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Thun - Vaduz 1:0
23.08.2015Super League 2015/2016


Einmal Rojas. Dann Frontino. Dahinter Faivre. Und Ferreira. Und schliesslich auch noch Hediger. In meiner Original FC Thun-Babuschka vom Altstadtmärit in Prag stecken wirklich sämtliche Schlüsselspieler des FC Thun. Da hat der Prager Holzspezialist vor der Anfertigung eindeutig besser recherchiert als die EA Sport-Programmierer bei ihren FIFA-Games. Der einzige Patzer ist bei den Sponsorennamen passiert. Auf der Babuschka-Brust steht nämlich «Reiffeisen» statt «Raiffeisen». Oder hat etwa Topbanker Luginbühl zu viel Geld für die Namensrechte verlangt? Wobei ich mich heute aufklären lassen muss, dass ja ich selber für den grössten Patzer bei meinem Prag-Mitbringsel verantwortlich bin. Denn gemäss Schachtelsystem-Puppenkenner handelt es sich gar nicht um eine Babuschka, sondern um eine Matrjoschka. Oder wie auch Wikipedia weiss: «Matrjoschka (im Deutschen auch Matroschka oder irrtümlicherweise auch Babuschka-Puppe) sind aus Holz gefertigte und bunt bemalte, ineinander schachtelbare, eiförmige russische Puppen mit Talisman-Charakter.» Nun ja, Hauptsache das mit dem Glücksbringer stimmt. Denn Thun braucht auch in den kommenden Tagen dringend mehr Tore und mehr Siege und ehrlich gesagt ebenfalls mehr Zuschauer, auch im Europacup. Und so wird das Arena TV heute in der Pause in ein Teleshopping-Programm mit den 1898live-Moderatoren Carlo und Mattäng umgewandelt. Was wir beide bei unserem Interview auf dem Arena-Rasen nicht alles anpreisen: Matroschka-Puppen, Prag-Reisen und – besonders hinterlistig – auch FC Thun-Tickets. Bei der ganzen Showeinlage geht es nur darum, Thunfans zum Ticketkauf für das Rückspiel gegen Sparta zu motivieren. Schliesslich reicht es doch, wenn sich YB bei seinen Europacupheimspielen mit knapp 6000 Zuschauern blamiert. Da müsste doch in Thun eine höhere Zuschauerzahl möglich sein. Vorausgesetzt, man blendet im besten Marketingdeutsch ein wenig die Zuschauer. Also erwähnen Carlo und ich das aktuelle Leistungspotenzial der Thuner gar nicht erst und bezeichnen die Spielweise des FC Thun-Jahrgangs 2015/2016 stattdessen als «herzhaft» und «mutig» (Bravo Carlo für diese fantasievolle und doch völlig realistische Umschreibung eines wenig erfolgsversprechenden Spielkonzepts!) Zudem argumentieren wir mit vergangenen Europacuperfolgen. «Ich war zweimal an einem Playoffrückspiel. Malmö haben wir 3:0 geschlagen. Belgrad haben wir 3:0 geschlagen. Also schlagen wir auch Prag 3:0», rechne ich vor. Was vor allem auch dann möglich wird, wenn laut Carlo der «13. Mann», die Fankurve, hinter Thun steht. Eh ja, Zahlen sind nicht so sein Ding. So behauptet er auch, es seien nur 25 Thuner in Prag gewesen – obwohl alleine im Pub Praha 6 rund 50 Thuner Bier angezapft haben, wie ich umgehend korrigiere. Aber meine wahre Botschaft dieses Interviews lautet samt weiterer Werbebotschaft: «Ich verwette alle meine Zahnbürstli darauf, dass wir gewinnen – 3:0. Ho ho Hopp Thun.»
Ich muss eingestehen, dass mir der ganze Werbedreh Spass gemacht hat. Dumm nur, dass jetzt die ganze Fussballwelt weiss, dass ich Mätthu Flückiger heisse. Lampenfieber hatte ich aber in jenen drei Minuten nicht. Umso besser, sind doch meine Hände in den 45 Minuten zuvor (und auch in den 48 Minuten der zweiten Halbzeit) fast ununterbrochen am Zittern. Denn bei all dem Europacup-Pausenklamauk geht fast vergessen, dass die wirklich wichtige europäische Begegnung dieser Tage bereits hier und heute in der Arena ausgetragen wird. Immerhin 5000 (allerdings sehr grosszügig gezählte) Thuner nehmen sich heute auch Zeit für den Abstiegskampfknaller Thun gegen Vaduz. Dafür keine Vaduzer. Kein Fancar oder Fernbus ist vor dem Stadion vorgefahren, kein einziger Vaduzer steht oder sitzt im Gästesektor. Diese Ignoranz des gegnerischen Anhangs gegenüber dem heutigen Spiel stimmt uns Thuner irgendwie noch depressiver. Ausgerechnet hier steht die Super(League)-Zukunft unseres Vereins auf dem Spiel? Ich habe ja das Glück, dass ich heute wegen meiner Interviewgast-Rolle mit einem Passpartout ausgestattet worden bin, dank dem ich mich in sämtlichen Thuner Sektoren sowie – kein Witz – auf dem Spielfeld aufhalten darf. Auf Letzteres verzichte ich, weil ich kein aktuelles Trikot mit Rückennummer habe. Aber den persönlichen Stadionrundgang lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Und ja, meine Erkenntnis dabei ist, dass das Thuner Spiel derzeit aus jedem Blickwinkel heraus unschön anzusehen ist. Ja, Sforza zappelt und schreit am Spielfeldrand in bester Feuz-Manier. Und ja, Faivre und seine Verteidigung strecken sich nach jedem Ball. Und ja, die Mittelfeldspieler laufen ihre Kilometer. Und ja, auch in der Offensive lassen die Thuner nichts unversucht. Aber egal, welche 11 Thunspieler nun gerade zusammen auf dem Platz stehen und allesamt engagiert kämpfen, fehlt einfach der letzte Funken Spielwitz. Bald wird klar, dass Thun einmal mehr aus dem Spiel heraus gegen Vaduz kein Tor schiessen wird. Früh müssen wir darauf hoffen, dass Vaduz sich mal wieder einen Aussetzer in der Kategorie Eigentor oder Unsportlichkeit im Strafraum leistet. Und tatsächlich ist es in der 27. Minute soweit. Grippo wehrt sich wacker wie ein Handballspieler gegen einen Schuss von Frontino und begeht ein Handspiel. Gelb und Penalty! Frontino setzt sich den Ball und nimmt Anlauf zum Duell gegen Jehle. Er trifft sicher. 1:0.
Und das wars dann eben schon mit den Thuner Glücksmomenten. Positiv ist höchstens noch, dass die Vaduzer, die sich ohnehin von Schiedsrichter Fähndrich unfair behandelt fühlen, weit mehr Karten sammeln als die Thuner. Aber mangels guter Thuner Chancenauswertung müssen wir tatsächlich ab der 80. Minute noch um den Sieg zittern. Also ein starkes Team könnte gegen ein solches Thun in der Schlussphase noch locker zwei bis drei Tore schiessen. Aber Vaduz ist heute auf dem Spielfeld so schwach, dass nicht mal das Minimalziel Tor erreicht wird. Und sind wir trotz aller Kritik an den Thunern doch ehrlich: Vaduz hätte für diesen Auftritt nun wirklich keinen Punkt verdient gehabt. Die Saisonpunkte Vier, Fünf und Sechs gehen aus dieser Sicht in Ordnung.

P.S. Für dieses Spiel heute habe ich übrigens ein 1:0 prophezeit. Wird also schon klappen mit dem 3:0. Mulmig ist mir nach diesem Spiel ohnehin mal nicht wegen den Thuner Perspektiven in Meisterschaft und Europacup, sondern aus einem privaten Grund. In Prag bin ich nämlich nicht nur auf 50 geschätzt worden, sondern, wie ich heute erst erfahre, von einer Schneiderin per Ferndiagnose gar als 53-Jähriger(!) eingestuft worden, also sprich mit einem anderen Kurvenmitglied verwechselt worden. Auf was für Kommentare unter dem Youtube-Video des Pauseninterviews muss ich mich also in den nächsten Tagen einstellen? Dass Carlo mindestens 10 Jahre jünger aussieht als ich? Die sich bei mir anbahnende Midlife-Crisis scheint die FC Thun-Krise bald zu übertreffen.