dafür kommt nach langem Suchen endlich der Basler. Wie vermutet ist es ein Basler mit Jahreskarte im B2. Auch wenn ich ansonsten Schwarzmarktgauner nicht gerade unterstütze, ermöglicht er immerhin einem langjährigen Thunfan den Matchbesuch. Und so das doch eine Win-Win-Situation für alle.
Im Stadion lege ich meinen Rucksack auf meinen Platz – Platz 1 in Reihe 1 ganz rechts aussen an der Absperrung. Dass er damit voll im Regen, merke ich erst Stunden später. Ich selber platziere mich weiter oben – ebenfalls rechts aussen beim Zaun auf einem der originell blauen Sitzen. Selbstverständlich stehe ich, erst neben, dann auf dem Sitz. Diese Position wird noch zu reden geben.
Doch noch ist die Welt in Ordnung, freudig schwingen wir unsere blauen Fähnchen und präsentieren unsere Choreo. Ob der Basler Kameramann und der Exotensport-Reporter Michael Sokol vom SFDRS auch mitmachen, sehe ich nicht. Aber geil siehts aus. „Wir schweben weiter“ – wie wahr!
Doch wie lange bloss? René jedenfalls ist schon vor Anpfiff ganz ausser sich, als er Nicole Petignant auf dem Platz entdeckt. „Du chasch nüt, weniger als nüt, gar nüt!“ hat wohl selten so viel Berechtigung wie bei ihr. Oder widerlegt sie heute endlich einmal unsere Vorurteile?
Es ist ein Spiel mit verteilten Rollen. Basel als Heimteam sucht sofort das Tor, will auch ohne Gimenez schnell in Führung gehen. Thun ohne Deumi, Baykal und Pallas darf sich im Mittelfeld und in der Verteidigung nicht den geringsten Fehler erlauben. Und tatsächlich stehen unsere Jungs nahe bei den Baslern, doch da Nicole fast jeden Zwiekampf abpfeift und mit dem Verteilen von Gelben Karten beginnt, macht sich Unruhe in den Reihen der Thuner breit.
Unruhig, ja direkt wütend werde ich. Der Sicherheitschef der Basler geht auf Konfrontationskurs mit mir. Weil ich einen leeren (!) Bierbecher neben der Abschrankung der Sektoren auf die absolut leere Treppe fallen lasse, stehe ich nach einer halben Stunde plötzlich Aug in Aug mit dem Securitychef. Dies übrigens beim Stand von 0-0! „Wenn das nächste Bier von dir fliegt, kriegst du Stadionverbot! Ich habe alles auf Video, was du gemacht hast!“ Toll, wie man als auch so brutale Thuner einmal mehr behandelt wird.
Die Thunspieler müssen sich derweil aufs Resultathalten konzentrieren, was ihnen auch gut gelingt. Bald ist Pause. Doch in der 41. Minute starren alle im Stadion ungläubig auf die Nicole. Weil sich Sterjovski mit grossem Schauspieltalent vor Cerrone auf den Boden wirft, pfeift sie Penalty! Dabei hat Cerrone den Basler gar nicht berührt! Dass sich die unsägliche Schirifrau bei ihrem Entscheid nicht sicher ist, zeigt die Tatsache, dass sie Cerrone nicht gleichzeitig die Gelbe Karte zeigt – es wäre die zweite Karte und damit der Ausschluss für ihn in diesem Spiel. Da kann Zanni (wo spielte dieser Möchtegerncaptain eigentlich in der Hinrunde?) noch solange Gelb-Rot für Cerrone fordern.
Rossi tritt zum Penalty an – und trifft! 1-0 für Basel – die Thuner Meisterträume schwinden.
Ferreia, Milicevic, Cerrone, Gerber und Ojong lauten die Namen jener Thunspieler, die in diesem Spiel die Gelben Karte gezeigt bekommen. Die drei zuerst genannten Spieler werden so alle gegen YB gesperrt sein. Bei den Baslern, die ähnlich aggressiv spielen, sieht nur gerade Smiljanic Gelb. Super Fingerspitzengefühl, Frau Petignant!
Doch in der Zweiten Halbzeit wird endlich schöner Fussball gespielt. Mehrheitlich zwar von Basel, doch auch Thun kann sich nun steigern und endlich Chancen erkämpfen. Doch das zweite Tor des Abends schiesst auch ein Basler: Delgado nach einer Superkombination. 2-0 in der 58. Minute.
Minuten später geht die Meistertitelwelle durchs Stadion, lanciert durch die Muttenzer Kurve, doch auch wir Thuner machen da natürlich mit. Doch plötzlich geht die Welle unerwartet zu Ende – denn auf dem Platz erzielt Renggli aus 30 Metern ein Hammertor. Gross ist die Jubel – und Thun darf sogar wieder auf einen Punkt hoffen. Es wäre nicht der erste Zwei-Tore-Rückstand, den die Thuner in dieser Saison im St. Jakob Park aufholen.
Doch dann legt sich in der 80. Minute schon wieder ein Basler auf den Boden – zu dieser Schauspieleinlage durch einen angeblichen Leibchenzupfer animiert. Und wie reagiert Nicole: Sie entscheidet wieder auf Penalty! Der zweite krasse Fehlentscheid an diesem Abend.
Ein zweites Mal kommt es also zum Penaltyduell Coltorti – Rossi. Und wieder trifft Rossi. 3-1!
Das ist der definitiv Todesstoss für die Thuner Meisterträume, denn nun müssen sie alles riskieren und werden prompt in der Nachspielzeit nochmals überrannt. Smiljanic bezwingt Coltorti in der 93. Minute zum 4-1.
Die Basler Fans unter den 31'383 Zuschauern jubeln. Doch auch wir Thuner feiern unsere Mannschaft, völlig aus dem Häuschen geraten wir, als Coltorti sein Trikot in die jubelnde Thuner Menge wirft.
Offen bleibt die Frage, ob die Thuner heute die Möglichkeit zum Punkten gehabt hätte. Schliesslich wurde das Team zweimal gerade dann, als sie die Basler besser in den Griff bekamen, durch die Schirigeschenke entscheidend durchgebunden. Sauer bin ich aber nicht in erster Linie, weil die Nicole uns eventuell um eine Chance zum Punkten betrogen hat, sondern vor allem, weil sie Match gnadenlos verpfiffen hat und so ein schönes Fussballspiel gar nie möglich war. Schade!
Es sei hier aber vermerkt, dass ich Kollege Hitchhiker noch vor dem Stadion zum Meistertitel gratuliere. Dieser GlĂĽckwunsch sei hiermit an alle anderen Basler wiederholt.
So geht’s halt als Vize-Meister heimwärts. Für die Rückfahrt entschiede ich mich für eine Fahrt im Remo-Mobil. Mit dabei ist auch Röbi. An vielen Baslern und Luzernern vorbei stimmen wir auf der Autobahn sämtliche denkbare Mundartsongs mit neuem Text an. Den perfekten Nicole-Nedim-Song erfinden wir aber noch nicht – wir arbeiten aber weiter daran. Schliesslich feiern wir in Thun weiter. Bis 3 Uhr morgens. Am Schluss des Tages bleibt die Erkenntnis, dass sich das Aufstehen doch gelohnt hat. Danke Thun! Bravo Thun!

Matthias Engel