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Thun - Rapid Wien 1:0
19.09.2013Europa League 2013/2014


Der FC Thun entpuppt sich heute mal wieder als Meteor am Schweizer Fussballhimmel. Und das nicht nur, weil das Spiel gefühlsmässig kurz vor Mitternacht angepfiffen wird. Die Kassiererin im Coop Freienhof ist jedenfalls erstaunt, als ich kurz nach halb Acht an ihrer Kasse noch meine Biervorrat aufstocke. «Hat denn das Spiel noch nicht begonnen?» Und dann erzählt sie von Dutzenden Rapid-Fans, die sich grösstenteils nur bis an den Kiosk vorgewagt haben. Zudem diskutieren wir, ob Dörrfrüchte das ideale Mittel gegen Müdigkeit ist.
Nein, Thun ist erneut Meteor, weil all das Original European Feeling wieder Einzug gehalten hat in unserem Städtchen: samt all der Freude, all dem Chaos, all den Trittbrettfahrern und ja – auch all dem Grössenwahn. Aufschlussreich war ja schon der Rundgang an der OHA. Da gab es im Wettbewerb am Allianz-Stand ein Meet & Greet mit Andres Gerber zu gewinnen – notabene als Hauptpreis, als grössere Trophäe als andere Preise im Wert von mehreren hundert Franken. Ich konnte es nicht lassen, ein paar dumme Sprüche zu klopfen. Aber wer weiss, wenn Thun weiter so erfolgreich ist, verlost vielleicht eine andere Versicherung (oder Ruggenbräu) an der nächsten OHA gar ein Meet & Greet mit Mattäng.
Muss ja nicht unbedingt die Aktion eines Sponsors sein, machen sich doch auch die Trittbrettfahrer wieder bemerkbar. Fast an jeder Ecke werden selbstgebastelte Thun-Rapid-Freundschaftsschals vertickt. Ich handle den englischsprachigen Verkäufer von 20 auf 15 Franken runter. Den nächsten Thunfan, der vorbei kommt, bezeichne ich sogleich als «best friend», so dass er seinen Schal für 10 Franken erhält. Zu keinem Deal sind dagegen die Verkäuferinnen im FC Thun-Fanshop bereit. Die stufen ihre eigene fantasievolle Thun-Rapid-Schalkreation als unverkäuflich ein und rücken kein einziges Stück heraus. Mit dieser Haltung sind sie Lichtjahre davon entfernt, sich für die Gruppenphase der Verkäuferinnen des Monats zu qualifizieren. Bleibt zu hoffen, dass sich das diesmalige Original European Chaos bei Thun auf den Textilbereich beschränkt.
Bei der Eingangskontrolle stellt sich dann die Frage, ob wir in bester Basler Tradition schmollen und auf einen Matchbesuch verzichten wollen. Denn wenn die Bebbis wegen einem Verbot von Fahnen (man kann damit ja problemlos Pyroaktionen verdecken) beim Jahrhundertmatch Chelsea-FCB vor dem Stadion bleiben, sollten wir bei einem Verbot von Kuhglocken (man kann damit ja problemlos Pyroaktionen übertönen) eigentlich auch auf Thun-Rapid verzichten. Unser Kuhhirte gibt aber nicht so schnell und diskutiert mit zahlreichen Sicherheitsleuten. Schliesslich gewinnt er das Rededuell für sich, der Abend ist gerettet. Ein Hauch Natistimmung weht heute durch die Arena.
Aus Ultrasicht gibt’s aber für die grossformatige und grossartige Choreo mehr Punkte. Und als Lärmschutz gegen die 1000 johlenden Rapidler taugt sie auch gerade noch. Also im osteuropäischen Stimmungsvergleich übertrumpft der Rapid-Anhang den Partizan-Block locker um Welten. Allerdings müssen sich die Österreicher auch nicht um politische Aktionen kümmern. Als sich der Choreo-Vorhang fällt, kommen vor dem Thuner Block dieses Mal keine krass-bösen Länderflaggen (Italien, Türkei, Voralberg) zum Vorschein. Heute gilt die Aufmerksamkeit ganz allein dem Sport. (BTW: Freiheit für alle Schlagzeuger, die heute ihre Wienreise gebucht haben.)
Und das Spiel bereit vor allem uns Thuner grosse Freude, geht doch unser Team auch vor diesem Rekordmeister nicht in Deckung. Es wird beherzt angegriffen. Besonders die Schneuwly-Brüder haben heute mal wieder Lust, zu treffen. Chance um Chance wird herausgespielt, alle erhoffen sich jeden Moment den verdienten Führungstreffer. Wenn auch nicht alle aus dem selben Grund. Der Reporter des Thuner Tagblatts jedenfalls klagt über den «lauten, aber mit seinem Gesang monotonen Anhang von Rapid Wien». Er wünscht sich bessere Musik. Gesagt, getan: In der 35. Minute trickst Zuffi den Weltfussballer Mario Sonnleitner aus, so dass der Ball zu Christian Schneuwly kommt. Der trifft ins Netz – die «Vogellisi»-Torhymne kann ein erstes Mal gespielt werden.
In Ballesterer-Spielberichten würde jetzt der Durchschnittswiener um die Zusammenhänge zwischen Gegentore, Kunstrasen, Mondzyklus und astronomisch teure Bierpreise philosophieren – oder gleich in der Pause das Taxi an den nächsten Bahnhof nehmen (siehe Andorra-Spielbericht), in der bodenständigeren Thunfans-Publikation wollen wir uns mit dem Pinkelverhalten der Thunerinnen und Thuner auseinandersetzen. Ob das Alkoholverbot im Stadion wohl Einfluss und Ausfluss darauf hat, dass in der Pause die Schlange vor den Männerpissoirs länger denn je ist? Und was ist von Mädels zu halten, die sich während ihren Handygesprächen ans mobile Pissoir draussen vor dem Stadion lehnen – das notabene gerade benutzt wird? Ich hoffe mal, sie hat nicht geskypt.
24 Stunden zuvor habe ich geflucht, als um 22.43 Uhr mein Telefon läutete. Da lag ich nämlich schon im Bett. Heute seh ich mir gerade an, wie eine richtige Schlussviertelstunde angestimmt wird. Die Ähnlichkeiten zwischen der Rapid-Viertelstunde und der weltweit einmaligen YB-Viertelstunde sind wirklich frappant. Ausser dass wissenschaftlich erwiesen ist, dass Rapid in der Schlussviertelstunde ab und zu tatsächlich ein Tor schiesst. Ob wohl deshalb die Thuner höflich zurückweichen und in den Schlussminuten Rapid aufrücken lassen. Es braucht gleich mehrere Heldentaten von Faivre, um den Thuner Sieg zu retten. Doch kurz vor 23 Uhr ist der Sieg vollbracht, der Meteor leuchtet mal wieder ganz hell. Thun ist Tabellenführer in der Europa League. Aus dieser Tatsache liesse sich doch sicher ein Super-Schal mit lustigen Fehlern basteln…