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BK Häcken - Thun 1:2
01.08.2013Europa League 2013/2014


Zu acht stehen wir am Schiphol am Duty Free-Kiosk und haben soeben den Augenkontakt zum Verkäufer verloren. Zwischen und stapeln sich alkoholische Getränke wie Wodka, Jägermeister und Whiskey – und jede Menge Biergaschongs. Die Kasse zeigt 86 Euro an. Hinter uns bildet sich eine lange Reihe, weil all unsere Getränke versiegelt werden müssen. Der Verkäufer ist keinen Moment lang irritiert. Er schaut nur kurz auf die Uhr und meint dann knapp: «Göteborg?» Die achte Reiseregel lautet: Lasse dich auf Reisen nordwärts von keinen noch so teuren Alkoholpreisen abschrecken. Im nächsten Land wird der Alkohol noch teurer sein. Wir werden das im Systembolaget tatsächlich verifizieren. Die Verkäuferin ist dort zwar eine heisse Blondinne Mitte 20. Dafür werde ich mitten im Laden von einer fiesen Mücke attackiert. Lohnt sich also nicht. Und so verfluche ich nochmals Josef Hušbauer, die Nummer 22 von Sparta Prag, der mit seinem Bleifuss einen grossen Teil daran hat, dass wir am Schweizer Nationalfeiertag nicht auf billiger Kaffefahrt (oder meinetwegen auch Becherovka-Fahrt) nach Tschechien sind.

Kurz nach Mittag erreichen wir Göteborg. Grund genug, gleich bei der Haltestelle des Flughafenbusses anzustossen. Schliesslich müssen wir 20 Minuten auf den nächsten Flughafenbus warten, der uns ins Stadtzentrum bringen wird. Der Chauffeur des vorherigen Busses wollte uns schlichtweg nicht mitnehmen. Denn Reiseregel Nummer 43 lautet: Rechne nie damit, dass ein Ticketverkauf im Bus und im Flughafenbus-Shop gleich daneben bedeutet, dass mit Bargeld bezahlt werden kann – egal welcher Währung. Aber der Bus fährt halt auch in Regenbogenfarben herum. Im Tourismusbüro direkt neben dem Flughafenbus-Shop akzeptieren sie tatsächlich schwedische Banknoten. Eine Seltenheit in Schweden, wie wir noch erfahren werden. Und so trinken wir halt unser Bier in aller Öffentlichkeit. Obwohl in Göteborg eine solche Schandtat mit bis zu 250 Kronen bestraft werden kann. Ob wir wohl von dieser Reise nicht nur YB, sondern auch Ruedi Löffel eine Postkarte schicken sollten?

Im Bus werden die ersten Fansänge angestummen. Nummer 17 lautet nämlich: Schnee singt nume wenn er wott. Und wir anderen natürlich auch. Dauert die Busfahrt wirklich so lange, dass wir bis zum Göteborg-Hauptbahnhof schon mindestens 20 ebenso doofe Variationen des «Marco Schneuwly trifft nume wenn er wott»-Heulgesangs ausgetüftelt haben? Die Fahrt dauert jedenfalls so lange, dass trotz Abfahrtszeit August wir einen Brunnen voller Schnee kreuzen. Andere schwedische Stimmen munkeln allerdings, dass im seltsamen Brunnen vor dem Konzerthaus jeweils Schaumpartys stattfinden. Den Schwedinnen wäre das ja durchaus zuzutrauen.

Obwohl so nördlich gelegen, ist Schweden ein heisses Land. Oder die Schwedinnen haben gerade einen Wettbewerb am Laufen, bei dem es darum geht, möglichst so wenige Zentimeter Stoff zu tragen, ohne gleich von einem sabbernden Berner Oberländer angemacht zu werden. Und dann erst diese Sprache. Wobei Regel 66 lautet ja: Achte stets auf die sprachlichen Raffinnessen des allgemein gängigen Umgangston. Wenn nämlich im Spielbericht des GT Expressen gleich sieben Mal das Wort «fick» auftaucht – und zwar häufig in Sätzen, in denen Luca Zuffi auftaucht – handelt es sich dabei nicht um die Offenbarung der sexuellen Bedürfnisse der Sportredaktorin. Und es in schwedischen Sportredaktionen auch nicht überdurchschnittlich häufig geflucht. «fick» ist offenbar eine konjugierte Form des Verbs «få», was so viel wie «bekommen; erlangen; dürfen» heisst. Wenn dann aber ein Thuner beim Schlendern durch die Göteborger Innenstadt alle 10 Sekunden auf «das isch e schöne Hung» aufmerksam macht, meint er auch nicht Vierbeiner. Ausnahme ist vielleicht jener Köter vor dem Lidl, der mit viel Biss alle Passantinnen und alle anderen, die schöner als sein Herrchen aussehen, anbellt.

Unser Treffpunkt mit den anderen Reisegruppen ist das John Scott's Pub. Das hört sich zwar irisch an, aber als ich das letzte Mal in Irland war, habe ich dort bei Mister Scott dreimal weniger fürs Bier bezahlt. Und das kann nicht an der Teuerung liegen, sass ich doch gerade noch vor 14 Tagen in einem Pub in Dublin. Immerhin wirken sich die teuren Alkoholpreise auf die Zusammensetzung der Gästeschar aus. Da ist beispielsweise der Stefan, dem seine Gesundheit wichtig ist und deshalb nie ein Snuss-Beutelchen unter die Oberlippen stecken würde. Er lässt das Papierchen weg. Und bald haben seine Sitznachbarn schwarze Zähne. Nur gut bin ich am Nebentisch. Mein Gesprächspartner ist der Schweizer Konsul, der vor 20 Jahren von Genf nach Göteborg gezogen ist und seitdem jeden Winter wieder weg will. Bei ihm erinnere ich mich an Regel 27: Die besten Reisetipps hat immer noch ein zugezogener Landsmann parat, der deine eigenen Bedürfnisse am besten kennt. Er rät wegen der Hauptferiensaison von einem Vergnügungsparkbesuch ab. Stattdessen empfiehlt er eine Hafenrundfahrt. Und das Nachtleben. Allerdings erst am Freitagabend. «Die schwedischen Mädchen sind erst am Freitag um Mitternacht unterwegs. Dann aber gehen sie richtig ab. Die schwedischen Kerle dagegen tauen erst nach dem zweiten, dritten Bier auf.» Für die Nicht-Vergebenen (und natürlich nur für sie) gilt es allerdings dieses engbemessene Zeitfenster zu treffen. Was aber macht so ein Konsul überhaupt? «Manche Wochen sind sehr ruhig. Dann muss ich wieder alles in Bewegung setzen, um eine junge Schweizerin ohne Geld aus dem Gefängnis zu holen.» Sind unsere Landsleute wirklich so schlimm, wenn sie mal auf Snus sind? Über all die Thuner hat der Konsul aber nur die beste Meinung. Schliesslich war er mit den Verantwortlichen beider Teams essen und hat von Res Gerber ein tolles Geschenk erhalten: ein Originaltrikot von Cassio. «Spielt der gut?» Wir antworten ganz diplomatisch: «Immerhin ist er Brasilianer.»

Beim Fanmarsch erweisen wir uns als krasse Ultras: Wir trinken auf dem 15 Minuten-Marsch vom Pub zum Stadion (diese Route haben wir festgelegt, nachdem wir herausgefunden haben, dass es von den meisten Hotels aus nur 5 Minuten wären) Bier. Und Jägermeister! Zumindest bei zweiter Mischung hoffen wir, dass die Polizei das Getränk nicht als zu alkoholreich einstuft. Polizei erblicken wir dann allerdings erst beim Stadion. Und diese einzige Patrouille würde auch höchstens mich festnehmen. Ich bringe nämlich einen Sechsjährigen fast zum Heulen. Regel 3 lautet nämlich: Ein schwedischer Mann hat immer Recht. Erst recht als Vater. Ich will nämlich unbedingt einen Häcken-Schal. Und so suche ich mir das einfachste Opfer für einen Schaltausch aus: einen kleinen Buben. Nur will der einfach nicht verstehen, dass er an meinem Cupbesiegersieger aus federleichtem Stoff mit gleich zwei schönen Schweizer Klublogos mehr hätte als an seinem gelben Häcken-Wollschal mit schwarzem Muster. Wahrscheinlich hat er den Schal mal von seiner Grossmutter oder von einer hübschen schwedischen Babysitterin erhalten, dass er sich jetzt so wehrt. Und so spielt sich vor meinen Augen ein Familiendrama ab: Der Junge will den Schal nicht hergeben, der Vater besteht darauf, der Junge will nicht, der Vater zwingt ihn dazu. Was für ein schöner Schal, den ich jetzt habe. Nach ein paar Minuten habe ich dann aber doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Und so verschenke ich jene meine Eintrittstickets, die mir zwei verwirrte und verirrte Skywork-Matchbesucherinnen (das kommt davon, wenn Skywork die Passagierliste nach eigenen Gutdünken zusammenstellt und schon mal einen Fans in Belp zurücklässt - BTW: Freiheit für alle Schlagzeugspieler) in die Hand gedrückt haben, zwei schwedischen Matchbesuchern. Immerhin ein Geschenk von je 160 Kronen. Später frage ich mich, wie es überhaupt möglich war, vor dem Thunsektor so vielen schwedischen Fans zu begegnen. Die Zuschauerzahl beläuft sich nämlich gerade mal auf 2802. Bei den letzten zwei handelt es sich um einen stolzen Vater mit einem Cupsiegerbesieger-Schal und ein heulendes Kind.

Regel 1898 lautet: Je länger ein Reisebericht über ein Europacupspiel, desto weniger Zeilen über das Spiel an sich. Da es sich ja meist sowieso um eine Niederlage handelt. Und Fernsehbilder habe auch ich keine gesehen. Gleich zu Beginn rätseln wir, warum Schnenkel nach einem Kopfballduell liegen bleibt. Zumal er sich nicht den Kopf, sondern den rechten Fuss hält. Ist er eingeknickt? Nach fünf Minuten muss er jedenfalls bereits vom Platz. Von diesem Dämpfer abgesehen beginnt das Spiel gut für die Thuner. Einzig Sturmspitze Schneuwly sieht wenig vom Spiel –mal von der Offsidefahne abgesehen. Er trifft halt wirklich nur, wenn er wott. Nach etwa 20 Minuten kommt dann Häcken besser ins Spiel. Doch Faivre hält die wenig platzierten Schüsse locker. Dann kommt nach 35 Minute eine Flanke von Lüthi zu Zuffi, der in die rechte Torecke köpfelt. Der ach so wichtige Auswärtstreffer! Und Zuffi ist auch gleich für Treffer Nummer 2 besorgt. In der 63. Minute verwertet er einen Pass von Wittwer. Damit ist alles in Ordnung – auch wenn Martin Sony Ericsson keine Minute später noch das 1:2 erzielt.

Ich finde während dem Spiel zu meinen Wurzeln zurück. Regel 7 heisst ja schliesslich: Zuhause kann man sich auswärts fühlen. In den frühen Neunziger Jahren wars, als ich Ballgiel beim FC Thun war – immer nur wenn es regnete und mein Kollege, FC Thun-Junior und eigentlicher Ballgiel Zuhause blieb. Heute in Häcken unterstütze ich die beiden Ballbuben auf unserer Spielfeldseite. Dazu muss man wissen, dass die Sektoren jeweils hinter den beiden Toren gesperrt sind und auch in unserem Sektor etwa auf Höhe Mittelkreis ein Absperrband gespannt ist. Nur ist es so, dass der Ball mehrmals auf der tiefen Steintribüne landet, die durch eine Mauer vom Spielfeldrand getrennt ist. Ohnehin in der Nähe des Absperrbands positioniert – ich will schliesslich mal was vom Spiel sehen – renne ich jeweils los, wenn ein Ball zu fliegen kommt. Vier Einsätze habe ich. Nur frage ich mich, warum beim dritten Mal im Ball fast keine Luft mehr steckt. Wie zuvor Schenkel wird auch das runde Leder verfrüht ausgewechselt.

«Hoi, bisch scho wieder i de Schwitz? Thun het sich ja e gueti Usgangslag gschaffe fürs Rückspiel». Als ich diese SMS erhalte, ist Freitagmittag. Ich rechne kurz aus, ob in jener Zeit ein mehrstündiger Flug über Amsterdam eigentlich gelegen wäre. Statt zu antworten, nehme ich einen kräftigen Schluck aus meinem Brooklyn-Bier. Bier aus New York ist mit 66 Kronen hier auch nur unwesentlich teurer als Carlsberg. Wir lassen viel Geld liegen mittags in der Tapsy Bar – obwohl von uns 17 Nasen nur 3 oder 4 essen. Und Armand lernt endlich mal, inwiefern sich Tapas von einem Elchburger unterscheiden. Regel 22: Lokale Esskultur darf ignoriert werden.

Die Hafenrundfahrt ist genial. Nach all den Hamburger Hafenrundfahrten mal was anderes. Mit 155 Kronen aber etwas teuer. Was nützt es uns, wenn wir anschliessend mit dem gleichen Ticket noch 24 Stunden lang Busfahren dürfen. Regel 1: Fluche im Ausland nie auf Berndeutsch – einstige Gastarbeiter hat es überall. Wir sind etwas muff, als wir wieder vom Boot gehen und wir unsere 155 Kronen-Überraschung erleben. Einer von uns flucht etwas heftiger, worauf ihm der Ticketverkäufer auf Züridüütsch antwortet. Der Endzwanziger hat nämlich 5 Jahre in Zürich studiert und spricht perfekt Schweizer Mundart. Okay, eigentlich waren es 8 Jahre, wie er auf Nachfrage zugibt. Anschliessend lernen wir noch einen richtigen Einheimischen kennen: im Snus 2 am Vasagatan 23. Auch bei ihm stapeln sich unsere Einkäufe auf der Theke. Sagen wirs mal so: Fast jeder gibt doppelt so viel Geld für Snus aus wie zuvor für die Hafenrundfahrt. Nur motzt komischerweise keiner.

Nun haben wir genug Zeit für 5 Stunden Homedrinking im Hotel. Genug Zeit also um über richtige Männerthemen wie Oberarmadern, Trance oder Crème fraîche zu sprechen. Alternativprogramm ist Schwitzen im Wellnessbereich. Da schwitzen die meisten von uns lieber im düppigen Hotelzimmer. Regel 8 lautet: Mach dir auch abseits von Interlaken immer ein richtiges Bödeli. Und so gehen wir erst in eine Kebab-Pizzeria, bevor es uns richtig in den Ausgang zieht. Piazza Kebab Speciale ist sicher eine gediegene Mahlzeit. Wenn sich dann einer von uns draussen auf der Sitzbank krümmt, ist das reiner Zufall.

Regel Nummer 2: Frauen können sich immer alles erlauben. 100 Kronen kostet am Freitagabend der Eintritt in den Nattclub Bryggeriet am Kungsportsavenyen 3.Das sind etwas mehr als am Abend zuvor – 100 Kronen mehr um genau zu sein. Die Getränkepreise zeigen mal wieder, dass in Schweden einzig die Alkoholiker abgezockt werden. Das Guinness kostet 68 Kronen, das Cola 29 Kronen und das Leitungswasser 0 Kronen. Ist es wohl Trotz, dass die Wassertrinker unter uns mineralwasserfelsenfest behaupten, das Wasser sei nicht wirklich geniessbar. Ob diese Ausgestaltung schuld daran ist, dass um 23 Uhr drei Viertel der Gäste weiblich sind und das Geschlechterverhältnis die ganze Nacht in jenem Rahmen bleibt. Die Frauen tanzen auch mit wenig (oder gar keinem) Alk ausgelassen. Und ehrlich gesagt ziemlich schlecht. Sogar der längst verboten gedachte Handkreistanz wird hier noch gepflegt. Kurzum: Ich fühle mich wie im Orvis anno 1998. Als Euphoria von Loreen ertönt, wird auf der Tanzfläche wild herumgehoppst und ähnlich schräg herumgekreischt. Schön, wie man sich in diesen Breitengraden wenigstens über einen Kübel freuen kann, der im musikalischen Europacup gewonnen worden ist. Habe ich eigentlich schon die bunten Geburtstagshüte erwähnt, die ein paar der schwedischen Schönheiten tragen? Leider verteilen sie ans uns dann bloss Körbe und keine Hütchen.

Scheiden tut weh. Denn am Schluss haben wir Schweden doch lieb gewonnen. Bei manchen von uns war die Nacht etwas kürzer als bei anderen. Muss ja nicht jeder wissen, dass zu früher Morgenstund mit Strassenmusikerinnen und nicht mit Schwedinnen getanzt wurde. Die Rückreise verläuft problemlos – bis auf jenen Mitpassagier, der am Schiphol Wasser über sich leert und dann wie e nasse Hung aus der Wäsche guckt. Also so was passiert mir ja nur mit Bier. Und dann ist da noch Herr Ross. Dieser wird am Gate 17 vermisst, so dass unser Flieger nicht abheben kann, ehe der entsprechende Koffer gefunden und abtransportiert (wahlweise auch zerstört) ist. Ich verpasse leider zu fragen, ob man den Koffer den Air Berlin-Passagieren als Spende schicken könnte. Die haben nämlich noch ein paar Gepäckstücke auf Abruf in Berlin. Reiseregel Nummer 6: Leiste den Sicherheitsbestimmungen am Flughafen immer Folge. Und so ziehe ich am Landvetter die Schuhe aus, als es bei der Sicherheitskontrolle bei mir piepst. Und ich lasse mich bei der selbstverständlich absolut notwendigen Nachkontrolle am ganzen Körper abtasten. Das Abtasten übernimmt eine blonde Schwedin. Ja, zumindest ich habe Schweden wirklich lieb gewonnen.