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Vaduz - Thun 2:2
06.08.2015Europa League 2015/2016


Heute beginnt die Mission «Gebt ordentlich Gas und Senf und bringt Mattäng nach St. Gallen». Eh, wie bitte, wir fahren doch an ein Europacupspiel nach Vaduz. Da fahren doch höchstens Autobahnschilder-Legastheniker an St. Gallen vorbei. Und Zugfahrer nehmen ja sicher lieber die Route über Romanshorn. Nun, die Mission erklärt sich so: Mattängs Arbeitskollegen in der Nicht-Fussballstadt-Zürich haben auf den Abend des 22. Septembers einen Firmenanlass angesetzt. Just an jenem Dienstagabend, an dem Thun in St. Gallen spielt. Wobei sie Mattäng ermuntert haben, dass Thun doch am 22.9. gar nicht spielen wird. «Wenn Thun in die Gruppenphase des Europacups kommt, ist ja das Spiel erst am Mittwoch. Und das schafft Thun sicher». Optimist muss man sein im Leben. Oder Fussballignorant. Denn wer in dieser Saison schon Thunspiele gesehen, weiss, dass heutzutage selbst ein Unentschieden gegen Vaduz eine grosse Herausforderung für die verunsicherte Mannschaft ist. Da wird die Mission «Gebt ordentlich Gas und Senf und bringt Mattäng nach
St. Gallen» quasi zur «Mission Impossible 5: Rogue Nation». Weshalb das erste Missionsmitglied auch schon vor der Abfahrt ausschwenkt. Kevä will heute Abend lieber Span am Thunfest sehen als den Neymar für Arme im Rheinpark Stadion. Fanclublegende und Mattäng fahren aber los – und setzen schon kurz nach Zürich zum ersten High Five an. «Forte bei YB entlassen!» vermeldet DRS3 um halb Fünf. Mensch Uli, da ist der geschwätzige Titelanwärter mal wieder echt… geschwätzig. Und Mattäng erhält sofort die Aufgabe, auf dem Pannenstreifen nach einem schwarzen Honda mit Berner Nummernschildern Ausschau zu halten. Denn der tüchtige Uli ist doch bestimmt schon losgefahren, um seinen (vermeintlich) nächsten Gegner in Vaduz zu beobachten. Aber wahrscheinlich hat er sein Auto bereits gewendet und ist längst unterwegs zum Vorstellungsgespräch im Letzigrund. Toi toi toi Uli.
In Vaduz angekommen, verläuft die Ticketbeschaffung etwas absurd. Für den Parkplatz wollen und brauchen Fanclublegende und Mattäng zwar kein Ticket, müssen aber bei der Barriere trotzdem eines lösen. Auch wenn die Barrieren nach dem Match traditionsgemäss oben sein werden und im reichen Liechtenstein niemand daran denken wird, am Strassenrand Bargeld von den Autofahrern einzusammeln. Dafür wollen und brauchen Fanclublegende und Mattäng ein Matchticket, werden aber am ersten «Hier alle Tickets!»-Schalter abgewimmelt. Die Verkäuferin ist wohl erst im 2. Lehrjahr und ist im Lernprozess noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie auch Tickets für die Gästekurve ausdrucken kann. Am benachbarten Schalter ist der Ticketprozess dagegen innert Sekunden erledigt.
Als Nächstes steht ein Abstecher ins Städtle auf dem Missionsprogramm. Mattäng hat sich extra auf der Website des Tourismusbüros eine grosse Karte der Innenstadt ausgedruckt, deren Massstab sich ungefähr als 1:4 erweist. Fanclublegende jammert zwar auf dem «viel zu langen» Weg vorbei an einem heuenden Bauern, einem Geissenpark und an Helly's Trachten Mode und Dirndl Stube. Nach gerade mal zehn Minuten haben die beiden aber den ländlichen Teil von Vaduz bereits hinter sich gelassen und stehen mitten in der City von Vaduz. In der ersten, bis auf den letzten Platz besetzten Beiz trinken sich Thuner ein; auf dem Dorfkreisel fotografieren Japaner mitten zwischen den Autos Vaduzer Sehenswürdigkeiten, die für uns Thuner nicht wirklich erkennbar sind; und ein kleines Grüppchen Vaduzfans marschiert Richtung Stadion. Sie liefern gleich den Beweis, dass heute nicht irgendein beliebiges Europacupspiel auf dem Programm steht, sondern ein Duell unter Bekannten, bei dem der NLA-Abstiegskampf bei allen im Hinterkopf herumspukt. Entsprechend fallen die Vaduzer heute auch durchwegs durch leidenschaftlichen Trash Talk auf. Was zumindest Mattäng gefällt. Und so stimmen die fünf Vaduzer an: «Häbet nech am Gitter, Thuner alles Kinderficker». Wobei der Jodelchor all die Wörter in einem so seltsam fremdländischen Dialekt ausspricht, dass es plötzlich in jedem Wort einen «O» wie «Oh Gott, seid ihr kreativ» hat. Fanclublegende bleibt völlig charakterfremd ruhig und gesteht erst später beim Eintrinken im Restaurant Adler: «Du Mattäng, was haben die eigentlich gesungen? Ich habe kein Wort verstanden.» Da bestellen wir bei der sympathischen Marlene vom Adler doch lieber noch ein Weizen. Und natürlich ein echt liechtensteinisches Brauhaus. Man will ja auch die heimische Braukunst würdigen. Die Getränke sind herrlich kühl. Und das Essen tiptop und in grosszügigen Portionen serviert. Und ja, das thunfans.ch-Team möchte betonen, dass die Marlene sympathisch ist. Was an einem Matchtag wie diesem nicht auf sämtliche Vaduzerinnen zutrifft.
Im Stadion warten im Gästesektor nämlich gleich im doppelten Doppelpack Überraschungsgäste auf uns. Positiv ist, dass es Bertl und sein Kumpel aus Augsburg tatsächlich nach Vaduz geschafft haben. Tolle Aktion! Einfach am Outfit müssen wir noch etwas üben. Zwar fällt auch Mattäng in seinem Businessstil mit langen schwarzen Hosen und weissem Hemd aus der Rolle. Aber sich an einem solchen Tag Augsburg-Wollschals umzubinden, ist irgendwie auch fehlplatziert. Schliesslich findet dieses Spiel bei 35 Grad statt! Und das haben wir nicht etwa mit einer elektrischen Zahnbürste, die wir in einen Thermometer umgewandelt haben, gemessen. Nein, der Vermerk «Der Platz ist trocken: 35°C» steht so auf der offiziellen Seite der Uefa. Zum Vergleich: Beim Spiel in Israel, während dem es bereits um 20 Uhr eindunkelte, sprach die Uefa von 22°C. Wers nicht glaubt: http://uefa.to/1HuZz2I.
Als negative Überraschung entpuppen sich dagegen zwei andere Überraschungsgäste. Zwei Vaduzerinnen, nennen wir sie mal Olga und Inga, suchen sich ihren Platz in der vordersten Reihe des Gästesektors. Aber klar doch. Da sie keine Fanutensilien tragen, halten wir sie erst für eingeschleuste Köder des Blicks, da ihr knappes Lumpenoutfit Erinnerungen an jene Tage weckt, als der Blick bei Thuner Trainingseinheiten halbnackte Teenies für fragwürdige Fotoshootings neben den Spielfeldrand stellte. Es ist ja wirklich echt der Hingucker, viel zu grosse T-Shirts zu tragen, die den Blick auf verwaschene BHs und darin hängende Brüste freigeben. Nein, ist es nicht. Während wir singen, zünden sie sich im 15-Minuten-Rhythmus Zigaretten an. Und als wir in der 32. Minute über das 1:0 von Costanzo fluchen, springen sie jubelnd auf und klopfen wild gegen die Werbetafel vor ihnen. Als Mattäng zur blonden Inga geht und sie bittet, sich doch einen anderen Platz zu suchen, meint diese nur: «Willst du, dass ich die Polizei rufe?»
Dümmer als die Polizei erlaubt, wirkt in dieser ersten Halbzeit auch der FC Thun. Die Leistung ist grundsätzlich nicht schlecht, da die Spieler engagiert und kämpferisch auftreten. Nur mit gutem Fussball hat das leider auch heute über weite Strecken nichts zu tun. Selbst ein Rojas ist so unsichtbar, dass Fanclublegende und Mattäng auch nach über einer halben Stunde felsenfest behaupten, dass Rojas heute bloss Ersatzspieler ist. Prompt erzielt er in der 38. Minute das 1:1. Nur eben: Direkt vor dem liechtensteinischen Pausentee (von Adler-Marlene serviert?) begeht ein Thuner ein Foul an der Strafraumgrenze. Worauf sich der Neymar für Arme den Ball setzt und den Ball an der schlecht gestellten Mauer plus Faivre vorbei ins Netz hämmert. 2:1. Und sofortiger Pausenpfiff des Heimschiriteams aus Rumänien.
Die Pause nutzt Mattäng zum Gespräch mit den Sicherheitsleuten, deren Augen stets auf die Tribüne mit den Gästefans gerichtet sind. Dass sich da aber die dunkelhaarige Olga und die blonde Inga als Max 1 und Max 2 für ihr Team einsetzen, kümmert sie nicht. Die rund 250 Thunfans, die 300 Kilometer weit gefahren sind, haben sich halt den beiden osteuropäischen Besucherinnen unterzuordnen. Kaum ist das Gespräch fertig, ertönt über den Lautsprecher die Durchsage «Allgemein gilt im Rheinpark Stadion ein Rauchverbot. Das Rauchen ist nur an den gekennzeichneten Bereichen erlaubt».
In der zweiten Halbzeit müht sich Thun weiter ab. Fanclublegende und Mattäng werden immer mehr zu den Muppet Show-Quälgeistern Statler und Waldorf. Mattäng beklagt sich darüber, dass Thun im Mittelfeld zu langsam vorwärts kommt. Und Fanclublegende beklagt sich darüber, dass Faivre das Spiel unnötig schnell machen will und seine Abstösse ins Nirgendwo schlägt. Einig sind sie sich nur, wenn Schiedsrichter István Kovács mal wieder pfeift. Da verwerfen sie synchron die Hände und motzen lauthals – unterstützt durch einen Schiedsrichterkritiker mit Vaduz-ähnlichem Dialekt.
Auch als in der 65. Minute bei einer Szene im Thuner Strafraum ein Pfiff ertönt, wird im Chor gemotzt. Das Stürmerfoul von Messaoud ist doch sicher eine Gelbe Karte wert. Doch es gibt einen simplen Freistoss. Faivre tritt ihn weit in die gegnerische Platzhälfte – Fanclublegende will schon zur nächsten Kritik ansetzen, während Mattäng die Aktion beklatscht – wo Rapp an den Ball kommt. Er passt den Ball weiter zu Buess, der zum Duell gegen Vaduz-Goalie Klaus ansetzt. Buess schiesst und trifft. 2:2. Thun ist endlich wieder im Vorteil.
Was besonders Mattäng freut. Denn der benötigt ja noch Zeit für sein eigenes Duell. Er wirft verdächtig viele Blicke auf Olga und Inga in der Reihe vor ihm. Wann immer sie etwas hervorgrübeln, schaut er genau hin. Einmal ist es das Smartphone, ein zweites Mal ist es wieder das Smartphone und auch das dritte Mal handelt es sich um einen Fehlalarm. Dann aber nehmen Olga und Inga ihre Zigaretten hervor und zünden sie an. Mattäng reagiert sofort. Mag in der Vaduzer Stadionordnung Respekt gegenüber gegnerischen Fans nicht schriftlich festgehalten sein, ist es der Respekt gegenüber Nichtrauchern sehr wohl. Mattäng spricht Olga und Inga an und erntet nur Gelächter und Spott. Eine fragende Geste in Richtung Sicherheitsleute verläuft auch ergebnislos. Geschlagen geht er zurück an seinen Platz. Doch dann marschiert ein Sicherheitsmann die Treppe hinauf und direkt auf Mattäng zu. Für Fanclublegende ist klar: «Jetzt musst du raus aus dem Stadion.» Doch das Ziel des Sicherheitsmanns ist nicht Reihe 2, sondern Reihe 1. Er setzt sich direkt neben Olga und Inga und spricht auf sie ein. Der Inhalt des Gesprächs ist für Thuner Ohren nicht verständlich, aber bald darauf stehen sie auf, um sich einen neuen Platz zu suchen und dort weiter zu rauchen. «Hopp Vadoz!» schreit Inga als Abschiedsgruss. «Auf Wiedersehen!» schreit Mattäng zurück. Endlich Emotionen bei einem Europacupspiel, dem Abstiegskampf im Hinterkopf sei Dank. Dieser Liechtensteiner Länderpunkt hat sich wirklich gelohnt. Mattäng grinst. Derweil rauchen die Thunfans direkt hinter mir gemütlich ihre Zigaretten fertig.
Das Spiel ist definitiv auch auf Abstiegskampfniveau. Ab der 70. Minute zieht sich Thun in die eigene Platzhälfte zurück. Nur noch eine gute Chance hat Thun. Unbegreiflich, wie Buess dieses zweite grosse Duell gegen Klaus nicht für sich entscheidet. Das Spiel wird hart geführt. Als ein Thuner am Boden liegt bleibt, spielt Vaduz nicht nur einfach weiter, sondern führt wenig später in Überzahl sogar einen Freistoss aus – alles toleriert vom rumänischen Trio. Dafür sieht Faivre sogleich Gelb, als er sich bei einem Abstoss etwas länger Zeit lässt. Überhaupt mehren sich jetzt die Unterbrüche. Von daher sind die drei Minuten, die der Schiedsrichter nachspielen lassen will, gut gemeint mit Thun. Dumm nur, dass es doch jene fünf Nachspielminuten werden, die angebracht sind. Und so kommt in der 94. Minute tatsächlich Vaduz nochmals zu einem Eckball. Alle Liechtensteiner sind im Thuner Strafraum, auch Torhüter Klaus. Der Neymar für Arme tritt den Corner, der Ball fliegt als Freund und Feind vorbei auf die Nummer 5 von Vaduz zu, der tatsächlich frei zum Kopfball kommt. Pergl köpfelt – zum Glück rechts am Tor vorbei. Ein Treffer in diesem Moment wäre so ein richtiger Forte-Moment gewesen.
Das Spiel endet nach langen 95 Minuten mit 2:2. Und während der Speaker beschwichtigend verkündet, dass sich Vaduz jetzt ganz auf die Meisterschaft konzentrieren könne, feiern 250 Thuner ihre Mannschaft. Die Leistung mag nicht sonderlich gewesen sein, doch schaffen es derzeit von den NLA-Teams nur der FCB und der FCT, sich mit Hängen und Würgen erfolgreich durch Europacuprunden zu kämpfen. Und das ist doch auch ein Leistungsausweis. Und so sieht man sich in 14 Tagen in irgendeinem (ost-)europäischen Land wieder, wo die Mission «Gebt ordentlich Gas und Senf und bringt Mattäng nach St. Gallen» hoffentlich ebenso erfolgreich ihre Fortsetzung findet.