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Thun - Xamax 1:2
02.10.2010Super League 2010/2011


Cashmere? Heute fühle ich mich in der Kurve wie im Kaufleuten – oder wie in einem Manor-Katalog. Eine Frauengruppe diskutiert, mit wie viel Gel die bunte Frisur auch wirklich sitzt. Und die Herren stehen in edlen Pullis und Hemden um mich herum. Da sind die drei älteren Herren, die auf poppige Querstreifen-Shirts setzen. Oder da ist Gölä, der geschickt Woll- und Seidenschals mit einem eleganten Pulli kombiniert. Und Sexy-Remo hat natürlich mal wieder ein göttliches Hemd übergezogen. Und mittendrin philosophieren zwei Lifestyleexpertinnen auf Züüüridüüütsch über die wichtigen Dinge im Leben – was aber irgendwie nicht Fussballspiele(r) sind. Als dann noch die Fanclub-Runde neben mir über die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu diskutieren beginnt (Punkt 1: Wie/wann/warum soll man heiraten? Punkt 2: Was macht man mit einer Freundin, die für YB schwärmt?), wünsche ich mir die alte Thuner Ultra-Mentalität zurück. Und prompt verdecken mir gleich vier Red White Boys-Fahnen die Sicht aufs Tor. Ja dann supporten wir halt blindlings.
Wir wissen ja ohnehin, wie Thun seine Gegentore erhält. Nach zehn Minuten erhält Xamax einen Freistoss zugesprochen. Als Nuzzolo den Ball setzt, meine ich besserwisserisch zum über DJ-Brüste (!?) diskutierenden Gölä: «Schau dir jetzt erst mal das Tor an.» Tatsächlich fliegt der Ball Richtung Torraum, wo er allerdings von Gohou eher zum Schüsschen abgefälscht. Dann verschwindet der Ball im Red White-Boys-Fahnenmeer… und angesichts der jubelnden Xamax-Spieler auch im Netz. Ein klassischer Goaliefehler! Da aber Da Costa und nicht Stulz im Tor steht, wird in der Fankurve über die Verteidigung geschimpft.
Thun bäumt sich nach dem Gegentreffer auf, man will ja schliesslich die Unentschieden-Hysterie fortsetzen. Eckball um Eckball erkämpfen sie sich. Die Bälle sind meist schwach getreten, einmal fliegt der Ball sogar ins Mittelfeld. Aber eine Version lassen wir tatsächlich gelten, erzielt doch Thun in der 25. Minute wieder einmal eines der so raren Eckballtore. Also aufgepasst: Scarione bringt den Corner von rechts vor den linken Pfosten, dort steht Innenverteidiger Stipe Matic und köpft den Ball platziert in die rechte Ecke. Lange sind wir aber nicht sicher, ob der Treffer zählt, gibt es doch eine Rudelbildung um einen am Boden liegenden Spieler. Matic muss «gepflegt» werden, das «Sterbende Schwan»-Spielen nimmt in Thun immer seltsamere Dimensionen an. Aber es braucht ja gar keinen Penaltypfiff, der Treffer zählt. 1:1.
Die Xamax-Fans schauen verdutzt. Etwa 30 sind heute in Thun am Start. Auch sie fähndeln aktiv. Und sie hängen eben mal so eine Che Guevara-Fahne an den Zaun. Dann sollte man aber zuvor bitte schön nicht an der Gästekasse minutenlang jammern, weil man mit einem Soldatenausweis der Schweizer Armee nicht billiger ins Stadion kommt. Überhaupt machten die Neuenburger vor Spielbeginn so viel Klamauk und Ärger an der Gästesektorenkasse, wie keine andere Fangruppe zuvor diese Saison. In der Provinz fühlt man sich echt gross… Wobei Kevä in der Pause ein anderes Bild der Neuenburger aufzeichnet. Nett seien sie, gute Typen. Ja okay, sie haben ihm in der Innenstadt ein Bier bezahlt.
«Scheiss Paparazzi!» pöbelt dann unser Modeguru Gölä in der zweiten Halbzeit einen Fotografen an. Gut ist er gerade beim Jeton-Wechseln, als sich wieder mal ein TT-Jungmitglied bei einer selbstmörderischen Mission bewähren muss. Das Thuner Tagblatt hat mal wieder einen Journalisten mit der Aufgabe losgeschickt «schreib mal einen Bericht über das Matcherlebnis in der Fankurve und befrage ein paar Fans.» Und so kommt er mit dem Notizblock auf mich zu. Jetzt wird mir zum Verhängnis, dass mein Outfit keine edle Merinowolle/Cashmere-Kombination ist, sondern ein rot-weisses Fulehung-Shirt ist. Ja dann, die Fragen sind ja sicher kompetent. «Bist du schon lange Thun-Fan oder erst seit kurzem?» Wirklich schade, ist Gölä gerade beim Jeton-Wechseln…
ZurĂĽck zum Spiel: Ismaeel zieht auf der rechten Seite davon, in der Mitte kann Klose erneut dem schnelleren Ibrahima Niasse nicht folgen. Ismaeel passt daher zu Niasse, der den Ball in die nahe untere rechte Ecke einschiebt. 1:2. Wirklich unhaltbar?
65 Minuten sind da gespielt und Thun steckt mitten im Abstiegskampf. Und im Team werden mehrere Schwachpunkte sichtbar. Yakin wird nach dem Spiel sagen: «Von einigen Spielern bin ich anderes gewohnt – sie haben heute nicht verdient, auf dem Platz zu stehen.» Interessanterweise sind sich die nörgelnden Fans mit dem NZZ am Sonntag-Journi (pardon: Scheiss-Paparazzi!) einig, welche Spieler noch im Fulehung-Grove verweilen: Demiri, Hediger, Bättig und vor allem Scarione. «Itz nimm mal dä Scarione use!» Genau!
Thun wirft in den Schlussminuten nochmals alles nach vorne. Die Top-2:2-Chancen haben Proschwitz, nochmals Proschwitz und dann auch noch Scarione mit einem Wahnsinns-Freistossschuss aus 30 Metern. Aber nichts geht mehr rein. 1:2. Fertig, vereinzelte Pfiffe. Was aber auch daran liegt, dass sich einige Spieler nicht mehr vor der Kurve zeigen, Da Costa zum Beispiel. Hallo!?
Das Eigentor des Tages schiesst dann übrigens noch der Speaker. Nicht wegen dem Abspielen des Thun-Songs, sondern weil er tatsächlich verkündet, das Cupspiel sei immer noch nicht angesetzt. Hallo, hallo!? Das Spiel ist am Samstag, 16. Oktober um 16.00 Uhr in Buochs. Die Nidwaldner können auch nichts dafür, dass die Thuner Homepage mal wieder nicht auf dem aktuellen Stand ist und nicht einmal das Délemont-Testspiel vom nächsten Freitag vermerkt ist.
Die erste Mannschaft liegt derweil noch drei (Verlust-) Punkte vor dem letzten Platz. Aber ich bin guten Mutes, dass sich Thun im Abstiegskampf bewähren wird. Schliesslich übergibt mir Schizo heute nach dem Spiel den Grappa di Ticinese, den er extra für mich in Bellinzona gekauft hat. Und wer weiss, welch Zaubertrank jener Grappa war, den ich damals in Gossau dabei hatte, kann erahnen, welche Wirkung dieser neue 40-Franken-Grappa hat. Also liebe Kinder: Fördert die Schweizer KMU-Wirtschaft und kauft statt indischer Kaschmir-Pullis Schweizer Grappa. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu politisch.