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GC - Thun 0:2
31.03.2018Super League 2017/2018


«Am Schluss kann man eine grosse Klappe riskieren, wenn man etwas gewonnen hat.»
Murat Yakin

«Ein Machtkampf im Führungsgremium, öffentlich gewordene Kritik von Spielern am Trainer und eine sportliche Negativserie» – steht es wirklich so schlimm um unseren Verein, wie die Zeitungen in ihren Vorschauen auf die Partie GC – Thun schreiben? Ich muss schon zweimal hinschauen, um zu merken, dass diese Krisenberichterstattung ja gar nicht den FCT, sondern GC als Zielscheibe hat. Das schafft man wohl auch nur als Rekordmeister, einen sechsten Tabellenplatz als Freipass zur Selbstzerfleischung zu verstehen. Aber hey, die letzte Champions League-Teilnahme von 1996 fühlt sich wie gestern an, da darf man doch etwas selbstbewusst (arrogant?) sein. Und wenn Thun heute im Letzigrund auf Bigler, Bürgy, Costanzo, Gelmi, Joss, Lauper, Nikolic und Schwizer verzichten kann, dann GC ja wohl locker auf Vilotic. Gut, in Thun hat man die Abwesenden ins Spital geschickt und nicht etwa in die U21 verbannt, aber auch ein Yakin hat sicher entweder den Doktortitel oder zumindest Erfahrung als Quacksalber. Immerhin bin ich nach all der GC-Lektüre wieder zuversichtlicher, dass für Thun heute im Letzigrund mal wieder Punkte drin liegen.
Dafür nehme ich auch das Abtasten bei der Eingangskontrolle in Kauf. Wobei mir schon auffällt, dass ich von Sitten bis St. Gallen inzwischen als Tattergreis eingestuft bin, der einfach durchgewunken wird, während ich in Zürich jedes Mal genau unter die Lupe genommen werde – dieses Mal zum Beispiel doppelt so lange wie Kevä, der sich gleichzeitig zur Eingangskontrolle stellt, dann aber schon die erste Runde Rumpuntsch bestellt, als ich mich gerade erst aus den Händen des Securitys befreien kann. Entspreche ich irgendeinem Zürcher Hipster-Kochareal-Typus, bei dem Sicherheitsverantwortliche lieber etwas genauer hinschauen? Oder macht sich ganz einfach ein jeder verdächtig, der mehr als 90 Minuten pro Woche in der Stadt Zürich verbringt?
Zeit genug für ausgedehnte Kontrollen hat das Stadionpersonal, ist doch das Letzigrund heute sehr schlecht gefüllt. Offiziell sind es 3500 Zuschauer, ehrlich gesagt wohl eher 2500. So rätseln wir, ob im WhatsApp-Chat der GC-Fans überhaupt noch 40 Leute mitlesen oder ob der GC-Mannschaftschat inzwischen die grösste Diskussionsgruppe mit dem Thema Rekordmeister-Sörgeli ist. Umso aktiver kommunizieren die GC-Fans aber per Spruchband. Hier nur eine Auswahl: «Punkt liefere statt umeeiere», «Abstiegszone verlah», «Hardtumsleute siegen heute», «Dä Blick uf d Tablelle lats erahne – ihr müed endlich Sieg absahne». Letzteres Spruchband mit Ausrufezeichen! Poetry Slam par excellence im Letzigrund.
Die GC-Spieler lassen sich von der Schreibwut der Fankurve anstecken und starten voller Energie ins Spiel. In der 2. Minute brillieren sie im Mittelfeld, schliesslich spielt Jeffrén den Pass in die Tiefe auf Kapic, der einen wuchtigen Schuss abfeuert. Doch Faivre schafft es, den Ball mit einer Hand abzutöten. Das Spiel ist lanciert – und aus GC-Sicht irgendwie schon wieder vorbei. Denn wie die langjährige thunfans.ch-Leserschaft weiss: Ist die Einleitung eines Spielberichts besonders lang, deutet das daraufhin, dass es kaum Erwähnenswertes über das Spiel an sich gibt. Wenn also mal wieder schlechter Fussball erwartet worden ist und es dann auch tatsächlich schlechten Fussball zu sehen gab. So sei hier verraten: Eine zweite nennenswerte GC-Chance haben wir ab der 3. Spielminute nicht gesehen – und wir Rumpuntschtrinker haben extra noch bei etwas nüchterneren Fans nachgefragt. Die erzählen uns zwar irgendetwas von einem Lavanchy-Tor via Pfosten in der 78. Minute. Aber auch beim Rekordmeister zählen Abseitstore heutzutage nicht mehr. Wirklich Feuer geben nur noch die GC-Fans, wobei die Sicht im Letzigrund nun mal so schlecht ist, dass wir nicht einmal sicher sind, ob in der GC-Kurve nun Pyros gezündet wurden oder ob die Spruchbänder gleich vor Ort entsorgt worden sind. Was vorbildlich wäre, hat doch die ERZ (für Nichtzürcher: die Dienstabteilung Entsorgung und Recycling Zürich) einen so schlechten Ruf, dass nicht einmal Fussballfans etwas mit ihr zu tun haben sollten.
Thun dagegen spielt solide. Sie setzen auf eine geordnete Verteidigung, kaum ein Mann steht über die Mittellinie raus. Entsprechend wenige Chancen hat Thun, aber doch so viel Ballbesitz wie selten an einem Auswärtsspiel. Ab der 20. Minute ist der FCT zumindest optisch feldüberlegen. Sorgic und Spielmann deuten einige Male an, dass sie gefährlich werden könnten. Und in der 49. Minute wird dann Spielmann wirklich zur Gefahr für GC: Nach einem Ballverlust von Bujar Lika reagiert er blitzschnell und wagt einen 25-Meter-Schuss. Torhüter Lindner ist chancenlos, Thun führt 0:1. Und kontrolliert nun das Spiel endgültig vorne wie hinten. Der GC-Sturm ist jetzt höchstens noch bei Eckbällen sichtbar, doch landen die auch schon mal hinter dem Tor (also dem Gehäuse, nicht der Torlinie) und nicht etwa im Strafraum. In der 83. Minute könnte Thun auf 0:2 erhöhen – doch Ferreira rutscht im dümmsten Moment aus. In der 86. Minute erhöht Thun auf 0:2. Tosetti überläuft am rechten Flügel Gegenspieler um Gegenspieler, flankt dann auf Karlen und der platziert den Ball herrlich unter der Latte. Und plötzlich reissen sich in der Thunkurve selbst solche Fans die Kleider vom Leib, die noch zur Pause dumme Sprüche gemacht haben über die Oben-Ohne-Leute in der GC-Kurve – und den zu jenem Zeitpunkt einzigen Nachahmer auf Thuner Seite. Thun ist im Punktefieber.
Nach Schlusspfiff könnten die Gegensätze nicht grösser sein: Der GC-Capo hält den Spielern eine Standpauke hält – allerdings auf Züritüütsch, wer versteht das schon in Zürich. Derweil feiern wir die Thunspieler. Kritisieren können wir höchstens, dass Ferreira ausgerechnet einem Fan das Trikot durch den Zaun reicht, der nicht oben ohne da steht. Und irgendwie noch, dass Thun derzeit nur Spiele in Zürich gewinnt. Es ist nun wirklich an der Zeit für den ersten Sieg auf Nicht-Zürcher-Boden seit Dezember 2017. Gegen Luzern klappt das aber sicher. Hopp Thun!

«Am Schluss kann man eine grosse Klappe riskieren, wenn man etwas gewonnen hat.»
Murat Yakin