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Thun - Vllaznia Shkodër 2:1
21.07.2011Europa League 2011/2012


Mirëmbrëma! Vor dem Stadion treffen wir die ersten Fans in Rot-Blau: Vllaznia-Fans. Da ich in Albanien weder in den Genuss eines Tors, noch eines Schals gekommen bin, setze ich sogleich zum Schaltausch an. Statt mit «ndryshoj?» versuch ichs mit «change?» Die Fans sind sich erst nicht einig, wer sich vom Rot-Blauen-Umhang trennen soll, schliesslich meint einer: «Not now, after the game». Eine voll krasse Kuhschweizer-Cap mit weissem Kreuz hätte ich zwar auch noch anzubieten, aber falls ich diese gegen eine Adler-Landesfahne eintausche, werde ich von gewissen Thunfans mit ganz ausgeklügelten Geografiekenntnissen wohl noch als Kosovare beschimpft. Übrigens: Wo sind jetzt eigentlich die tausend «Jugos» und «Shipis», deren Invasion xenophobe Fans für heute Abend vorausgesagt haben? Könnte es doch sein, dass nicht der ganze Balkan für das gleiche Fussballteam schwärmt? Im Gästesektor nehmen jedenfalls «nur» etwa 50 Fans Platz, die fast ausschliesslich aus Albanien angereist sind.
Weitaus schwerer aufzuspüren als Albaner sind heute freilich die Bierdosen. Die an sich gute Idee, sich schon knapp nach 17 Uhr bei der Migrol-Tankstelle Position zu beziehen, hat leider einen Schönheitsfehler: Wie wir lernen, dürfen ab zwei Stunden vor Türöffnung keine alkoholischen Getränke mehr verkauft werden. Eine Bestimmung, die im Übrigen auch an Meisterschaftstagen gelten soll. Heute wirkt sie aber besonders schwer, da am Bierstand vor dem Stadion nur alkoholfreies Panache und andere Bierimitate ausgeschenkt werden dürfen. Der Uefa sei Dank. So zücke ich halt mein Handy und bestelle bei Tom kurzerhand ein Gaschong Bier. Es ist nicht die einzige telefonische Bierbestellung im Vorfeld des Spiels, schon wenig später können wir uns doch noch zuprosten. So verweilen wir bis kurz vor Anpfiff vor dem Stadion.
Eigentlich ja ein Fehler: Heute ist ja Jekami-Gratis-Versucherli-Tag, der Leute anlockt, die für einen 1-Franken-Hotdog schonmal nach Kirchberg fahren. Und diese wollen natürlich auch das Angebot «freie Platzwahl» möglichst optimal nutzen. So steht ein Rentnerpaar bereits um 17 Uhr bei der Eingangstüre zum Fanblock. Werden wir heute etwa zur sitzenden Grufti-Kurve? Ganz so schlimm wird’s nicht, etwa zwei Drittel der Fans im G-Block stehen und singen fanatisch heissblütig. Wobei andere Fans ebenso fanatisch eiskalt sitzen bleiben. So auch zwei Herren direkt hinter Tom und mir. Nach zweieinhalb Minuten kommt deshalb die obligate Beschwerde: «Chöit dir nid abhocke, mir hei hie üse Sitzplatz u möchte öppis gseh.» Tom und ich lehnen das Angebot dankend ab.
Das Spiel ist zu Beginn gefällig. Selbst der nicht gerade als thunfreundlich bekannte Liveticker-Pilot des Blicks schreibt: «Die Thuner sind drückend überlegen! Vllaznia hat bisher keine Chance.» Dass die Thuner ihre Angriffsbemühungen nicht in Tore ummünzen können, nehmen wir gelassen zur Kenntnis. Ein 1:0 genügt ja bereits zum Weiterkommen. Und so ein Tor kann ja wirklich nicht schwierig zu… dummerweise machts uns der Gegner gleich vor. In der 14. Minute kommen die Gäste zum ersten Mal überhaupt in den Thuner Strafraum, Xheyahir Sukaj schiesst… und trifft zum 0:1. Tja, jetzt brauchts auf einmal zwei Thuner Tore.
Und es kommt noch schlimmer - jetzt aufpassen Herr oder Frau Tschurikin: In der 27. Minute muss der «Schneuxty» verletzt vom Platz. Für ihn kommt gemäss SF2-Fussballexperte Glarner ins Spiel. Was für ein Comeback. Wobei eigentlich ja Andrist fortan dem Ball hinterher rennt..
Trotz diesen Dämpfern ist die Stimmung gut im Stadion. Die 7200 Fans, die schlussendlich den Weg in die Arena gefunden haben, fiebern sichtlich mit Thun mit. Selbst in den anderen Sektoren rufen und klatschen die Zuschauer mit. Gross ist die Aufregung, als Lustrinelli nach einer halben Stunde das offene Tor aus sieben Metern Entfernung verfehlt. Oder als Witter kurz vor der Pause gleich zweimal am genial spielenden Miroslav Vujadinović scheitert. Da dieser rotblaue Typ mit der Nummer 21 ist der Goalie – und ein verdammt guter. Seine schon vor der Pause einsetzenden Zeitspiel-Mätzchen nerven zwar, aber die Klasse kann ihm niemand absprechen. Beim Pausenpfiff fürchte ich schon, dass Vujadinović nach Spielende mit einem Megaphon Siegessprüche anstimmen könnte – auf Albanisch versteht sich.
Wagten sich die Albaner in der ersten Halbzeit ab und zu noch bis ins Mittelfeld vor, ziehen sie sich nach der Pause noch mehr zurück. Teilweise verteidigt Vllaznia mit bis zu sechs Spielern. Das macht die Mission Palermo für die unglücklich kämpfenden Thuner noch schwerer. Kaum ein Schuss kommt noch aufs Tor. Jetzt ist ein Schütze, ein qitës gefragt. Und der kommt in der 70. Minute ins Spiel: Milaim Rama wird lautstark bejubelt. Er steht zwar schon beim nächsten Eckball goldrichtig, aber die Flanken sind heute irgendwie alle zu lang. Oder wie der Liveticker-Pilot des Blicks zurückhaltend schreibt: «Unfassbar! Wer diese albanische Mannschaft nicht schlägt, hat in der Europa League nichts verloren. Peinlicher Auftritt der Thuner! Das grosse Treffen mit der US Palermo rückt in weite Ferne.» Und in diversen Online-Fussballforen wird derweil der Abstieg der Thuner gefordert, weil irgendwie ein Furz-Koeffizient verschlechtert werde. Jööö, langweiliger sind nur noch die Schauspieleinlagen der Vllaznia-Spieler, die mehrmals minutenlang am Boden liegen bleiben. Kleiner Tipp: Rundet doch eure Performance jeweils mit einer Heraushumpeln ab. Denn wenn ihr jedes Mal nach der Pflege sogleich putzmunter aufspringt, hat nicht einmal der portugiesische Schiri João Ferreira Erbarmen mit euch. Und das will angesichts seiner Landeszugehörigkeit was heissen.
In der 89. Minute verlassen die ersten Gratiszuschauer das Stadion. Ebenfalls in der 89. Minute setzt Rama erstmals so richtig zum Schuss an. Und er trifft: Erst die Latte, doch dann landet der Ball hinter der Linie. 1:1. Das Startsignal für ein schier unglaubliches Schlussfurioso. In der 90. Minute kommt auch Lustrinelli zu einer Topchance, doch er vergibt. In der 93. Minute knallt dann Lüthi mit voller Wucht den Ball unter die Latte. Der Schuss landet im Tor: Wiiihuuuuuuuuuuu, 2:1. Und da sich nach gleich nach dem Anspiel jetzt natürlich ein Thuner am Boden wälzt, bleibt gar keine Zeit mehr, ein 2:2 befürchten zu müssen. Thun gewinnt und steht in der nächsten Runde.
Wie immer auf einen solch tollen Sieg anstossen? Im Stadion steht man bereits (zu) lange an, um den Alkfrei-Bierbecher loszuwerden. Und an der Tankstelle ist das Bierregal nach wie vor leer. Wir diskutieren gerade, bei einem Pizzakurier eine halbe Pizza und ein Biergaschong zu bestellen, als Tom die Vllaznia-Fans entdeckt. So gehe ich zu den sichtlich enttäuschten Gästefans rüber. Wir wechseln zwei, drei Worte und dann tauschen wir die Schals. Der Vllaznia-Supporter erhält einen legendären FC Thun-Champions-League-Schal, ich kann mir endlich einen K.F.-Schal umbinden. Faleminderit shumë! Mirupafshim!