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Vllaznia Shkodër - Thun 0:0
14.07.2011Europa League 2011/2012


Alo! Um genau 20.04 Uhr ist es soweit. Auf der anderen Strassenseite taucht das Stadion auf. Das von uns angepeilte Loro-Boriçi-Stadion, benannt nach einem der berĂŒhmtesten Fussballspieler Albaniens der 1940er und 50er. Und nicht nur was den Namen anbelangt, scheint hier im nordalbanischen StĂ€dtchen ShkodĂ«r die Zeit still gestanden zu sein. Der 1947 erstellte Bau aus Stein erinnert eher an ein Amphitheater, als an eine Fussballarena. Wobei gemĂ€ss albanischen Bauregeln auch dieses GebĂ€ude alle paar Jahre wieder um ein paar Anbauten ergĂ€nzt worden ist. In welcher all der Stadionteile sich der GĂ€stesektor befindet, bleibt erst einmal ein Geheimnis fĂŒr uns. Ein sympathischer Vllaznia-Fan dolmetscht fĂŒr uns beim albanischen TicketverkĂ€ufer, der die Billets ganz offiziell durch die Spalten eines Zauns verkauft. MĂŒssen schon wertvoll sein, die farbigen Papierschnitzel. Mit Angaben wie «Tribuna Qendor» können wir aber auch auf Englisch nichts anfangen, weshalb der VerkĂ€ufer kurzerhand empfiehlt, dass GĂ€stefans nicht Tickets Ă  200 oder 500 Lek, sondern Ă  1000 Lek kaufen sollten. Das wĂ€ren dann umgerechnet wohl so 8 Franken.
Zu unserer Rettung kommt dann nicht etwa ein FC Thun Fanbetreuer herbei geeilt, sondern ein Steffisburger Groundhopper namens LĂŒku. Dieser sammelt seit Monaten LĂ€nderpunkte von der TĂŒrkei bis Mazedonien – notabene ohne zugleich Fussball zu schauen. FĂŒr den FC Thun macht er aber zum GlĂŒck eine Ausnahme und weist uns den Weg ins Stadion. Dazu gehen wir die Steintreppe eines bunten GebĂ€udes hinauf. Uns scheint, als wĂŒrden wir ein Gartenhaus, statt ein Stadion betreten. Doch wir landen tatsĂ€chlich auf der HaupttribĂŒne, werden aber gleich zu einem weiteren, durch eine GittertĂŒre abgetrennten Stadionteil gefĂŒhrt: Mehrere Polizisten heissen uns 9 Thunfans – plus LĂŒku – herzlich willkommen in einem doch eher kargen GĂ€stesektor. Auf acht Steintreppenreihen sind blaue Plastiksitze «montiert». Viele von ihnen haben nicht nur Brandlöcher und sonstige Abnutzungserscheinungen, sie teilweise auch völlig lose. Immer wieder fĂ€llt ein Stuhl eine Reihe runter, weil mal wieder einer von uns drauf getreten ist. Und doch wird hier immer mal wieder europĂ€ischer Fussball gespielt, auch die albanische Nationalmannschaft bietet immer mal wieder Gegner zum Ernstkampf. Zuletzt endete 2007 hier ein Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2008 0:0. Mein Beileid fĂŒr die slowenischen Fans, die damals so weit reisten, um ein 0:0 zu sehen.
ZurĂŒck zur Stadioninfrastruktur: Das grosse Aha-Erlebnis haben wir dann allerdings, als uns einer der Polizisten den Weg zum «WC» zeigt, das sich gleich hinter der Ecke befinde. Dort befinden sich nĂ€mlich drei Treppenstufen, eine Mauer und ein verrostetes Eisentor. Toilettenkultur Ă  la Albanien. Wenns nur bloss um 20.20 Uhr nicht immer noch 30 Grad heiss wĂ€re und dieses «GschmĂ€ckli» entsprechend intensiv ist.
Derweil singen die Vllaznia-Fans auf der Gegenseite schon oben Ohne. Der grobe Fankern besteht trotz den beiden Zaunfahnen «1919» und «Vlla Znit» aus keinen 50 Supportern. Diese sorgen dann noch in der 5. Spielminute fĂŒr eine Pyroshow mit Rauch und grellen Fackeln. Ob die heissblĂŒtigen Fans wohl die Thuner daran erinnern wollen, dass ShkodĂ«r in den beiden Europacupspielen gegen das maltesische Birkirkara jeweils kurz nach Anpfiff die entscheidenden Tore erzielt hat? Nötig wĂ€re dies aber nicht, wie von uns erhofft, drĂŒcken die Thuner aufs Tempo und können gleich in den ersten beiden Minuten einen Eckball und einen Freistoss herausholen. Und wenig spĂ€ter bereits die erste Topchance: In der 13. Minute wirbeln die Thuner im gegnerischen Strafraum, der Ball kommt zu Rama, dieser stolpert den Ball Richtung offenem Tor. Doch im letzten Moment hechtelt Vllaznia-Goalie Vujadinović dem Ball erfolgreich hinterher. Und weiter geht die Thuner Offensive, vielfach steht Rama im Mittelpunkt. Doch fehlt im Abschluss die letzte Konsequenz, die teils mehrere Meter am Tor vorbei fliegenden BĂ€lle werden von uns nur mĂŒde applaudiert. NatĂŒrlich singen wir ab und zu ein Lief, aber 90 Minuten-Dauersupport liegt angesichts der Hitze nicht drin. Zumal das Spiel zunehmend an Schwung verliert. Ab der 30. Minute erinnert die Partie ans Altherrenderby bei der Stadioneröffnung vergangenen Samstag.
So machen sich zwei von uns auf den Weg, irgendwo in StadionnĂ€he GetrĂ€nke aufzutreiben. Einen Verpflegungsstand gibt es im GĂ€stesekttor ebenso wenig wie anderswo im Stadion. Der Grosseinkauf fĂŒr eine Handvoll Lek umfasst 10 Petflaschen der angesagten albanischen Mineralwassermarke Trebeshina. GĂ«zuar!? Nein im Ernst, da reist man 1000 Kilometer und bleibt wegen solch doofen Uefa-Regeln biertechnisch gesehen auf dem Trockenen. Dass dann aber ausgerechnet die Polizisten die Petflaschen gar willentlich herumschmeissen (oder kann ein Polizist allgemein keine WurfgegenstĂ€nde fassen?) irritiert dann schon.
Die Sicht aufs Feld ist an sich gut, der Zaun gegen das Spielfeld ist maximal 1 Meter hoch. Davor haben sich mehrere Rollstuhlfahrer positioniert, weiter vorne sitzt bei der alten Aschenlaufbahn ein Teil des Thuner Betreuerstabs auf einer Holzbank. Die Ersatzspieler und der Trainerstab sitzen derweil auf einer Standardtrainerbank mit Sonnenschutz. Ja, selbst Challandes hĂ€lt sich dort bei seinem Thuner ErnstkampfdebĂŒt ruhig. «Challandes sagt ja heute kaum was», sagt einer von uns noch ganz erstaunt. Noch, lieber Kollege, noch
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Das Spiel wird in der zweiten Halbzeit richtig schlecht. Besonders bei den Thuner steigt die Fehlerquote jetzt ins UnertrĂ€gliche, wobei allerdings die Gegenspieler auch immer hart einsteigen. Doch auch wenn der kroatische Schiri Pristovnik zu viel laufen lĂ€sst – nur Andrist und Schindelholz erhalten an diesem Abend eine gelbe Karte, aber keiner einziger der albanischen Holzacker – ist das Thuner Malheur doch selbst gemacht. Viele BĂ€lle gehen im Mittelfeld ja auch völlig unbedrĂ€ngt verloren. Das gilt auch fĂŒr sie, Herr Motzki-BĂ€ttig. Am meisten Einsatzwille zeigen in der Phase jene Spieler, die sich direkt vor uns warm laufen: Es sind dies komischerweise gleich die Ersatzleute beider Mannschaften. Und stimmungsmĂ€ssiger Höhepunkt ist die Auswechslung von Rama, der nach einer Stunde Lustrinelli weichen muss. Auch hier in Albanien (fĂŒr allemal: Albanien ist nicht gleich Kosovo ist nicht gleich Lerchenfeld)gilt: «There’s only one Milaim Rama.» Es ist im Übrigen heute sein erster Europacupeinsatz seit damals im Juli 2004 gegen Brno.
Was er sich in der Schlusshalbstunde vom Spielfeldrand anschauen muss, gefĂ€llt ihm wohl ebenso wenig wie uns. Thun gerĂ€t immer mehr unter Druck. Die Einheimischen setzen zu Ballstafetten an, die zwar zum GlĂŒck in klĂ€glichen SchĂŒssen mĂŒnden, die das Tor noch klarer als die Thuner «Chancen» verfehlen. Doch das Publikum erwacht nun auch auf den TribĂŒnen, das Loro-Boriçi-Stadion vorĂŒbergehend zum Hexenkessel. In der 81. Minute rettet Da Costa in letzter Not. Und die Thuner? Die lassen sich mal fĂŒr mal den Ball abnehmen – wenn sie ihn denn nicht gleich selber per Fehlpass offerieren. Spielen sie gegen vorne, kommen sie meist noch vor dem Strafraum aus dem Tritt. Einzige Ausnahme ist Wittwer, der kurz vor Schluss Vllaznias Belisha zur Glanzabwehr zwingt.
Den eigentlichen Schlusspunkt setzt aber Challandes. Der lĂ€sst in der Schlussviertelstunde die guten Manieren weg und gestikuliert und reklamiert bei vielen Szenen lautstark. Zu laut. Da der kroatische Schiri den Vllaznia-Trainer Mirel Josa vorher wegen weit weniger Emotionen ermahnt hat, muss er Challandes regelrecht regelkonform auf die TribĂŒne schicken. Peinliches DebĂŒt fĂŒr unseren WĂŒterich.
Und dass er gar nicht noch frĂŒher vom Platz musste, liegt wohl daran, dass er zeitweise von einem anderen Schreihals ĂŒbertönt worden ist: Vom benachbarten Minarett hat sich gleich mehrmals der Muezzin vom benachbarten Minarett mit lauten Gebetsaufforderungen zu Wort gemeldet, was indes auch das heimische Publikum nicht von FangesĂ€ngen abhielt.
Das Spiel endet 0:0. «Minimalziel erreicht» wird der FC Thun die Leistung spĂ€ter noch schönreden. Dass als Minimalziel nicht gleich einfach eine pannenfreie Fahrt des Mannschaftscars beim abenteuerlichen Schlaglöcher-Ritt von Montengro nach ShkodĂ«r oder das möglichst schnelle Ausgeben von (sagen wir mal
) 21‘000 Lek pro Kopf herausgegeben wurde, mĂŒssen wir wohl noch loben. Nein, liebe Thuner, das war nun echt ein mieser Auftritt. Dass wir 10 Fans dennoch eine Welle machen mit den Spielern, hat wenig mit diesen letzten 90 Minuten auf dem Rasen zu tun. Wir sind vielmehr dankbar, dank unserem Europacuptrip so ein tolles Land kennen gelernt zu haben.
Und so philosophieren wir Minuten spĂ€ter in der Bar neben dem Stadion bei einem herrlich kĂŒhlen «Tirana» (das ist jetzt Bier, kein Mineralwasser) ĂŒber Land, Leute und Raki. GĂ«zuar allerseits – ob in ShkodĂ«r oder Tirana.

P.S. Zur erhofften «Skandalnacht von Tirana» kommts wider Erwarten nicht, obwohl uns das geniale Team vom Hotel Baron eine 24-Stunden-Bar zugesichert hat und die 150 Lek-BiervorrĂ€te schier unerschöpflich scheinen. Mag es an unserem Alter, am Raki oder an den denkwĂŒrdigen Oliven liegen, um 2.30 Uhr pfeifen wir uns selber ins Bett. NatĂ«n e mirĂ«.