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Sion - Thun 0:1
26.05.2013Super League 2012/2013


Was sind die grössten Sorgen eines Sion-Fans, wenn gleichentags das 6-Punkte-Spiel gegen Thun ansteht? Er will unbedingt wissen, ob es beim Sportgeschäft-Ausverkauf im Nachbardorf auch Liverpool-Trikots zum halben Preis gibt. Und als ein entsprechendes Schnäppchen nicht auffindbar ist, kauft sich unser Sion-Fan halt ein anderes rotes Trikot. Schliesslich will er für das wichtige Spiel am Abend auch mit dem richtigen Outfit ausgerüstet sein: So kauft er sich ein Bayern-Trikot. Nebenbei erwähnt er noch, dass er selbstverständlich NICHT nach Sitten fahren wird.
Zum Glück kenne ich noch einen anderen Sion-Fan, der garantiert nicht für die Bayern schwärmt. Ein stolzer Sion-Fan und Saisonabobesitzer. Doch auch er ist heute nicht zu haben für meine Idee einer gemeinsamen Fanfahrt von Thun- und Sionfans. Dass es abends auf dem Rückweg dann doch zu einer Art gemeinsamer Fanfahrt kommen soll, bei dem sich Walliser und Berner Oberländer mit Fäusten und fliegenden Bierflaschen gegenseitig Nettigkeiten austauschen, kann ich da noch nicht wissen. Ich bin halt mit Leuker und Visper Haudrauf-Traditionen im Stile von X. Margairaz nicht so vertraut – und verstehe noch weniger, dass deswegen um 21 Uhr abends vier Polizeiautos und ein Kastenwagen auf dem Bahnhofplatz Visp vorfahren müssen. Sion-Fan Nummer 2 ist aber den ganzen Tag weit entfernt von all dem Getümmel und Gelümmel in Sitten, Leuk und Visp: «Sorry aber i konzentriere mi ufe BVB. Ga ke Match meh ga luege di Saison», schreibt er mir per SionShortMessage.
Der Abstecher ins Wallis hätte sich zumindest für unseren Sion-Schnäppchenjäger gelohnt. Hier gibt’s im Fanshop nämlich tatsächlich 50 Prozent Rabatt auf den Trikots von Gattuso und weiteren Sion-Weltstars. Und der Eintritt ins Stadion ist gleich ganz von Monsieur Constantin offeriert. Die Sion-Ultras bedanken sich mit einer «Constantin Demission»-Zaunfahne, die sie allerdings nur während der zweiten Halbzeit aufhängen. Zuvor konzentrieren sie sich auf das Aufhalten anderer kritischer Spruchbänder und darauf, dass der Stimmungsboykott auch wirklich durchgezogen wird.
Diejenigen Thunfans, die sich nicht vom Constantin-Gratisangebot haben verlocken lassen und dementsprechend nicht auf der Haupttribüne abgetaucht sind, sorgen dagegen mit lauter Stimmung dafür, dass sich die 27 Franken Eintrittspreis auf unserer Seite gelohnt haben. Wir setzen auf Dauersupport mit lauten Gesängen und wilden Trommelschlägen (BTW: Freiheit für alle Schlagzeuger – eine Tennishalle ist kein geeignetes Revier für einen Fussballultra). Und auf einen begabten Fahnenschwinger: Gölä stellt seinen Mann an der grossen Fulehungfahne. Natürlich ist aller Anfang schwer, aber es wundert doch, dass er regelmässig ins Stolpern kommt. Er schiebt die Schuld auf den Ostschweizer (!) Weisswein, den er zuvor auf der Carfahrt ausgeschenkt hat.
Ja, betrunken haben wir uns jeweils schon früher auf Fanfahrten Richtung Wallis, war doch ein Match im Tourbillon damals gleichbedeutend mit einer sicheren Niederlage. Die wenigen Unentschieden, die Thun erkämpfte, waren dabei bloss die Regel dieser Ausnahme. Und selbst heute, nach drei Sittener Kanterniederlagen in Serie, tut sich Thun schwer mit den Wallisern. Erst versuchen es die Thuner mit Weitschüssen, doch Wittwer und Schirinzi zielen mehr schlecht als recht. Zuffi und Schneuwly wagen sich bei ihren Chancen näher an Tor, doch auch sie scheitern. Anders als St. Gallen oder Servette gelingen uns also keine frühen Tore gegen Vanins, die Walliser zeigen sich durchaus NLA-tauglich und wehren sich verbissen. Und mit jeder Minute ohne Gegentor wächst das Selbstbewusstsein der Walliser wieder ein klein bisschen.
Schliesslich ist Thun auf Favires Heldentaten angewissen, damit sie nicht gar in Rückstand geraten. Besonders brenzlig wird es nach gut einer Stunde, als es zum Duell Max Veloso gegen Faivre kommt. Die Abschlussposition ist ideal, der Schuss hart – doch Faivre wehrt den Ball mit Bravour ab. Und es kommt noch besser: Thun reagiert sofort mit einem Konter. Der Ball landet schliesslich beim Unaussprechlichen mit der Nummer 11, der eine Flanke auf Schneuwly schlägt. Und der erzielt per Kopf das 1:0.
Während das Walliser Leiden weitergeht – sie können auf das Tor nicht mehr reagieren – endet unser Tourbillon-Fluch. Und noch aus einem weiteren Grund sind wir bestens gelaunt. Auch ein 1:0 reicht aus, um den FC Sion in der Tabelle zu überholen. Und so stimmen wir an: «Europapokal, EUROPApokal, europaPOKAL, EUROPAPOKAL…»
Nur in den Schlussminuten bäumt sich Sion nochmals auf – mit gehässigen Fouls und Tätlichkeiten. Sie haben unser vollstes Verständnis: Irgendwie müssen sich die Spieler halt abreagieren, wenn Monsieur Constantin heute nicht im Stadion sitzt und damit nicht in (Schlag-)Reichweite ist. Eigentlich erstaunlich, dass nur gerade Marques mit Gelb-Rot vom Platz fliegt. Doch das ist nur ein kleiner Farbtupfer zum Abschluss, Thun bringt das 1:0 souverän nach Hause.
Der erste Thuner Sieg im Tourbillon seit Eröffnung der Lötschbergbahn anno 1902 ist so viel wert, dass die Thuner Stadtregierung die Nacht vom Samstag, 26. Mai auf Sonntag, 27. Mai gleich zur Freinacht erklärt. Man munkelt zwar, dass auch ein Meistertitel eines lokalen Handballvereins dazu beigetragen hat (BTW: Use, use, use mit Schaffhuse), aber wir nehmen das Freinachtangebot gerne an.