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FCB - Thun 1:3
13.11.2010Super League 2010/2011


Endlich wieder mal mit dem Joggeli-Shuttle ans Spiel. In jenem Zug sind mehr Passagiere drin als letzte Saison bei einem durchschnittlichen NLB-Auswärtsspiel im Stadion. Doch hier in Basel wird Fussball noch gelebt und eifrig diskutiert. Mit manchem Basler komme ich im Zug oder vor dem Stadion ins Gespräch. Wie zum Beispiel mit unserem Lieblingsbeppi in der US-Rocker-Jeansjacke. Der geniesst das Spätsommerwetter und kauft sich trotz (oder wegen?) 18 Grad mehrere Schals. Sogar einen Freundschaftsschal: FCB – AS Rom und nicht etwa FCB – FC Thun.
In all den Gesprächen merke ich nie so recht, ob die Basler nun überfreundlich zu mir sind oder ob ihr Fussballwissen einige Lücken aufweist. Ja die trauen doch dem FC Thun heute alle eine Überraschung zu. Als ob es spielentscheidend wäre, dass Yakin am Freitag die Meisterprüfung zur Uefa-Pro-Lizenz abgelegt hat. Oder dass Andrist am selben Tag vom bananenländischen Fussballverband bereits wieder freigesprochen wurde und spielen darf. Ich wäre daher überrascht, wenn Thun nicht gerade drei, vier Tore kassieren würde. Wenn ich mit einem mulmigen Gefühl zu unserem, erstmals auf dem Balkon oben gelegenen Gästesektor steige, liegt das nicht nur an meiner leichten Höhenangst. Wenn die Spieler ähnlich grossen Respekt vor dem Leader haben wie ich, einigt man sich besser auf ein 0:3.
Doch von wegen. In der Startminute übernehmen die Thuner im Mittelfeld den Ball und laufen zu viert auf zwei Basler am Strafraum zu. Ausgerechnet Andrist flankt auf Glarner im Strafraum. Dieser kann den Ball aber nicht schnell genug unter Kontrolle bringen. Verdammt, solche Torchancen gibt’s im Joggeli nur selten.
Bereits in der 5. Minute spielt Thun das Basler Mittelfeld wieder aus. Glarner dringt von links in den Strafraum ein und überläuft Samuel Inkoom. Dieser stoppt ihn von ihnen – penaltywürdig! Und der Pfiff erfolgt auch. Soll mir jetzt keiner sagen, auch das sei eine Schwalbe gewesen. Für Verwirrung sorgt Schiedsrichter Drabek, weil er die Rote Karte gut sichtbar in seiner Hand hält. So bin ich wie andere Fans auch überzeugt, dass Thun ab sofort in Überzahl spielt.
Ich hab im St. Jakob-Park ja schon Mensi spielen, zaubern und treffen sehen, aber wenn jetzt Scarione am Penaltypunkt gegen seinen Landsmann Franco Costanzo trifft, ist dies das schönste je in Basel erzielte Tor eines Argentiniers. Aber sicher doch. Scarione schiesst und… versenkt der Ball in der Tormitte. 1:0 – für Thun!
Thun macht weiter Druck. Und weil immer andere Spieler angreifen, sind die AngriffszĂĽge fĂĽr den Gegner unberechenbar. In der 18. Minute setzt sich fĂĽr einmal Hediger vor dem Strafraum durch. Doch bei einem natĂĽrlich gewonnenen Zweikampf mit Cagdas prallt ihm der Ball an die Hand. So folgt ein Handspfiff statt ein 1:1 von Hediger gegen Costanzo.
Längst piepst mein Handy im Minutentakt. Ein Sion-Kollegenkreis hat sich entschieden, während einer Geburtstagsparty das Spiel auf Bluewin TV zu verfolgen. Meine FCZ-Freundin fiebert am Computer mit. Und mein FC Thun-Kumpel… ja, der hat verpennt und den Weg nach Basel nicht mehr geschafft. Vielleicht ein Fehler, denn hier im Thunsektor kommt langsam Euphorie auf.
In der 22. Minute prallen Bättig und Streller zusammen. Beide blieben liegen, doch Bättig steht bald wieder auf. Streller dagegen humpelt vom Platz und wird am Spielfeldrand gepflegt. Wie viel Basler sind jetzt noch auf dem Platz? 9 oder 10? Ein unbedeutendes Detail, so passiv wie doch alle Rotblauen spielen. Dann kommt aber in der 25. Minute Chipperfield für Streller ins Spiel. Vor Kampfsau Chippy muss man sich immer in Acht nehmen.
Doch zum Glück (zum Glück für den Gegner!) hat der FCB ja auch noch Yapi auf dem Spielfeld. Jener Yapi, der angeblich letzte Saison das Meisterduell entschieden haben soll. Dieser Yapi ist in der 26. Minute vor dem Strafraum im Ballbesitz. Weit und breit ist kein Thuner in Sicht. Doch als Yapi völlig orientierungslos ins Nirgendwo – sprich Richtung Strafraum – spielt, kommt Proschwitz an den Ball. Er rennt alleine aufs Tor und drückt an der Strafraumgrenze ab. 2:0 – für Thun. Oder Thon, wie sie in der fischverrückten Chemiestadt zu sagen pflegen.
Auf den Thuner Rängen sind die lauten Anfeuerungsrufe zu Spielbeginn längst zum Dauersupport geworden. Zahlreiche Fahnen werden geschwenkt. «Fahne ache!» rufe ich. Geht aber nicht, ich schwenke längst selber eine. Wenn ich nicht gerade für jedes Thuner Tor einen Becher Weisswein holen gehe. Es ist ein herrlich süffiger Abend. Das Spiel ist so turbulent, dass wir uns noch nicht einmal darauf einigen konnten, ob wir den Frei eigentlich auspfeifen wollen. Doch in der 39. Minute ist das eh geklärt: Da wird nämlich Zanni eingewechselt. Wir besinnen uns darauf, dass man besser alte Freundschaften pflegt als aus taktischen Gründen irgendwelche Ostschweizer Pfeiffkonzerte nachzuahmen. Also dann: «Reto Zanni, nimm ihn doch…»
In der 45. Minute dann ein Schreckmoment. Basel kommt tatsächlich zur ersten richtigen Torchance. Frei wurde knapp ausserhalb des Strafraums von Matic gefoult. Und Frei schiesst auch den Freistoss –präzise an der Mauer vorbei. Doch Da Costa kann den Ball ins Aus fausten. Kurz darauf ist Pause.
Beim «Pausentee» merke ich dann endlich, dass der Thuner Angriffswirbel gar nicht auf eine Überzahl zurückzuführen ist. Statt einer durchaus angemessenen Roten Karte, die der Schiedsrichter wirklich in der Hand gehalten habe, habe es nur Gelb für den Penaltysünder gegeben. Und Inkoom stehe nur deshalb nicht mehr auf dem Platz, weil er ausgewechselt worden sei. Ich bin verwirrt. Fussball ist wirklich zu schnell und komplex für mich, die Regeln überfordern mich total. Juhu, damit wäre ich doch der perfekte Schiedsrichter, Bananenverbandsfunktionär oder Sion-Trainer.
In der 49. Minute versuche ich herauszufinden, warum nach dem ersten Zanni-Zweikampf auf der Grossleinwand eine chinesische Comicfigur mit den Händen herumfuchtelt. Wünscht man sich Zanni nach China? Hätte er mehr Talent als Dim Sum-Verkäufer? Oder soll er sich einfach mal einen Schnauz wachsen lassen? Nein, Zanni habe gerade Gelb gesehen. Aha!? Wie in der 51. Minute Abraham. Der stoppt als letzter Mann Scarione mit einem Ellbogenschlag. «Da hat der Argentinier Glück, dass er Gelb sieht und nicht Rot», heisst es sofort auf den Internetlivetickern. Wahrscheinlich habe heute nicht nur ich ein Farbenproblem.
Der Thuner Angriffswirbel geht derweil weiter. Andrist schiesst knapp übers Tor, Scarione setzt seinen Freistoss ins Aussennetz, Proschwitz verpasst eine Flanke von Andrist… Der superstark spielende Andrist ist entsprechend ausgepowert, als er in der 57. Minute vom Platz geht. Für ihn kommt Ifet Taljevic kommt zu seinem ersten Einsatz für den FC Thun. Da sind wir ja mal gespannt.
In der 62. Minute dann ein Schreckmoment. Basel kommt zur zweiten Torchancen. Chippy zielt mal einfach aus 18 Metern. Der an sich nicht allzu gefährliche Schuss wird von Glarner abgelenkt, Da Costa fliegt am Ball vorbei. 2:1 – doch Thun führt noch immer! Und kurz nach dem Anspiel kommt auch Taljevic bereits zur ersten Topchance. Doch er scheitert.
Ist Thun wirklich nicht in Überzahl? Ob sich diese Frage wohl auch der desorientierte Yapi stellt? In der 66. Minute rennt Glarner mit dem Ball der Seitenlinie entlang. Da stürzt plötzlich Yapi von der Spielfeldmitte auf ihn zu und tritt ihn um. Bevor ich das Wort «Rote Karte» überhaupt wieder in den Mund nehmen kann, bekomme ich ein SMS. «Ha ha ha!!!! Was für ein Spiel!!! Jetzt stehen definitiv nur noch 10 Basler auf dem Platz!!! Ha ha! Ich kann nicht mehr!» Ich schätze also, Thun ist nun wirklich in Überzahl. Nur ist das Spiel noch nicht gewonnen. In der 68. Minute schiesst Chippy nur knapp übers Tor. Deckt endlich diesen Chipperfield! Der FCB hat jetzt die zehn besten Minuten des ganzen Spiels, in denen er doch tatsächlich zu drei (!) Torchancen kommt.
Doch in der 79. Minute wirbelt wieder Thun. Scarione kommt über links, versucht zuerst selbst den Abschluss und scheitert, kommt nochmals an den Ball und legt zurück auf den eingewechselten Taljecvic, der aus 20 Metern abdrückt. Der Schuss wird noch abgelenkt und… der Ball landet im Tor. 3:1… für Thun! Ja dann, santé, genehmigen wir uns nochmals einen Weisswein. Und wer einst geschworen hat, sich bei drei Thuner Toren im Joggeli auch mal an der Halb-halb-FKK zu beteiligen, präsentiert seine Brusthaare. «Auswärtssieg! Auswärtssieg!»
Die Schlussminuten können wir wirklich geniessen. Irgendwie schade, gibt es nur zwei Nachspielminuten. Bleibt aber umso mehr Zeit fürs Feiern mit den Spielern. Die setzen sich gleich selber vor unserem Sektor ins Gras, als wir ausgelassen jubeln. Die Spielern wollen ein «UFFTA»?! Also dann. «Gebt mir ein U…»
Im Joggelishuttle gebe ich mich nicht als Thunfan zu erkennen. Wobei ich kaum zu singen kommen würde, da ständig das Handy piepst. Ich empfange Stilblüten wie «Bravo Thun. Hüt fasch glich gjublet wie we YB gspilt hätt. Yapi aff senstaionell gsi…» Ob ich mein breites Grinsen als Thunfan enttarnt? In der DB ist mein Schal jedenfalls wieder deutlich sichtbar. Ich setz mich in den Speisewagen und feiere den Sieg mir Nürnbergern Würsten und einem grossen Bier. Die Rechnung fällt erstaunlich klein aus: 19,50 Franken für Würste mit Kartoffelsalat, einen gemischten Salat als Vorspeise, ein grosses Bier und ein Bierglas mit «DB-Gütesiegel» zum Heimnehmen. Danke DB, bei der nächsten Demo bin ich auf eurer Seite. Ich würde wohl tatsächlich mit den deutschen Kellnern über Bahnpolitik unterhalten, wenn sich nicht bis Olten drei Basler zu mir setzen würden und eine halbe Stunde lang über den starken FC Thun und den gewieften Yakin vorschwärmen würden. Ich weiss immer noch nicht so recht, ob auch diese Basler überfreundlich sind oder wirklich glauben, dass Thun an jedem Spieltag zu solchen Topleistungen fähig ist. Ich verweise jedenfalls aufs Bellinzona-Spiel kurz vor Weihnachten. Erst nach einem Sieg in jenem Match kann Thun einigermassen beruhigt überwintern. Dennoch: «So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der sollte nie vergehn. So ein Tag…»