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YB - Thun 0:1
30.04.2011Super League 2010/2011


Und wieder bin ich nach einem Spiel im Klösterli-Pub. Besser gesagt stehe ich auf dem WC und wasche mir die Augen aus. Mir ist kotzĂŒbel, die Augen trĂ€nen. Super, Derbystimmung! Nach ein paar Minuten wage ich mich zurĂŒck ins Pub – okay, ich werde vertrieben, weil einer pissen muss. Über den Lautsprecher lĂ€uft Pseudo-Rock. Klar, heute ist Holland-Abend im Pub. Ob RenĂ© van Eck heute Geburtstag hat oder die einstige Trennung von Belgien gefeiert wird, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Trotzdem war ich noch nie so froh, einen völlig in Orange gehĂŒllten Raum zu sehen. Nein, ich bin nicht zum Holland-Fan mutiert, obwohl ich nach zwei Tagen ohne Rasur und zu vielem guten Essen in letzter Zeit schon fast als van Eck-Double durchgehen könnte. Aber mal im Ernst: Wenn heute hier wie gewohnt im Pub ein YB-Dress hĂ€ngen wĂŒrde, ich wĂŒsste nicht, ob ich mich beherrschen könnte. Das macht mir Angst. Aber heute Abend wurde mir innerlich das Fanherz zerrissen. Berner Saupack, wirklich! Den YB-Fan an der Bar grĂŒsse ich besser nicht. Ich starre besser in mein Bierglas hinein. Eigentlich wĂŒrde das Egger-Bier ja heute gut rutschen. Nur habe ich alle fĂŒnf Minuten wieder einen heftigen Hustenanfall. Danke liebe «Berner Fans», danke.

Es ist ein Tag zum Vergessen. Dabei war der Aufenthalt im Wankdorf an sich doch ein pures VergnĂŒgen. Schon allein die Choreo ist ein Genuss. Dutzende Oberland-Fahnen aus Plastik, dazu zwei Riesen-SpruchbĂ€nder, die auf den Punkt bringen, dass das Berner Oberland hinter dem FC Thun steht. Und wie wir hinter dem FC Thun stehen. Wir in der gut gefĂŒllten Kurve das ganze Spiel hindurch und lassen uns auch nicht beirren, dass YB in der Startminuten stĂ€rker ist und gleich zu mehreren schnellen Angriffen kommt. Doch Torgefahr kommt nicht wirklich auf, ausser vielleicht als ein Thuner bei einem YB-Eckball einen Schuss auf der Linie abfangen muss oder wenig spĂ€ter ein Bienvenues SchĂŒsschen am Tor vorbeizischt. Anders als Gelb-Schwarze Traditionalisten immer behaupten, ist heute YB aber nur in der Startviertelstunde ein ernst zu nehmender Gegner. Die restlichen 75 Minuten ist die Petko-Elf so gut wie unsichtbar. Arbeitsverweigerung der Selbsternannten-Vizemeister? Uns soll es recht sein.
Thun kann sich heute eigentlich nur selber schlagen. Mit zunehmendem Spielverlauf werden die Thuner Chancen immer hĂ€ufiger. Besonders gefĂ€hrlich wird’s in der 35. Minute. Lezcano kann alleine aufs YB-Tor stĂŒrmen, doch holt ihn Affolter noch vor dem Strafraum von den Beinen. Rot? Nein, nur Gelb. Das besonders an dieser Schiri-Fehlentscheidung: Schiri Carrel hat seine Rote Karte verloren, sie liegt im Mittelfeld am Boden. Wo sie ĂŒbrigens das ganze Spiel ĂŒber bleiben wird. Wenn das keine Einladung zum harten Einsteigen ist. Doch auch wenn die Thuner einmal heil an den Bernern vorbei sind, vergeben sie die scheinbar einfachsten BĂ€lle vor Wölfli. Wie kann beispielsweise Wittwer seine Chance vor dem Tor nicht nutzen, ai ai ai. Dabei wĂ€re heute schon ein 0:0 eine gefĂŒhlte Niederlage.
Dann aber kommt Thun in der 52. Minute zu einem Freistoss. BĂ€ttig tritt ihn. Er bringt den Ball geschickt vors Tor, wo Lezcano goldrichtig steht und einköpfen kann. 0:1. Riesengrosser Jubel im GĂ€stesektor. Und der verhallt gar nie mehr so richtig, wird doch jetzt erst recht laut gesungen. Zumal YB-Chancen jetzt definitiv Fehlanzeige sind. Die Gelb-Schwarzen können die Thuner nur noch mit Fouls bremsen. Darin sind sich wohl alle im Stadion einig – die YB-Fans pfeifen bald schon mal gleich laut wie die Thunfans. Nur Schiri Carrel zeigt gleich zweimal einem gefoulten Thuner Gelb wegen vermeintlichem Simulieren. Erst Matic, dann auch Lezcano. Ja geits no!?
Da Thun das 2:0 einfach nicht gelingen will – die Chancen wĂ€ren wirklich zur GenĂŒge da – mĂŒssen wir vier Nachspielminuten lang weiter zittern. Schiri Carrel verlĂ€ngert diese Zeit gar noch, da eine Nachspielzeit ohne YB-Topchance wohl nicht den Swiss Football League-Reglementen entspricht. Doch der Ball kommt und kommt nicht in den Thuner Strafraum. Da hat auch Carrel ein Einsehen mit den 19‘000 Zuschauern (durchaus vizemeisterverdĂ€chtige Zahl
 uups, Platz 2 liegt ja gar nicht mehr drin) und pfeift endlich ab. Riesenjubel. Und das aus doppeltem Grund. Thun hat heute nicht nur den ersten Derbysieg im neuen Wankdorf-Stadion geschafft, sondern auch den Ligaerhalt mit dem Punkten 38, 39 und 40 gesichert. So ein Tag, so wunderschön wie heute


Dann aber die VorfĂ€lle nach dem Spiel. Es ist ja erst noch ganz lustig, eine halbe Stunde im Stadion bleiben zu dĂŒrfen. Ist heute wirklich ein dĂŒrfen. Wir feiern die Spieler: Welle, Uffta, gemeinsame Lieder – einfach das ganze Programm. Wir stimmen Lieder auf das schöne Thuner Fandasein an und beklatschen die Thuner beim Auslaufen. Und noch eine Welle, wow. Kein Thuner, der jetzt nicht ĂŒberglĂŒcklich wĂ€re. Aber wie war das nochmals mit dem Sicherheitskonzept? 22.45 Uhr fĂ€hrt also ein Thuner Extrazug. Nur fĂ€hrt 22.43 Uhr am gleichen Perron auch ein Zug nach Bern. Überraschung, hier hats natĂŒrlich YB-Fans. Provokation waren frĂŒher, heute kommts direkt zum Handgemenge. Ein Fan stĂŒrzt auf die Gleise.
Dann endlich der Thuner Zug. Rot-weiss, eine schöne Geste. Nur können – von uns und der peinlich schwachen Polizei unbemerkt – auch gewaltbereite YB-Fans einsteigen. Und zweitens fĂ€hrt dieser Zug nicht etwa direkt nach Thun, sondern hĂ€lt zuerst in sieben KĂ€ffern (ja, damit habe ich jetzt auch MĂŒnsingen beleidigt). Vor allem aber hĂ€lt er nach wenigen Metern bereits in Ostermundigen. Hallo!? Welcher Thuner wohnt wohl in Mundigen und fĂ€hrt erst noch 500 Meter mit dem Extrazug nach Hause? Steckt uns das nĂ€chste Mal doch gleich in einen ĂŒberfĂŒllten Extrabus, der 50. Mal in der Berner Agglomeration hĂ€lt. Jedenfalls stĂŒrmen «YB-Fans» im vordersten Zugsteil aus dem Waggon, rennen vermummt nach hinten und stĂŒrmen in (mindestens) zwei Zugsteile hinein. Ein fairer Fight? Mitnichten. Das gelbschwarze Saupack schlĂ€gt und tritt auch nach Kindern. In jenem Waggon aber, an dem sie selber SchlĂ€ge einstecken mĂŒssen, greifen sie zur Pussy-Taktik und werfen TrĂ€nengaskapseln hinein. In einen ĂŒberfĂŒllten Zug, in dem schon Panik herrscht. Bravo, wirklich bravo! Das einzige «Sicherheitspersonal», das vor Ort ist, sind vier orange-gekleidete Zugsbegleiter. Doch die mĂŒssen sich auch bemĂŒhen, nicht wie einzelne Fans direkt auf den Boden zu kotzen, und bringen die Lage erst nach ein paar Minuten zumindest so unter Kontrolle, dass der Zug weiterfahren kann. NĂ€chster Halt: GĂŒmligen. FĂŒr mich ist die Fahrt in MĂŒnsingen zum GlĂŒck ĂŒberstanden - wobei neben mir vier grinsende Gelb-Schwarze Kutten aussteigen. Ich bin wĂŒtend, dass sie scheinbar so grossen Spass an der Extrazugfahrt hatten – auch wenn ich gar nicht weiss, ob sie den peinlichen Berner Überfall ĂŒberhaupt mitgekriegt haben. Wirklich peinlich ist aber, dass in MĂŒnsingen, wo es nach wie vor in BahnhofnĂ€he einen Polizeiposten hat, kein einziger Polizist am Perron steht, um auch schon nur zu protokollieren, ob sich ein Skandal Ă  la Ostermundigen hier wiederholt. Nein, die Verkehrskontrollen haben einmal mehr Vorrang.

So sitze ich im Pub und denke darĂŒber nach, warum um Himmels willen ich mich je entschieden habe, Fussballfan zu werden. Will ich wirklich Woche um Woche auf gewaltbereiten Pöbel treffen und dann noch im aktuellen Zwölf lesen mĂŒssen, dass YB die fairsten Fans der Liga hat und Thun die unfairsten? Am Sonntag gehe ich nach Wichtrach an ein Polo-Spiel. Krawatten sind definitiv sympathischer als YB-Schals.