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Thun - Sion 2:1
30.04.2017Super League 2016/2017


An jedem Tag eine gute Tat. Das habe ich schon als Kind in den Micky Maus-Heften gelesen. Zwar bin ich dann nie beim Fähnlein Fieselschweif gelandet, da ich die Kadetten immer spannender und trinkfreudiger fand als die Pfadfinder. Aber die Lebensweisheit habe ich mit ins seriöse (ja, seriöse!) Erwachsenenleben übernommen. Und so nehme ich heute im Zug einen Sion-Fan mit mit Mitnahmeticket. So spart er Geld und ich habe gute Unterhaltung auf der Fahrt nach Thun. Auch wenn wir merken, wie unterschiedlich wir den Fussball leben. Der Sion-Fan sorgt sich wegen dem Cupfinal, ich mich wegen dem Abstiegskampf. Auf den Deal, dass Sion ja am 25. Mai gewinnen kann und Thun dafür am heutigen 30. April will er sich aber doch nicht einlassen. So muss ich hoffen, dass mich jemand anders vom FC Sion für meine heutige gute Tat angemessen entschädigt.
Vor dem Stadion wollen wir gemütlich zusammen sitzen, zumal inzwischen Kevä zu uns gestossen ist. «Es hat sicher irgendwo ein Bänkli zum Abhocken», verspreche ich. Nun, Bänkli hat es, die sind aber alle schon besetzt. Im Gegensatz zu mir haben ganz viele Thuner mitgekriegt, dass heute auf dem Arena-Vorplatz ein Food Festival stattfindet. Während ich trotzdem an meinem italienischen Bier aus dem Denner und meinem schweizerischen Sandwich aus dem Coop festhalte, zeigen sich meine Kollegen weit wagemutiger. Der Sion-Fan bestellt sich eine Curry Wurst, während Kevä sich auf das Experiment Bananen-Burger einlässt. Auch wenn ich wohl nie Vegetarier werde und in meinem Burger wirklich ein dickes Stück Fleisch möchte, muss ich nach einem Suarez-Probe-Biss zugeben: Dieser frittierte Bananen-Burger ist zumindest besser als jedes Tofu-Gericht.
Und doch halten wir dann vor Schrecken die Hand von den Mund: Auf dem Arena-Vorplatz macht die Nachricht die Runde, dass Ueli Steck beim Mount Everest in den Tod gestürzt ist. Ein grosser Berner Oberländer Sportmann. Keine Frage, dass wir vor dem Match im Stadion eine Trauerminute für Ueli abhalten. In der Thuner Kurve ist die Anteilnahme gross und dementsprechend kein Wort zu hören. Dagegen zeigen die Sion-Fans absolut keinen Respekt und machen während der ganzen Trauerminute laut Stimmung. Liebe Walliser, habt ihr wirklich so wenig Anstand oder seid ich nach einer kurzen Fahrt durch den Lötschberg schon zu besoffen, um überhaupt zu merken, dass sich die beiden Teams für eine Trauerminute auf dem Platz versammelt haben!?
Das Spiel hebt unsere Stimmung auch nicht wirklich. Sion spielt von Anfang an ein starkes Pressing und lässt die Thuner wie Statisten aussehen. In der 10. Minuten herrscht schon grosse Torgefahr im Thuner Strafraum. Constant lanciert Konaté, der aber an Faivre scheitert. Doch der lässt wieder einmal einen Abpraller zu, bei dem Akolo am Schnellesten reagiert: 0:1.
Wenigstens bleibt uns der Ärger erspart, dass das Tor auf der Grosseinwand angezeigt wird. Jedenfalls nicht so, dass man den Zwischenstand entziffern könnte. Denn der Sony-Bildschirm im Weltformat zeigt heute in der ersten Halbzeit ein wildes Farbenspiel statt lesbare Informationen. Das sind ja Zustände wie im Brügglifeld.
Nicht wenige Thunfans meinen deshalb, dass die beiden «Nid grüen»-Spruchbänder des Block Süd ein Statement gegen den wild gewordenen Stadionbildschirm sind. Doch stattdessen stören sie sich am schwarzen Spielerdress bzw. am grünen «Härzbluet»-Aufdruck mitten auf der Brust. Haben Ultras wirklich keine grösseren Sorgen? Also ich habe mittlerweile ein Alter erreicht, wo ich nicht einmal entziffern kann, ob so eine Aufschrift Rot, Weiss oder Rosarot ist.
Wahrnehmungsprobleme scheint auch Sions Nummer 50 zu haben. Ob er sich die Nummer gemäss seinem gefühlten Alter geschnappt hat? Jedenfalls ist er der einzige, der in 31. Minute bei einem Angriff von Peyretti und Sorgic in Panik gerät. Denn eigentlich verfehlt Sorgic ja den Ball, doch setzt Lüchinger trotzdem nach. Und schiebt so den Ball über die Linie. 1:1. Tja, an jedem Tag eine gute Tat.
In der Pause verabschieden wir Jürg Bodmer , von allen in der Kurve nur Tschögä genannt. Nach 23 Jahren tritt er als Materialwart ab. Und spricht im grossen Interview auf dem Rasen wehmütig nochmals auf guten alten Lachen-Zeiten und legendären Spielen gegen Arsenal. Da werden Erinnerungen wach. Der Gegensatz zum nächsten Programmpunkt könnte nicht grösser sein: Härzbluet präsentiert eine «Dizzy Goals»-Challenge mit FC Thun-Junioren. Die müssen sich erst 20 Mal bzw. 15 Mal ganz schnell im Kreis drehen, bevor sie auf ein Tor schiessen müssen. Eine lustige Sache. So stark schwankende Fans sieht man ansonsten nur bei Eishockey-Pausenspielchen. Ob die sich zuvor wohl ebenso schnell im Kreis gedreht haben? Die FCT-Jungs zeigen jedenfalls eine Topleistung: Drei Schüsse, drei Treffer. Beim ersten Schuss landet der Ball im Tor. Beim zweiten Schuss landet der Ball im Tor. Beim dritten Schuss landet der linke Schuh im Tor. Die Challenge wird natürlich mit 3:0 gewertet.
Und dieser Ehrgeiz der Junioren scheint die Erwachsenen im Stadion anzuspornen. Auf dem Feld gewinnen plötzlich die Thunspieler die Oberhand. Und auch hinter den Kulissen wird fleissig und erfolgreich gearbeitet. Nach rund einer Stunde funktioniert der Stadionbildschirm nach einem Neustart wieder einwandfrei. Derweil haben die Sion-Fan s nur noch einen Wunsch, den sie auf zwei Spruchbändern verkünden: «Merci Peter. A bientôt pour une bière.» Auch eine Variante, den neuen Trainer zu dissen. Und spielen eigentlich auch die Sion-Spieler gegen den Trainer? Oder bauen die Walliser etwa leistungsmässig deshalb so stark ab, dass sie auch sicher im Cupfinal von den Baslern unterschätzt werden? Anders können wir uns den schwachen Walliser Auftritt inklusive regelmässigem Wir-wälzen-uns-am-Boden-Zeitspiel nicht erklären.
Nur kann Thun von der Sion-Schwäche einfach nicht profitieren. Weshalb ich die Einwechslung von Rapp fordere. So ein Grosser mit solch grosser Kopfballstärke könnte jetzt den Unterschied machen. Doch Lustrinelli will und will nicht wechseln. Erst in der 89. Minute kommt Rapp für Fassnacht. Zu spät, oder!? Drei Minuten Nachspielzeit werden angezeigt. Und die sind auch schon fast um, als Thun nochmals zu einem sechsten Eckball kommt (die Thuner gewinnen die Eckballbilanz 6:1). Tossetti schlägt die Flanke in den Strafraum, wo Rapp steht und doch tatsächlich zum 2:1 einschiesst. Die Sion-Abwehr lässt also in der allerletzten Spielsekunde den Thun-Sieg zu. An jedem Tag eine gute Tat.
Und so feiern wir ausgiebig den Fast-Ligaerhalt. Mitten drin Tschögä mit einem «Danke»-Shirt, das er uns stolz zeigt. Ein schöner Karriereabschluss für ihn. Merci, Tschögä!