Thunfans » Spielberichte » Europa League 2013/2014 » Thun - Dynamo Kiew
Thun - Dynamo Kiew 0:2
07.11.2013Europa League 2013/2014


Jeder Fussballfans kennt diese Albträume: Das eigene Team kann im letzten Spiel Meister werden, doch man hat verschlafen. Oder man steht vor dem falschen Stadion. Oder man ist am Spiel, bei dem es aber eine Kanterniederlage absetzt und der Verein wahlweise absteigt oder gleich aufgelöst wird. Oder du wirst als Fan zum Gespött des ganzen Landes, weil dein Klub in einen Wettskandal oder einen Sexskandal verwickelt ist. Zum Glück wacht man dann meistens rechtzeitig auf und kann sich sagen «s’isch ja nur es chlises Träumli gsi».
Einer meiner Albträume geht ja so: Ich will ins Stadion rein, doch dann merke ich, dass ich mein Saisonabo oder die wahnsinnig wertvollen Billette verloren habe. Blödsinn natürlich, wie soll so was auch passieren. Habe ich mir jedenfalls auch gedacht, bis ich nach meiner Rückkehr von Genk (die Reise, in der meine Nacht drei Stunden kurz war) den Papierstapel neben meinem Computer aufgeräumt habe. «Rechnung für Reise nach Göteborg?» «Ins Altpapier damit!» «Rechnung für Reise nach Belgrad?» «Ins Altpapier damit!» «Rechnung für Reise nach Genk?» «Ins Altpapier damit!» «Rechnung für Heimspiel gegen Rapid?» «Ins Altpapier damit!» Ich weiss noch, wie ich gegrinst habe, als ich jenes FC Thun-Kuvert entsorgt habe. Es ist ein gutes Gefühl, bezahlte Rechnungen wegwerfen zu können. Es ist aber ein Scheissgefühl, einen Monat (!) später zu merken, dass in jenem FC Thun-Kuvert auch noch die Tickets für die Heimspiele gegen Kiew und Genk drin waren.
Also ich am Sonntag an die Tageskasse, die überhaupt keine Tickets für Thun-Kiew im Angebot hat. Also oute ich mich am Helpdesk des FC Thun (ja, diese Anlaufstelle für Verirrte und Verwirrte gibt es tatsächlich) als Depp. Also schreibe ich dem Ticketing des FC Thun ein Mail über meinen Ticketverlust. Also treibt mein Kumpel gleich zwei Sitzplatztickets Thun-Kiew für mich auf. Wobei ich nicht weiss, ob die Tickets wirklich für mich samt Begleitung gedacht sind oder ob er nur davon ausgeht, dass ich ja sowieso eines der beiden Tickets wieder verlieren werde. Schliesslich druckt aber der FC Thun nochmals je ein Ticket für Thun-Kiew und Thun-Genk aus und schickte sie mir zu. Ohne Aufpreis. Topservice. Soll mir keiner sagen, der FCT habe keinen direkten Draht zu den Fans mehr.
Das gesparte Geld wird natürlich sogleich in Schals investiert. Drei Einkäufe strebe ich an, bei einem Deal hat aber die Polizei was dagegen. Der Verkäufer mit den gefälschten Schals wird gerade einer Personenkontrolle unterzogen und sogleich weggewiesen. Umso mehr blüht der Handel im offiziellen Fanshop. Hier wird heute russisch gesprochen. Und mal nicht über die hohen Schweizer Preise gemotzt. Ein älterer Kiew-Fan ist geradezu enttäuscht, als er für ein paar Pins nur 15 Franken und nicht etwa 50 Franken zahlen muss. Ist die Qualität etwa schlecht? Ich kaufe mir den Schal mit den Europacupgegnern drauf sowie einen normalen Thunschal. Letzteren will ich natürlich tauschen – aber zuvor habe ich damit noch einen kleinen Auftritt. Ein ukrainischer Fernsehsender dreht gerade vor dem Fanshop – und will unbedingt auch Thunfans interviewen. Nichts für mich, ich verweise auf mein schlechtes Englisch. Doch als ich beifüge, ich sei ohnehin vor acht Jahren in Kiew gewesen, komme ich nicht mehr um einen Kurzauftritt vor der Kamera herum. Ich bin mir nicht sicher, ob es an meinem Englisch liegt, dass der Journalist meinen Tipp «Draw, Probably One One» erst nicht versteht oder ob er mich für bekloppt hält, weil nicht auch ich automatisch von einem hohen Kiew-Sieg ausgehe.
Das Schaltauschen erweist sich als noch schwieriger, mehrere Gästefans lehnen ab. So auch ein 40-Jähriger. Als seine vielleicht 20 Jahre jüngere Freundin mich mit den Worten «Maybe after the game» tröstet, handelt ihr Freund – und tauscht ihren Schal gegen meinen. War das jetzt auch wieder so ein Englischproblem oder wollte er bloss unter Beweis stellen, dass in Kiew nur die Männer entscheiden?
Das Problem ist nun, dass ich zwei Schals um den Hals trage, was das Mitmachen im Fanblock entsprechend erschwert. Welchen Schal soll ich nun durch die Luft wirbeln, wenn der Capo das Kommando zur entsprechenden Vitaparcours-Übung gibt? Wirble ich rot, sehe ich trotz meinem Nummer 9-Dress ziemlich blau aus. Wirble ich blau, kann man daraus einen falschen Schluss ziehen. Ich wage es trotzdem mal. Es müsste ja schon ziemlich blöd laufen, dass ausgerechnet in diesem Moment Kiew zu einer Torchance kommen würde. Sie haben ja nicht einmal den Ball… Und prompt landet genau dieser Ball im Netz – Eigentor durch Lukas Schenkel. Womit wir schon zwei wären, die das heutige Spiel auf ewig mit einem Albtraum verbinden werden.
Wobei gleich noch ein Spieler sich heute wie in einem Albtraum fühlen muss: Dynamo-Stürmer Dieumerci Mbokani. Der sieht in der 17. Minute Gelb wegen Reklamieren. Und er sieht in der selben 17. Minute Rot wegen Reklamieren. Und use use use. Wie gross muss sein Schuldgefühl sein, als er sieht, wie Thun dank seinem Platzverweis das Spieldiktat übernehmen kann und um Welten besser spielt als noch im Oktober. Sie kommen noch und noch zu Chance – nur eben, der einzige Schuss, der sitzt, ist derjenige von Schenkel. Jenes Eigentor nervt nämlich umso mehr, weil Thun zu jenem Zeitpunkt schon in Überzahl spielt. Schwacher Trost, dass er einen Schuss von Jarmolenko, dem eindeutig besten Spieler auf dem Platz, zu entschärfen versucht hat.
Gefahr lauert auch in der 69. Minute. Schenkel steht nämlich immer noch auf dem Platz, als sich Jarmolenko für einen Freistoss bereit macht. Doch Schenkel muss gar nicht mehr eingreifen, der Schuss sitzt auch so. 0:2. Hätte da Faivre nicht ein bisschen mehr…?
Die Stimmung im Fanblock ist dennoch gut (BTW: Freiheit für alle Schlagzeuger), mangels Stimmung auf der Gegenseite hallt bei lauten Schlachtrufen sogar der Ansatz eines Echos durch die Arena. Passt eigentlich so gar nicht zum grundsätzlichen Understatement der Kurve. Am Block Süd-Stand wird nämlich für 8 Franken ein Ultra-Magazin verkauft, in dem betont wird, dass die Thunfans im Spiel gegen Belgrad stimmungsmässig «keine Akzente» gesetzt haben.
Auch die Thunspieler setzen heute «keine Akzente» mehr, so engagiert sie auch bis zum Schlusspfiff aufs Kiew-Tor anrennen. Aber vergeblich, der Ball will heute einfach nicht rein. Thun scheint am Sonntag alles Glück aufgebraucht zu haben. Aber so ein Happyend hätte schliesslich auch ganz schlecht zu einem Albtraumspiel gepasst. Guet Nacht!