Thunfans » Spielberichte » Super League 2014/2015 » Thun - FCZ
Thun - FCZ 2:2
17.05.2015Super League 2014/2015


Was mussten Sie in Thun lernen?
Geduld. Ich habe gelernt, dass es beim Einkaufen auch mit weniger Hektik geht. Wenn die Frau an der Kasse mit der Kundin einen Schwatz abhält, ist das doch wunderbar. Man darf hier zwei Sätze miteinander wechseln, ohne dass in der Schlange der Aufstand ausbricht. Stellen Sie sich das in Zürich vor!

So erklärt uns Urs Fischer also in einem Tagi-Interview den Unterschied zwischen der Thuner und der Zürcher Mentalität. Nun ja, Urs sollte mal mit mir an einem Werktag einkaufen kommen. Mit meinem so langsam wie eh und je gesprochenen «Grüessch. Tierbildli bruchi no. Merci u e ganz schöne Tag» vermag ich also jede Coop-Schlange in Trance zu versetzen. Und ich kaufe während der Woche in Zürich ein. Aber stimmt halt schon, in der Region Thun gibt’s im Coop nochmals einen zusätzlichen Entschleunigungsschub. Wenn da unverhofft (und unnötig!) über Lautsprecher eine Betty Bossi-Ladies Night im Stade de Suisse beworben wird, beginnt das Rentnerpaar an der Kasse sogleich zu diskutieren, ob YB denn solche Aktionen nötig habe. Worauf ich natürlich einwerfe, dass der wahre Coop- und Fussballkenner selbstverständlich an Thunspiele geht. Da schaut uns die Kassiererin bloss verwundert an und meint dann trocken, dass Fussball nichts für sie sei. «Mi Sport isch Hockey. Dert geits de richtig zur Sach.» Ob Urs Fischer wohl Diskussionen wie diese meint? Und kann man wohl deswegen im Coop nur Tierbildli sammeln und nicht auch Fuesballbildli? Das gäbe doch bestimmt an Thuner Coop-Kassen solange Schlangen wie man sie selbst am Gotthard noch nie gesehen hat.

Ja, der Thuner lässt sich so durch nichts aus der Ruhe bringen. Heute ist zwar ein wichtiges Spiel gegen den FCZ, aber eine Viertelstunde vor Spielbeginn ist die Arena höchstens zur Hälfte gefüllt. Irgendwo bleibt schliesslich immer noch Zeit für einen Schwatz. Und dass jeweils jedes zweite dieser Gespräche von Kevä lanciert wird, mag auch stimmen. Also wer es noch nicht mitbekommen hat: Um ein Fulehunghaar hätte er doch tatsächlich den Match verschlafen. Zum Glück ist er kurz vor 13 Uhr gerade noch rechtzeitig geweckt worden. Wäre auch zu schade gewesen, dieses Spiel zu verpassen. Nicht nur Kevä, sondern auch hunderte weitere Thuner schaffen es gerade noch rechtzeitig ins Stadion, so dass dann immerhin eine Zuschauerzahl von 7071 Personen vermeldet werden kann. Was wiederum die höchste Zuschauerzahl sämtlicher Schweizer Vereine ist, die an diesem Wochenende nicht Schweizer Meister werden können. Chapeau Thun!
Nur von der Thuner Spielfreude ist zu Spielbeginn wenig zu sehen. Da startet doch tatsächlich der FCZ besser ins Spiel und kommt zu einigen Chancen. Die Zürcher zeigen überraschend so viel Biss, wie ihn bei Partien zwischen Thun und Zürich gewöhnlich nur Marder unter Beweis stellen. Uns erscheint der Zürcher Auftritt etwas gar überhart, bei mehreren Szenen wären wir froh, wenn Schiedsrichter Erlachner energischer eingreifen würde. Doch der zeigt erst in der 39. Minute erstmals Gelb – zugleich an Nef und Sulmoni wegen einem Handgemenge während einem Zürcher Freistoss. Diese Spielszene schmerzt Thun dann gleich noch mehr. Der Freistoss wird zwar eher harmlos getreten, doch als umso kniffliger erweist sich der anschliessende Eckball. Nef köpfelt den Ball Richtung Tor, Wittwer wehrt den Ball auf der Linie ab, Faivre schnappt sich den Ball und Erlachner entscheidet auf… Tor! Wittwers Aktion entsprach also doch nicht dem Regelbuch, der Ball war zuvor bereits ganz über der Linie. Was wiederum längst nicht jeder im Stadion so gesehen hat, weshalb wir noch über das Schiedsrichtertrio schimpfen, als dieses bei einem Freistoss auf der anderen Seite eine Offsideposition von Sulmoni übersieht. Dieser lässt sich nicht zweimal bitten und schiesst zum 1:1 ein. Nach nicht mal zwei Minuten herrscht wieder Gleichstand. Und wir merken, dass sich eine vordere Tabellenposition schon nur wegen dem Schiri-Goodwill lohnt.
In der zweiten Halbzeit gibt’s dann eine Lektion in Sachen Fairplay. Als sich in der 76. Minute Gonzales bei einem Zweikampf mit einem Koch (Philippe um genau zu sein) am Knie verletzt und liegen bleibt, spielt der FCZ einfach seinen Angriff zu Ende. Erst über eine Minute später kann Gonzales auf der Bahre vom Feld getragen werden. Als dann fünf Minuten später Koch nach einem Zweikampf mit Munsy liegen bleibt, bricht Thun seinen Angriff sofort ab und spielt den Ball nach draussen. Böse Überraschung Nummer 1: Koch hat bloss simuliert und hüpft gleich wieder munter herum. Böse Überraschung Nummer 2: Gleich in der nächsten Szene wird der FCZ mit einem Freistosspfiff beglückt, der sogleich von Chikhaoui in ein Tor umgemünzt wird. Nach 85 Minuten steht es 1:2. Nun ist selbst Kevä wieder putzmunter und verwünscht umgehend die ganze Fussballwelt. Die Vorfreude auf all die irren Europacupreisli war doch so gross. Und der FCSG ist doch auch schon wieder am Verlieren. Nur Thun, ja Thun, setzt auch in diesem so wichtigen Spiel auf Gemütlichkeit und nimmt den erneuten Rückstand als ganz normale Herausforderung wahr. Kaum noch vorhandene verbleibende Spielzeit hin oder her. Und die Coolness wird natürlich belohnt: In der 88. Minute passt Munsy den Ball auf der rechten Strafraumseite zu Rojas, der den Ball perfekt platziert für Siegfried. Dieser schiesst flach zum 2:2 ein. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Und ein Speaker, der sich als Munsy-Fan entpuppt und prompt dessen ersten Saisontreffer vermeldet. So feiern wir halt gleich zwei Torschützen gleichzeitig. Und als schliesslich Schluss ist, feiern wir erst recht: Zum ersten Mal überhaupt am heutigen Nachmittag nimmt die Kurve das «E»-Wort in den Mund: «Europapokal, Europapokal, Europapokal…»

Haben Sie in Thun eine perfekte Stelle gefunden?
Ja. Weil die Zusammenarbeit top ist. Aber die Prüfung kommt erst, wenn es einmal nicht mehr so gut läuft.