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Genk - Thun 2:1
03.10.2013Europa League 2013/2014


Goedemorgen! Der Weg nach Genk führt erst einmal durch einen finsteren Wald. Gar nicht so einfach, habe ich doch weit weniger Spürsinn als ein Belgischer Schäferhund. Erst recht nicht kurz nach 6 Uhr morgens. Doch als es plötzlich knallt, werde ich hellwach. Neben mir liegt auf dem Waldboden eine der beiden Jägermeister-Flaschen, die ich als Proviant eingesteckt habe – nebst einer orangefarbenen (ja, knapp falsches Land) Kühltasche voller Bierdosen. Zum Glück stammt aber die Glasflasche nicht aus belgischer Produktion (mehr zur belgischen Glaserei später), nicht mal am Flaschenhals ist ein Spalt zu entdecken. So packe ich meine sieben Sachen wieder zusammen und marschiere weiter ins Licht. Die Scheinwerfer gehören zur Autobahnraststätte Windrose, die typisch bernisch auch zu Fuss zu erreichen ist – ohne dass man dazu über einen Zaun klettern müsste. Der Marsch ging gar so schnell, dass es noch zu einem Abstecher ins Bistro reicht. Schnell den Blick gekauft – und prompt die Einfahrt des Cars verpasst. Aber jetzt mal ehrlich: Wer hätte je damit rechnen können, dass ein Bus mit 50 Block Süd-Langschläfern tatsächlich mal eine Viertelstunde zu früh (!) an einem Ort eintrifft. Da ist ja noch wahrscheinlicher, dass es in einem Bus mit Schnee an Board nicht stinkt oder ein Block Süd-Becherspiel nicht mit Kopfweh endet. Nach zwei Handyrufen (den ersten hab ich schon mal bei all dem Autobahnlärm überhört) hab ich dann das Ultramobil entdeckt. Da die Check-In-Frage schon um 5 Uhr am Handy geklärt worden ist, verläuft wenigstens die Platzwahl schnell. In den Reihen rund um mich haben schon alle ein Bier in der Hand. Ich bin also mit der Platzzuteilung ganz zufrieden. Und zumindest während den ersten zwei, drei Stunden Fahrt ist auch die Duftnote im Car noch ertragbar. Gezondheid!

Een doelpunt maken. Ich will nicht den falschen Eindruck erwecken, dass hier Kegelkameraden auf Sauftour sind. In Wahrheit steckt der Bus voller Sportfanatiker. An jeder Ratsstätte wird eifrig im Kreis Fussball gespielt, wobei aber mancher Balltreter auf Asphalt nicht viel mehr Talent offenbart als jeweils Sadik auf Kunstrasen oder auf Naturrasen oder überhaupt überall wo Schwerkraft herrscht. Andere Carpassagiere haben einen Dran g zum Klettern. Mit Kleberbildern wird unser Dasein bis zum nächsten Raststätten-Grossputztag markiert – also zumindest in Frankreich für mehrere Jahrzehnte. Besonders Sportliche nutzen ihr Fussball- und Klettertalent gleich in einem. Wenn nämlich mal wieder der Ball in hohem Bogen über den nächsten Zaun fliegt. Uit het oog, uit het hart.

Eet smakelijk! Erst grinsen wir über all die Sandwichbastler, die sich während der Fahrt ausgiebig verpflegen. Doch ab dem Mittagessenhalt an der Raststätte wird jeder beneidet, der ein Stück Schweizer Kost mitgebracht hat. Und sei das Sandwich auch noch so grün. Dabei muss gesagt werden: Hier in Luxemburg lässt sich das Essen wenigstens noch einigermassen runterspülen, zumal an der Raststätte auch Bier verkauft wird. Nicht einig sind wir uns, ob es sich um ein Zwei-Stern-Essen oder um einen Ein-Stern-Frass handelt. Wenig später in Belgien werden wir aber lauter Minuspunkte verteilen. Zum Essen in Beneleux würde eigentlich als einziger Kommentar das Sprichwort «op iemands maag liggen als een baksteen» genügen.

Zich uitkleden. Um 16.18 Uhr bin ich im Hotelzimmer. Um 16.23 Uhr steh ich in Unterhosen da. Und um 16.28 Uhr stehen zwei Frauen in meinem Zimmer. Angeklopft haben sie selbstverständlich nicht, mein Ruf ist schliesslich weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt: Lässt den Mattäng bloss nicht alleine liegen. Während ich in Belgrad aber erst während einer durchzechten Nacht einen ganzen Vormittag lang von einer Putzfrau verfolgt worden bin, machen sie mir jetzt schon zehn Minuten nach Zimmerbezug die Hölle heiss. «Sorry, a mistake. But we have to clean.» Lalala. Und ich habe die Unordnung im Bett bloss für ein typisch belgisches Begrüssungsritual gehalten. Wahrscheinlich ist eher das Herumschwirren um einen halbnackten Mann typisch belgisch. Zumindest die beiden 40er-Frauen (ja, das ganz grosse Willkommensgeschenk ist es dann doch nicht) wissen jetzt ganz genau, ob ich mich auf bei den Boxershorts auf die Kleiderkodex «Ganz in Weiss» gehalten habe. Mijn naam is haas, ik weet van niets.

Bergbeklimmen. Belgien ist ja so ziemlich flach. Wenn Radfahrer auf ihren Weltcuprennen ab 500 Meter-Gipfeln stöhnen, liegt das wohl hauptsächlich an ihrem Drogenmissbrauch. Wären sie doch beim Snus statt beim Epo geblieben. Da Bergsteigen also kein Hobby des Durchschnittsbelgiers sein kann, bauen sie gerne – wie die Niederländer – alpinistische Herausforderungen in ihre Stadien ein. Wie einst im Ajax-Stadion, wollen auch hier in Genk die Stufen schier kein Ende nehmen. Kaum zu glauben, dass wir 100 Thunfans bloss auf der zweiten Etage untergebracht sind und nicht gleich im 75. Stock. Aber eine besondere Gemeinheit entdeckt die Hungrigen unter uns. Im Innenbereich des Sektors gibt’s es nur Flüssiges. Und natürlich mal wieder kein Bier, obwohl die hiesige Arena nach der Bierbrauerei Cristal benannt ist. Wer dagegen einen Burger oder ähnlichen Fastfood will, muss wieder runter ins Parterre steigen. Was für ein Diät-Regime. Als ob man mit dem schlechten Essen nicht schon genug gestraft werden. Aber bleiben wird doch erst bei den alpinen Sportarten: Weil Eishockey in den Beneluxstaaten ähnlich unpopulär wie Bergsteigen ist, packt man Gästesektor gerne in Plexiglas ein. Auch diese Amsterdamer Unsitte ist natürlich auch in Genk anzutreffen. Und selbstverständlich darf am Plexiglas ja keine Fahne angebracht werden. Und weil Plexiglaswände ja so schnell kaputt gehen, dürfen Fahnenstangen überhaupt nicht rein an den Sektor. Also gilt es, Blockfahnen und andere stoffige Mitbringsel über die Stühle zu hängen oder 90 Minuten lang in den Händen zu halten. Dazu bin ich aber zu faul. Meine Schweizer Fahne lasse ich durch einen Sicherheitsmann mit Kabelbinder befestigen. Knutselen.

En lied aanheffen. Ich tausche mal wieder einen Schal. Damit es aber nicht wieder zu einem halben Weinausbruch wie in Göteborg kommt, lasse ich dieses Mal einen Rentner mich ansprechen. Der Schal verschwindet aber sofort in meiner Tasche, schliesslich will ich mit dem dunklen Blau das weisse Gruppenbild nicht stören. Wobei ich mich schon frage: Wozu einen Kleiderkodex, wenn kurz nach Anpfiff schon die Mehrzahl der Kurve oben ohne dasteht. Wir sind doch hier nicht in einem Hotel in Hasselt. Aber musikalisch ist am Block nichts auszusetzen. Wie schon seit einer halben Stunde vor Anpfiff wird laut gesungen und wild getrommelt. (BTW: Freiheit für alle Schlagzeuger). Wir haben lange das Stimmungsmonopol im Stadion. Die Genker machen sich nur durch Pfiffe gegen den Schiedsrichter und einige besonders langsame belgische Spieler bemerkbar. Am lautesten wird’s im Stadion nach 37 Minuten. Hediger schlägt eine Flanke zu Martinez, der den Ball aus kürzester Distanz ins Tor köpfelt. Wir wollen schon jubeln, als doch noch Genk-Goalie Köteles mit einem Weltklasse-Reflex den Führungstreffer verhindert. Nur eine von vielen Thuner Chancen in dieser ersten Halbzeit. Aber eben: Keine geht rein, für die stark aufspielenden Thuner ist das 0:0 zur Pause ein undankbares Resultat.

Na de pauze tapte Genk uit een ander vaatje. Tien minuten na rust trapte Gorius met wat geluk plots de 1-0 tegen de touwen - zijn afstandsschot week af en belandde over doelman Faivre - en acht minuten later rondde kapitein Jelle Vossen een vlotte aanval beheerst af. Kurz gesagt: Genk führt nach einem Doppelschlag innert acht Minuten plötzlich 2:0. Während die 11 599 Zuschauer im Stadion Gorius und Vossen als Torschützen feiern, ärgern wir uns über die dummen Gegentreffer. Besonders Reinmann sollte sich mal ernsthaft mit dem Ehe-Namensgesetz auseinandersetzen. Das 1:0 hatte mehr als einen Touch Eigentor. Durch die Thuner Fehler angestachelt, mutieren die Belgier für 20 Minuten zu Brasilianern. Plötzlich gelingt ihnen alles, wir müssen fürchten, dass Thun hier 4:0 oder 5:0 untergeht. Eine Viertelstunde vor Schluss ist der Spuk wieder vorbei. Plötzlich fallen die Genker wieder durch Fehlpassorgien statt Ballzauber auf. Wir können nochmals hoffen – trotz dem in der 60. Minute eingewechselten Sadik auf dem Platz. Wonder boven wonder?

Feesten. Thun kommt tatsächlich noch zum Anschlusstreffer. Martinez reagiert nach einer Flanke von Christian Schneuwly am nahen Pfosten am schnellsten und haut den Ball hinter Köteles in die Maschen. 2:1. Nur unser Jubel hält sich in Grenzen. 30 Sekunden später pfeift der schottische Schiedsrichter das Spiel nämlich ab. So feiern wir halt das Team und die Europacupteilnahme an sich. Und die Tatsache, dass im fernen Wien Dynamo Kiew in der 94. Minute noch ausgeglichen hat. So als Gruppenzweiter lebt es sich auch ganz gut. Und gefährlich. Was einerseits die halbstündige Polizeibegleitung vom Genk nach Hasselt vermuten lässt – samt Blaulicht. Und andererseits sind auch Genker Freunde des Nahkampfs auf uns aufmerksam geworden. Jetzt könnte ich mein Feld-Wald-Wiesen haben – direkt beim Hotel. Die Einheimischen wollen die Kräfte jener testen, die sich noch gegen die Belgrader Pyrowerfer so stark gewehrt haben. Gibt’s da irgendeinen neuen Mythos, den ich verpasst habe? In Genk scheint es aber so, dass bei allen der Hunger stärker ist als der Wunsch nach spätabendlicher Betätigung. Was sich als Fehler herausstellt. Ist es nicht so, dass man nach Schlägereien im Fussballmilieu gut essen geht? Heute wäre ein Restauranttipp sehr wertvoll gewesen. Flauwekul.

De inwendige mens versterken. So stellen wir uns nur den Gefahren der belgischen Küche. Und zwar in der Pizzeria Da Angelo. Dieser wunderschöne Namen steht ja sicher für gute Qualität. Ja zugegeben, wir kreuzen dort als 30-köpfige Gang um 22.30 Uhr auf. Und obwohl das Restaurant gemäss Türanschrift um 23.00 Uhr schliesst, werden wir bedient. Und ja, ein paar von uns essen hier ganz feine Spaghettis. Aber die restlichen zwei Dutzend Thuner, die im Schnitt eine Stunde lang auf ihre Pizzen warten, klagen übers Essen. Mal ist der Käse noch kalt, mal der Pizzaboden so schwarz, dass sich der Teller verfärbt. Und zwei von uns müssen nach über einer Stunde ihre Pizzabestellung noch einmal aufgeben, weil der entsprechende Zettel schier vergessen gegangen ist. Da haben sie es immer noch besser als jener Fan, der versucht ein Whiskey Cola zu bestellen. «So was haben wir nicht», meint die nicht ganz so freundliche Chefin. Und bestraft den Whiskey-Trinker fortan mit Ignorieren. Er erhält den ganzen Abend keine zweite Möglichkeit, doch noch ein Getränk zu bestellen. Weil hier uns unverhofft in Lebensgefahr begeben, wir der Restaurantbesuch sofort zur Ultraprüfung erklärt. Inklusive Gefahrenzulage zieht der Block Süd-Geldeintreiber von jedem 20 Euro ein. Den Unterschied zum richtigen Betrag wandert in die Choreokasse. Als Trinkgeld lassen wir bloss ein paar Münzen. Buikpijn.

Koestal. So heisst die schicke Tanzbar, in der wir die ersten Nachtstunden verbringen. Hier geht’s fröhlich zu und her. Nur der junge Mann, an dessen Tischchen wir anlehnen, wechselt sogleich die Ecke. Hat er gedacht, dass wir mit ihm flirten wollen? Wir tanzen aber lieber, um mit Belgiern zu kuscheln. Und einer findet sogar eine waschechte Schweizerin auf der Tanzbühne. Man wird ihm das Grinsen noch am nächsten Tag ansehen. Der wahre Schrecken ist aber, dass beim Prostmachen ein Glas gleich in zwei Teile gespalten wird. Ja, die fehlende Handwerkskunst der belgischen Glaser. Oder liegts daran, dass ein paar von uns das Bier aus 2,5-Deziliter-Gläser trinken und die anderen aus 1 Liter-Humpen? Die wahre Mutprobe sind aber die staerke Dranken. Auf Empfehlung genehmigen wir uns eine Runde der Nummer 159 der Getränkekarte. Die wirbelt den Magen herum wie zuvor die Pizza. Das Getränk heisst: Graan jenever.

Vervelend. Um halb Drei ziehen wir ein Haus weiter. Unsere kleine Strassenumfrage ergibt, dass der Nachtklub RitzBuilding boaring sei und dort wenig läuft. Da die nächsten Passanten aber verraten, dass im Ritz das Bier nur einen Euro kostet, stehen wir eine Minute später schon im Lokal. Und tanzen und trinken und tanzen auch. Manche mit kurvigen Belgerinnen. Andere mit ihren Bierbechern. Da die Songs die gleichen sind wie in Göteborg und Belgrad, bietet sich die Gelegenheit des Tanzkulturen-Vergleichs. Getanzt wird auch hier recht chic. Nur die Kleiderwahl der Belgierinnen. Es haben etwas gar viele hübsche Frauen ihren Trainerhosentag. Aber Hasselt ist halt auch eine Studentenstadt. Ontologie.

Genk. Ein Stadtname, der in unserem Becherspiel bis um vier Uhr kein einziges Mal fällt. Der Jack wird auch so leer. Ja, wir feiern ganz am Schluss zu dritt auf dem Zimmer. Die 24-Stunden-Bar zeichnet sich nämlich nicht gerade durch Kundenfreundlichkeit aus. Oder was bringt es uns, um halb Vier zwar noch eine Eisteepackung kaufen zu können, aber kein frisches Bier zu bekommen. Um vier Uhr endet dieser belgische Tag mit einem gemeinsamen Weckerstellen. 7:15 Uhr heisst das ehrgeizige Ziel. Einer von unserem Trio wird erst um 8.55 Uhr aufwachen – fünf Minuten, bevor der Car wieder Richtung Thun losfährt. Welterusten!