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Thun - Lausanne 2:0
02.09.2022Challenge League 2022/2023


Heute Abend wird gefeiert. Mit Layla, Dicht im Flieger und dem Eisbären-Song. Der Fanzelt-DJ gibt alles. Und vor allem gibt es Viertel vor Zwölf und somit mehr als anderthalb Stunden nach Abpfiff immer noch Bier. Viel Historisches ist geschehen. Und auch jetzt zu später Stunde soll nochmals grosse Geschichte geschrieben werden: Ich will zum ersten Mal in rund 30 Jahren beim FC Thun nach Mitternacht aus dem Stadion raus. Wofür es im Eishockey nur schnell mal eine etwas längere Playoffspartie braucht, ist in den Fussballstadien mit seinen grimmigen Securitys nur schwer möglich. Wie oft haben mir die Broncos Security schon ein „Geh jetzt endlich“ auf den Weg mitgegeben und das weit vor Mitternacht. Heute gibt mir um 23.50 Uhr nur Partykärne den Handschlag. Er ist ausgebrannt nach all seinen Selfies mit der Dorfjugend und will auf den letzten Bus. Ich will dagegen meinen Rekord und hebe deshalb nochmals meine Arme für einen Mitmach-Schlager: „Und ich flieg flieg flieg...“
Heute wäre ich auch besser geflogen. Nicht nur der Lausanne-Extrazug bleibt heute im Zugchaos lange stecken, auch ich fahre mit den SBB mal wieder eine XXL-Verspätung ein. Aus Italien kenne ich verspätete Züge. Aber dort ist es ein No-Go, dass sich das Zugpersonal bei Verspätungen versteckt wie heute mal wieder zwischen Zürich und Bern die SBB-Crew. Mindestens Unterschriften für die Reiseversicherung könnten die SBB verteilen bei 35 Minuten Verspätung. Meine Mitreisenden werden übrigens statt um 20:12 Uhr um 22:54 Uhr in Domodossola sein. Grande SBB. Ich selber schaffe es dank 60 Minuten Reservezeit doch noch knapp ins Stadion. Einfach ohne günstiges Bier am Bahnhof. Weil das Coop 19:40 Uhr nach wie vor zugesperrt ist, weil der Extrazug noch irgendwo im Stau steckt. Und ihr Thunfans jammert, wenn ihr abends im Waadtland nur Wein statt Bier im Coop kaufen könnt?
Aufstellung Thun: Hirzel, Lüchinger, Bamert, Sutter, Bürki, Jankewitz, Barès, Bertone, Castroman, Mattäng und Ndongo. Ja da sind einige neue Gesichter am Start. Plus sitzt auf der Tribüne mit schickem rosa Shirt und Handtasche der Oberlin (Dimitri, nicht Dominik - schreibt ihr eure Spielberichte eigentlich angetrunken, liebe Tägu-Redaktion?) Es fehlt vor allem unser behäbige Japaner Havenaar. Ausgeliehen zu Xamax, endlich!!! Und als ich da so das Team beim Anpfiff mit viel Vorwärtsdrang Richtung Lausanne-Tor kommen sehe, erscheint schier Unmögliches wieder möglich: Es sieht ganz danach aus, dass ich heute zum ersten Mal seit dem 9. Februar 2020 und jenem 3:2 gegen den FC Lugano wieder einen Heimsieg in der Kurve sehen könnte. Ja, das ist keine falsche Jahreszahl. Und Nein, ich hatte kein Stadionverbot. Da war nur so eine Corona-Pandemie mit Geisterspielen, generell viel Ärger mit dem Verein und als wohl grösste Corona-Nachwirkung ein Verein, der bei den Spielansetzungen nicht mehr an die Fans denkt. Thun ist jener Verein, der am Seltensten am Wochenende spielt. Auch diese Saison wieder: Bis Weihnachten spielt Thun nie am Sonntag und nur dreimal am Samstag, wovon nur einer dieser spärlichen Büetzer-tauglichen Spiele in Thun stattfindet. Kann man machen. Dann bleiben halt viele Plätze im Stadion leer - und auch viele Spielberichte auf thunfans.ch. So ist es mein neuntes Meisterschaftsspiel, bei dem ich seit Corona in die Kurve darf und kann. Und nein, keines jener acht Spiele zuvor hat Thun gewonnen.
Jetzt ist aber Havenaar weg und andere sichern hinten ab. Lüchinger und Bamert sind hinten stark, Sutter fällt nicht ab. Bürki spielt vor allem hart, was das richtige Rezept zu sein scheint. Er ist einer der sechs Thuner, die sich heute Gelb holen. Und mit einem minutenlangen (für mich etwas nervigen) „Verletzungsszene“ wie ein Jagdhund den Tatort im Strafraum markiert. Ja, das war zuvor eine Tätlichkeit gegen ihn, die aber folgenlos für Lausannes Zoukit bleibt. Wirklich toll ist aber das Mittelfeld, dass mit Barès, Bertone, Castroman und vor allem dem unglaublich starken Jankewitz endlich wieder Ballkontrolle und Durchschlagskraft hat. Thun kommt so zu jeder Menge Chancen, die so ungewohnt zahlreich sind, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Castroman und Sutter jedenfalls haben die besten Versuche. Dann lanciert Sutter in der 34. Minute mit einem langen Ball Jankewitz, der weiter gibt zu Mattäng. Pass zu Ndongo, Schuss und ein 1:0.
Mit dieser direkt schwachen Torausbeute geht es in die Pause. Und für uns ins Fanzelt. Hier verteilt eine Sicherheitsdame „Konter Match“-Gutscheine. Gibt es pro roten Zettel ein Bier, ein Gläschen Wein oder ein Kroko-Trinkspiel? Es gibt Nichts dergleichen geschenkt, man darf nur nicht mehr aus dem Fanzelt heraus, wenn man wie Partykärnen den Zettel auf dem Tisch vergisst. Alkoholiker-Schikane wie im Oberbayern auf Malle.
Schikanieren wir doch besser Lausanne. Den Anfang macht das Team. In der 54. Minute trifft Bürki die Latte, der Abpraller landet bei Castroman, der zum 2:0 einschiesst. Dann disst die Kurve Lausanne. Ein langes Spruchband wird aufgezogen: „LS kommt...“ Den Rest des Textes kann ich nicht wirklich entziffern. Aber da es nach rund 70 Minuten in die Höhe gehalten wird, fällt mir spontan die letzte Meisterschaftspartie gegen Lausanne ein mit Spielabbruch in der 71. Minute. So lauffreudig ist die doch noch einigermassen pünktlich eingetroffene Lausanne-Kurve heute nicht. Sie zündet stattdessen verhältnismässig entspannt ein paar Pyros. Und zwar entgegen dem Spielverlauf. Denn auf ein Tor kann Lausanne heute nicht mehr hoffen. Thun zieht sich zwar etwas zurück, doch Hirzel im Tor passt auf. Und wenn ein Angriff doch zu gefährlich wird, foult Thun halt. Mir gefallen Kampfgeist und Aggressivität. Und mir gefällt vor allem, dass ich erstmals seit dem 9. Februar 2020 wieder einen Heimsieg mit der Kurve feiern kann. Wow.
Und dann feiern wir plötzlich einen wahren Thunhelden. Heiri. Tausendsassa-Helfer Heiri Egger hat heute seinen letzten aktiven Tag im Verein, gemäss FC Thun nach 76 Jahren im Verein! Mit 89 Jahren will er etwas kürzer treten und die Spiele einfach mal nur als Zuschauer geniessen, eine herrliche Geschichte. Der Block Süd feiert Heiri minutenlang. Und dann wird natürlich auch noch fürs Team gesungen. Havenaar verliert derweil dieses Wochenende mit Xamax.
Und nun ist es soweit. Mitternacht und immer noch im Stadion. Manchmal fühle ich mich hier tatsächlich wohl. Ein letztes Bier, ein letztes Lied und dann nach Hause. Ist jedenfalls mein Plan. Und dann sitze ich plötzlich auf dem Gepäckträger eines E-Bikes und habe mein nächstes Ziel vor Augen. Ich werde um 6:15 Uhr Zuhause sein nach diesem Heimspiel - das wiederum ist kein neuer Rekord.