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Palermo - Thun 2:2
28.07.2011Europa League 2011/2012


Liebe Beate Oesch, dieser Bericht ist dir gewidmet. Du hättest nämlich die Möglichkeit gehabt, bei unseren unvergesslichen Stunden in Palermo dabei zu sein. Und dies notabene gratis. Null Problemo? Von wegen. Du bist nicht nur nicht am Flughafen Belp-Münsingen – der fälschlicherweise öfters als Airport Bern-Belp bezeichnet wird – erschienen. Nein, du hast dich nicht einmal abgemeldet, um einem anderen Fan die Möglichkeit einer Gratisreise zu ermöglichen. Stronza!

Die anderen drei Gewinner erscheinen dagegen pünktlich um 9 Uhr am Flughafen: Da haben wir einen langjährigen Thunfan («I ha no dr Latour im Thun-Gou gseh spiele u denn wo er scho bi YB isch gsi het er mit dene im Cuphalbfinau scho nach zwöi Minute es Gou vom Odermatt becho u YB het meh als Bärner doch lieber als di Basler oder Zürcher…»), der aber dennoch kein Saisonabo hat, weil er sonntags lieber Schwingfeste besucht. Da haben wir mit Ales die ehemalige Thunfans.ch-«Spielervergleicherin» (irgendwo auf unserer Seite lauert tatsächlich immer noch ein Meet&Greet-Gügi-Bild). Und da haben wir mit Wale den Grosspapi meines Göttibuebs. (Wale konnte in einem Radio Beo-Quiz die einstigen drei Champions League-Gegner der Thuner aufzählen, weshalb er kurzerhand das Hotelzimmer neben mir bekommen hat. Bei mir entlehnt er zudem ein FC Thun-Trikot für den Palermo-Abend.) Und schliesslich sind da auch noch 31 Fans, die tatsächlich für den Skywork-Fantrip um die 600/700 Franken bezahlen. Wenn denn mal die Rechnung kommen würde. Skywork trumpft zwar durch einen Top-Service auf, der selbst um 1.20 Uhr nachts (an der Hotelbar?) verschickte Mails beinhaltet. Aber Geld scheinen sie von uns nicht zu wollen. Es handelt sich aber definitiv um ein Gerücht, dass Ursula Haller zu einer Mäzenin à la Gigi Oeri geworden ist und die gesamten Flugkosten übernimmt. So freuen wir uns vorderhand über ihre 50 Euro-Spende für unseren Palermo-Umtrunk.
Wenn wir denn überhaupt nach Palermo kommen. Bereits der Sicherheitscheck am Flughafen scheint für unsere Gruppe eine (zu?) schwere Hürde zu sein. Man könnte meinen, wir würden für die mit Bestimmtheit schärfere Eingangskontrolle im FCL-Hochsicherheitsgefängnis üben. Fast bei jedem von uns leuchtet das rote Lämpchen auf. Mal geht die Uhr am Handgelenk vergessen, mal der Gurt, mal kommt im Rucksack ein (verbotenes!) Caffé Latte zum Vorschein, mal eine Zahnpastatube, die 125 Millimeter statt die erlaubten 100 Milliliter gross ist. Und ein bisschen Zahnpasta rausquetschen gilt nicht. Schon kommt eine Flughafenverantwortliche zu uns und klärt über Funk das Flugpersonal auf, wo denn diese Thunfans immer noch stecken.
Unsere Cabin Crew-Members entpuppen sich dann als Kölsche Jecks. Die Frage der Flight Attendant, auf welchem Tabellenrang Thun denn liege, beantworten wir mit einem energischen «Wir stehen ganz oben!» Das muss gefeiert werden: Mit Rotwein, mit Weisswein, mit Bier… Da bleibt nur Kollege Wenger blass. Flugangst?! Und die Blickschlagzeile «Drama in den Ferien: Luca ertrinkt nach Flugzeugabsturz» beruhigt da auch nicht. Erst recht nicht, wenn wir über eine Stunde lang über dem offenen Meer fliegen. Wir können dann Wenger aber doch noch davon abhalten, einen Fallschirm («E Fallschirm wär doch schlauer als e Schwümmweschte») zu verlangen.
Wohlbehalten landen wir in Palermo. Und ziehen auch hier wieder die Aufmerksamkeit eines Flughafenverantwortlichen auf uns. Unsere «Hopp Thun»-Gesänge hält er sicherheitstechnisch für bedenklich. Wahrscheinlich traut er fröhlich schwankenden Oberländern nicht zu, sich im Fall eines Falles rechtzeitig aus den Armen rosarot gekleideter Männern zu befreien. In der Tat sind alle Sizilianer, denen wir begegnen, übermässig nett. Da sich nun aber mit einem Artikel über friedliebende Fussballfans und freundliche Sizilianer keine Klischees bedienen lassen, schmückt das heimische Thuner Tagblatt seinen Undercoverbericht ein wenig aus: «Rund 100 Anhänger unterstützten Thun gestern gegen Palermo. 34 von ihnen waren mit einem Flugzeug der Skywork Airlines, dem Sponsor des Klubs, angereist. Obwohl sie keine Eskorte erhielten, machten auch sie Bekanntschaft mit der Polizei: Als sie nach der Landung «Hopp FC Thun» anstimmten, wurden sie von Polizisten umringt und zum Schweigen gebracht. Danach fanden auch sie rechtzeitig den Weg ins Stadion.»
Besonders letzterer Punkt ist nett. Ja, es ist uns durchaus zuzutrauen, in acht Stunden vom Flughafen zum Stadion zu gelangen. Und stellt euch vor, es reichte gar für einen Abstecher ins jeweilige Hotel (für mich musste es im Übrigen schon ein 4 Stern-Zimmer mit Pay TV sowie einem elektrischen Wasserkocher, mit dem man rund um die Uhr Nescafé zubereiten kann, sein). Man munkelt sogar, wir hätten uns ohne Schwierigkeiten stundenlang in der Innenstadt bewegt und selbst den Hafen besucht. Was allerdings doch nicht so einfach ist: Es giesst nämlich immer wieder mal viertelstundenlang wie aus Kübeln. Verschont uns dieser Drecks-Sommer-Wetter nicht mal in Palermo? Dass hingegen einige von uns eine 10-minütige Taxifahrt durch die teuflischen Strassen Palermos überlebt haben wollen, ist wohl eher ein Märchen. Die Unfallgefahr scheint gar so gross zu sein, dass wir von der Polizei zum Stadion ESKORTIERT werden.
Knapp 40 Fans sind wir schliesslich im Gästesektor. Die restlichen 60 Thuner scheinen sich im VIP-Bereich versteckt zu haben. So stimmen wir halt über die Köpfe von 28700 rosaroten Männern hinweg einen Wechselgesang mit Ursula Haller an. Der Lärmpegel bei uns im Sektor ist hoch, auch wenn die Verpflegung mal wieder notdürftig ist und das Lunchpaket Mineralwasser/Sandwich (8 Euro) sogar teurer als das Eintrittsticket (5 Euro) ist. Da schütteln selbst die drei Albaner unter uns (siehe Mottofahrt «Lek du mir ist Shkoder weit weg») die Köpfe. Das Spiel aber entschädigt für alles: In der sechsten Minute tankt sich der europaweit bekannte «Schneuxty» an der der rechten Seite Richtung Tor durch und passt den Ball zu Lüthi. Der überlegt nicht lange und überlistet Palermo-Goalie Francesco Benussi mit einem Direktschuss. Was für ein Auftakt. Doch die Führung währt nicht lange. Bereits in der 13. Minute gelingt Josip Ilicic mit einem 30-Meter-Schuss der Ausgleich. Dass sich Da Costa in dieser Situation ärgert, hängt ausnahmsweise nicht mit einem You Tube-Filmer zusammen: Dieser Schuss wäre ganz einfach haltbar gewesen. Scheisse aber auch! Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit neutralisieren sich die beiden Mannschaften.
Wie heissblütig die Fans in Palermo sind, zeigt sich während der Pause. Während sich in der Schweiz der Wiederanpfiff jeweils wegen Pyrorauch verzögert, stürzt hier in Palermo ein Ultra von der oberen Tribüne rund zehn Meter in die Tiefe. U dä hert Siech blibt quasi unverletzt. Trotzdem: «Sitzen ist für nen Arsch!», auch wir maxen nach dem verspäteten Wiederanpfiff weiter. Überaus interessant finden wir ja das spöttische «Thun»-Transparent, das in der Curva Nord hängt. «Thun ist eine Fisch» auf Italienisch vielleicht? In der 56. Minute jubeln wir erneut: Marc Schneider bringt einen Distanzschuss im Netz unter. Thun führt 2:1. Und lässt kaum noch Chancen der Rosaroten zu. Die Palermo-Spieler fallen in ihrer Verzweiflung einige Male plump zu Boden. Was dem serbischen Schiedsrichter Mazzic in der «La Gazetta dello Sport» im Spielbericht auf Seite 13 folgende Kritik einbringt: «Lascia giocare un po‘ troppo, ma non commette errori.» Er habe also keine Fehler begangen, aber viel laufen lassen. Da kann aus italienischer Sicht natürlich nie gut sein – ausser natürlich bei der italienischen Nationalmannschaft, die nach wie vor den schönsten Fussball der Welt spielt.
Challandes erhält in den drei italienischen Sportzeitungen übrigens die Noten 6,5 («La Gazetta dello Sport» sowie «Corriere dello Sport») beziehungsweise 7 («Tuttosport»). Sein Hauptverdienst ist es, nicht auf der Tribüne zu landen. An den Auswechslungen kann man durchaus rumnörgeln: Warum nur bleibt der erneut blasse Lustrinelli 76 Minuten lang im Spiel? Als Fotosujet für Palermo-Kumpel Gianluca taugt der Mauro alleweil mehr denn als Topskorer. Nun ja, im Rückspiel ist Lustrinelli gesperrt.
In dieses Rückspiel wird Thun als Favorit gehen. Eine fast perfekte Ausgangslage verspielen die Oberländer aber dummerweise in der Nachspielzeit, als wir längst den vermeintlichen Auswärtssieg besingen. Andrist foult Zahavi, worauf sich Palermos Captain Fabrizio Miccoli den Ball für einen 23 Meter-Freistoss setzt. Er läuft an… und trifft zum 2:2. Und so tobt das Stadion doch noch.
Um Mitternacht mischen wir uns unter die Nachtschwärmer. Einige schauen noch in einer Pizzeria vorbei, in welcher der Wirt (Achtung, erneuter Verstoss gegen die Klischeeregeln) einige der Pizzen gratis offeriert. Wir anderen dagegen staunen, wie kuschelig-lieb die Stimmung in einer von uns aufgesuchten Bar ist. Als einer das Gerücht in die Welt setzt, dies sei nun eben eine Schwulenbar, verlassen wir sie nach knappem Mehrheitsentscheid wieder. Wenn man halt nicht auf das Singen des Schmährufes «Luca Toni e homo» verzichten will… So trinken wir in der Rockbar Bier um Bier um Bier… und sitzen gefühlte 5 Minuten später um 6.30 Uhr bereits am reichlich gefüllten Morgenbuffet… und kurz nach 9 Uhr (der Gepäckträger ist tatsächlich langsamer als der verschlafendste Thunfan) heben wir wieder Richtung Schweiz ab. Auch dort gibt es wieder eine reichhaltige Getränkekarte und Frühstück Nummer 2 – beides selbstverständlich kostenlos. Um 11.30 Uhr sind wir in Belp-Münsingen, bis 11.31 Uhr haben wir sämtliche Kontrollen passiert. Also ab nach Hause. Und gleich wieder zurück an den Flughafen, meldet sich doch eine Skywork-Verantwortliche telefonisch bei mir, mein Brillenetui sei im Flieger gefunden worden. Daraus könnte man eigentlich fürs Thuner Tagblatt eine Klischeestory über sizilianische Gauner basteln…

Ja, liebe Beate Oesch, auf diesem Wahnsinnstrip hättest du dabei sein können. Aber du hattest sicher einen guten Grund, stattdessen etwas anderes zu unternehmen. Hetts dr gfaue?