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Partizan Belgrad - Thun 1:0
22.08.2013Europa League 2013/2014


Vorab zwei Warnungen. 1. Ja, Belgrad kann Ihre Gesundheit gefährden. Aber den entsprechenden Adrenalinschub lösen nicht serbische Ultras aus. 2. Ja, ähnlich wie in Göteborg kann man auch in Belgrad Geldprobleme bekommen. Nach 3 Tagen Belgrad habe ich nämlich noch genau eine einige Münze im Portemonnaie – dafür aber einen riesigen Stapel Banknoten. Man schafft es schier fast nicht, hier genug Geld loszuwerden. Aber alles der Reihe nach. Die achte Reiseregel lautet: Europacup-Spielberichte sollten nicht stets nach dem selben Schema aufgebaut sein. Sind sie es dennoch, spricht viel dafür, dass der Schreiberling noch arg verkatert ist.

Reiseregel 70 lautet: Traue nie einem Belgrader Taxifahrer. Denn so schnell ists passiert: Fan 1 führt gerade ein wichtiges Telefongespräch, das an sich bei Roaminggebühren von 2,90 Franken pro Minute schon unter die Rubrik Wucher fällt. Fan 2 lässt sich derweil von einem finsteren Typen zu einer Taxifahrt überreden. Und Fan 3 steigt einfach mal so ein. Eine halbe Stunde Taxifahrt später beläuft sich die Rechnung auf 7000 Dinar. Ich werde für etwas mehr als einem Drittel dieses Fahrpreises, also knapp über 2500 Dinar, chauffiert. Und das auch nur, weil der Chauffeur für meine beiden Kollegen und mich zwei unterschiedliche Hotels ansteuern muss. Das Hotel Rex findet er auf Anhieb. Dagegen fährt er statt zum Hotel Belgrad zum Hotel Belgrad. Selber schuld, wer für seinen Belgrad-Trip ein Hotel mit einem so seltenen Namen bucht. Schliesslich landen aber alle wohlbehalten im Hotel. Und an der Reception erhalten wir alle Nachhilfe in Sachen Taxifahren: Der offizielle (oder zumindest einigermassen seriöse) Preis für eine Fahrt Flughafen – Innenstadt wäre 1500 Dinar wochentags und 1800 Dinar am Wochenende.

Und darauf stossen wir mal an. Denn Reiseregel 55 lautet: Ein Welcome-Drink kostet bei Thunfans schnell mal rund 50 Franken. Konkret weihen wir das Hotel Rex für 5000 Dinar ein, was etwa 54 Franken entspricht. Dafür müssen dann aber 7 Thuner 2 Stunden lang ordentlich ihren Durst löschen. 1 Bier an der Hotelbar kostet nämlich 140 Dinar, der serbische Schnaps kostet auch nur unwesentlich mehr. Ob wir uns wohl deshalb dem Gesprächsthema hohe Handwerkerlöhne zuwenden? Ein gelernter Maurer verdient in der Schweiz schliesslich pro Monat 5500. Franken nicht Dinar.

„Drüer-Pasch?“ „Wie viu hesch?“ „Drüer-Pasch!“ „Trinke. Wiederhole isch nid erloubt.“ Regel 21 lautet nämlich: Pass genau auf, wenn man dir die Meier-Regeln erklärt. Ansonsten schüttelt dieses Würfelspiel dich richtig durch. Wir spielen es nämlich mit einer Flasche Jägermeister, mit dem wir einen „Chömet Giele“-Becher füllen. Gleich mehrmals. Dieses Mal in einem anderen Hotel, das schon etwas näher am Stadion liegt. Wobei die Bezeichnung Hotel für diese 2000 Dinar-Absteige sehr nett gewählt ist. Und der letzte Hauch an Hotelsternen versinkt im Thuner Durcheinander. Was für Saustall. Ganz nach dem Motto: „Schnee ruumt nume wenn er wott, Schnee ruumt nume wenn er wott…“

Schliesslich treffen wir doch noch beim Stadion ein. Auf einen Fanmarsch haben wir auf Anraten Einheimischer spontan verzichtet, im Taxi lebt es sich doch gesünder. Manchmal jedenfalls. Denn Regel Nummer 46 lautet: Unterschätze nie das Hooliganpotenzial in deinem Taxifahrer. Wir aber fragen munter unseren Chauffeur Mitte 20 drauf los, was er von Partizan hält und wen er heute Abend favorisiert. Dieser antwortet in vielen Worten und einer einzigen Handbewegung: Er zeigt das Tattoo auf seinem Unterarm, das grösstenteils von einem roten Stern ausgefüllt ist. Fan 3 fragt daraufhin in die Runde, welches Team denn der Taxifahrer unterstütze, da er wohl doch kein Partizan-Fan sei. Wir sind positiv überrascht, dass auch Fan 3 wohlbehalten aus dem Taxi steigen kann.

400 Dinar kostet das Ticket, also nicht mal 4,50 Franken. Gästefreundlich ist auch das ansehnliche Angebot am improvisierten Verpflegungsstand. Die Sandwichs sind fein, die Getränkeauswahl ordentlich. Auch wenn es halt UEFA-bedingt kein Bier gibt. Dafür umfasst die Stadionkultur – und das freut alle einstigen Albanienfahrer unter uns – eine richtige WC-Anlage. Regel 63 lautet: Die Beschaffenheit eines WC sagt viel über ein Land aus. Was für ein Kontrast zum WC-Sitz in meinem Hotelzimmer. Mit dem stehe ich – pardon – auf ständigem Kriegsfuss. Ich repariere das Plastikrund während meines Aufenthalts vermutlich 20 Mal. Oder bin ich einfach so viel dicker als der Durchschnittsserbe?

Regel 11 lautet: Im Osten kommen Thuner jeweils stark ins Schwanken. Und zwar nicht nur wir angetrunkenen Fans. Ja, seien wir mal ehrlich: ob Ukraine, Georgien, Albanien, Rumänien oder Tschechien, wirklich gute FCT-Spiele haben wir in Osteuropa noch nie gesehen. Nach einem Belgrader Blitzstart, bei dem die Bälle nur so Richtung Thuner Tor fliegen, würden wir uns schnell mit einem 0:0 wie einst in Prag oder Shkodër zufriedenstellen. Zumal wir Thuner auch stimmlich wenig gegen 12 000 Belgrader Schreihälse (aufgeteilt in gleich zwei Fanblöcke) entgegen halten können. Was aber zum Teil auch selbstverschuldet ist: Etwas mehr als knapp zwei Dutzend Thuner hätt ich ehrlich gesagt schon in Belgrad erwartet. Vielleicht einen Zwanzigstel jener Anzahl Fans, die damals in London waren? BTW: Freiheit für alle Schlagzeuger.

Thun ist in der ersten Halbzeit praktisch ständig unter Druck. Die besten Chancen haben Stankovic und Jojic, der beste Thuner ist Faivre. Denn zur Pause stehts zur Überraschung aller immer noch 0:0. Wobei: Reiseregel Nummer 66 besagt klar, dass der „Blic“ immer Recht hat. Und wie lese ich tagsdarauf in der serbischen Ausgabe unserer Lieblingszeitung aus dem Hause Ringier, bei der hier in Belgrad einzig das „k“, nicht aber die polemischen Sportartikel, verloren gegangen sind: Beste Thuner sind in diesem Match Martinez, Hediger und Wittwer bzw. dessen Doppelgänger Vitver. Die Notenbewertung der Spieler lautet nämlich: Favr 5,5; Sulmoni 5,5; Zufi 5,5; Sajgfrid 5,5; Martinez 6; M. Snenuvli 5,5; Hediger 6; K. Snenuvli 5,5; Vitver 6; Luti 5,5; Sanogo 5,5. Die Schreibweise der Namen hat übrigens nichts mit meinem Kater zu tun. Mit Ausnahme der beiden rund um die Pause ausgewechselten Demba-Demba und Grbic erhalten dagegen alle Partizan-Spieler vom „Blic“ die Noten 6; 6,5 oder 7. Und einer kann sogar eine 7,5 für sich verbuchen: Jojic. Er ist es nämlich, der Faivre doch noch bezwingen kann. In der 70. Minute. Jojic spurtet mit dem Ball auf der rechten Seite, lässt Sanogo und Siegfried stehen und überlistet schliesslich auch Faivre. Damit ist der Belgrader Torhunger aber gleich wieder gestillt. Fast kommt Thun durch Sadik gar noch zum 1:1. Doch auch so gilt, dass sich mit diesen Resultat durchaus leben lässt.

Nach dem Spiel haben dann wir Heisshunger - nicht nur auf Pizza. Denn schliesslich müssen wir Regel Nummer 69 überprüfen, auf die uns vor dem Spiel Partizan-Fan Gravedigger (was für ein fröhlich-verspielter Name) aufmerksam gemacht macht: After the game, go into the city and have fun, when you come back write me here have you ever seen more beautiful girls? Entsprechend unserem „Housi Bousi“-Schnupfspruch lassen wir uns nicht zweimal bitten. Erst geht es in den Nachtklub Timeout. Der Sound ist perfekt, der Gästemix gefällt. Und ja, Belgraderinnen übertrumpfen hinsichtlich Sexyness die Göteborgerinnen locker. Es hilft halt schon, wenn man gut tanzen kann. Dann aber werden einige von unserer Gruppe übermütig: Es gebe sicher noch bessere Nachtklubs, behaupten sie und bestellen gleich die Taxis. Während sich solche Entscheide meist als Rohrkrepierer entpuppen, läuft heute alles wie im Belgrad geht aus-Märchenbuch. Der zweite Klub befindet sich auf einem Floss, ist noch edler und noch geiler. Man beachte schon nur die beiden Tänzerinnen auf der Bühne. Oder die Eiskübel voller Drinks. Der ganze Spass hat natürlich auch seinen Preis: Der Eintritt kostet pro Kopf gleich viel wie tags darauf mein Mittagessen. Wobei ich aus gesundheitlichen Gründen zu meinem Gulasch und dem Chabissalat 7,5 Deziliter Markenmineralwasser bestellen werde – für insgesamt 1000 Dinar. Doch noch ist Morgen morgen – oder eher schon heute. Die letzte Runde Bier bestelle ich jedenfalls um 4 Uhr. Dass die Party für uns Thuner eine halbe Stunde später endet, hängt primär damit zusammen, dass ein paar von uns zum Flughafen aufbrechen müssen.

Kaum bin ich im Hotel zurück, versucht man mich gleich mehrmals vergeblich zu wecken. Das Handy klingelt schon 7.50 Uhr zum ersten Mal. BTW: 2 Jahre Gefängnis für alle Schlagzeuger! Und die Putzfrau klopft auch schon um 9 Uhr zum ersten Mal an die Zimmertüre. Und um 12 Uhr zum zweiten Mal. Regel 87 lautet: „Eine x-beliebige Belgrader Matraze - Für ä tüüfe, gsunde Schlaf.“

Regel 3110 lautet: Nicht alle Münsinger sind im OL spitze. Das merke ich dann am Abend, an dem sich meine Konditionsmängel gleich doppelt bemerkbar machen. Ich bin langsam und vermag meine beiden Kumpels auf dem Weg Richtung Innenstadt nicht aufzuholen. Und ich liege beim Kartenlesen so quer, dass ich zwar den Platz der Republik finde, nicht aber die sagenumwobene Altstadtgasse Skadarlija. Wobei die Wegbeschreibung halt typisch thunerisch ist: „Isch rächt bekannt u chli touristisch. Het viu Lüt. Chasches nid verfähle.“ Dumm nur, dass es in Belgrad an diesem gewöhnlichen Freitagabend in der Innenstadt mehr Leute hat als jeweils am Thunfest. Ich gebe nach 90 Minuten meine Suche auf – wobei ich mindestens so viel Laufkilometer gemacht habe wie Secku am Match – und geh shoppen und Pizza essen. Und die Livemusik überall ist sowieso cool. Nur bestelle ich mir dann doch eine Fanta. Man wird älter.

Reiseregel 70 lautet: Traue nie einem Belgrader Taxifahrer. Für die Rückfahrt organisiert mir der Typ von der Reception gleich ein Taxi – für 1800 Dinar. Dafür gibt’s von mir 200 Dinar Provision. Wobei mir der Taxifahrer wenig später das Belgrader Taxisystem erklärt: Je 900 Dinar gehen bei einer Bestellung über die Reception ans Hotel sowie an die Taxigesellschaft. Für so viel Ehrlichkeit kriegt auch der Fahrer gleich 200 Dinar Trinkgeld. Dann philosophieren wir auf Englisch zusammen – über die Top-Reiseziele aller Biertrinker. Bei ihm liegt Prag auf Platz 1. Ich stimme ihm zu. Und gebe ihm eine wichtige Lebensweisheit mit auf den Weg: Reise nie des Bieres wegen nach Schweden. Beim Hinweis, dass man in Göteborg bis zu 10 Euro für ein Bier bezahlt, wird er sichtlich bleich im Gesicht. Ich dagegen muss im Flughafenrestaurant noch dringend einen teueren Weisswein für 345 Dinar trinken. Doch auch dieser letzte Zwischenstopp endet nichts an der Tatsache, dass ich am Ende dieser Reise einen dickeren Banknotenstapel im Portemonnaie habe, als drei Tage zuvor. Einzig die Anzahl Nullen auf den Scheinen hat sich wie von Zauberhand leicht nach unten korrigiert. Glaube ich jedenfalls. Živeli!