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Thun - YB 3:4
13.07.2002NLA Qualifikation 2002/2003


Ärger, Ärger, erst der Arger, den Stadionverantwortlichen des FC Thuns gelingt es in wenigen Minuten, bei uns Fanclubmitgliedern sämtliche Vorfreude auf das lang erwartete Derby zu zerstören. Unser neu gestalteter Sektor D bleibt nämlich verschlossen, während anderswo YB-Fans ungestört in Massen ins Stadion strömen dürfen. Da verwundert es nicht weiter, dass die ersten Rotbeflaggten rund 70 Minuten vor Anpfiff waghalsig über den Zaun klettern, um endlich zum Rasen drängen zu können. Schuld an dieser leider nicht ersten Thuner Stadionsichterheitsblamage ist Sicherheitsguru Vetsch, der als einziger einen Schlüssel für das spassverhindernde Tor zu haben scheint und mit diesem Torsprenger sorglos spazieren geht. Schliesslich besinnt er sich knapp eine Stunde vor Spielbeginn doch noch seiner Pflichten und dreht den Schlüssel im Schloss. So beginnt ein unglaubliches Drücken und Drängen, das zur Folge hat, dass im Sektor D so ziemlich jeder heimische und besonders auch auswärtige Fussballbewunderer einen besseren Platz einzunehmen vermag als wir vom Fanclub. Gerade mal zehn Meter vorderste Reihe an einem ganz anderen Platz als sonst können wir noch einnehmen, womit klar wäre, dass wir uns nicht am "Vetsch geht endlich ins Altersheim"-Abschiedsgeschenk beteiligen werden.
Durch diesen anfänglichen Ärger nun stark erhitzt, befassen wir uns mit dem Projekt Lärm. Pauken, Trommeln, Gasdruckfanfaren werden verteilt und rund eine halbe Stunde vor Spielbeginn eröffnen wir die hoffentlich nicht nur in unserem Sektor zu hörende Lärmorgie. Dabei haben wir uns einige Verstärkungen in unsere Reihen geholt, geben doch auch Langnau- und SCB-Fans ordentlich den Ton an. Dabei bleiben wir immerzu fair, Sprechgesänge wie "Zehnerliga ohne gelbe Jungs" oder "Chappi ghört ins Altersheim" rutschen uns nur aus Versehen heraus.
Während wir schon so singen, füllen sich auch die letzten Reihen im Stadion Lachen. Wir merken sofort, es ist ein einzigartiges Gefühl, in einem vollen Stadion zu stehen - besonders in Thun. 9500 Fussballfans sind wie wir da - nur 1000 mehr hätten überhaupt noch Platz gehabt. Was dennoch schmerzt, ist die Tatsache, das die gelben Fans in Überzahl sind. Das wird besonders beim Einmarsch der beiden Mannschaften ersichtlich, als die YB-Fans das Stadion geradezu in gelbe Farben verhüllen lassen - rote Farbeffekte dagegen fehlen fast völlig.
Auf dem Platz ist das Gott sei Dank anders. Nicht etwa die zusammengekaufte Stadtberner Mannschaft übernimmt das Spieldiktat, nein, die Thuner greifen an. Wobei man differenzieren muss. Renfer spielt in den Startminuten und eigentlich den ganzen Match hindurch eher blass, während Rama einmal mehr fussballgöttisch kickt. Vielleicht auch nur, weil sich die YB-Hintermannschaft so gar nicht um ihn kümmert. So ist er auch in der 9. Minute frei, er zielt und schiesst und 1-0! Thun führt und in ein Gespräch vertieft habe ich den Abschluss gar nicht richtig mitverfolgt. Die Freude ist riesig.
Wir Fans wünschen uns sogleich das 2-0 herbei, denn mit Führungen in Meisterschaftsderbys haben die Thuner nicht gerade die beste Erfahrungen gemacht. Da war auch einmal ein 2-8 gewesen, bei dem erst Thun dominiert hatte.
Und auch jetzt. Kaum haben die Thuner ein zweites Mal abdrücken können, zeigen sich die genialen Berner Armenier. Die 20. Minute ist es erst, als Petrosjan den Ausgleich erzielt. Die Reaktion in unserem Sektor D: Jubel! Unglaublich viele YB-Fans stehen um uns herum, keine 20 Meter neben uns schwenkt ein Knirps in der ersten Reihe eine YB-Fahne.
Doch das nächste Tor erzielen wieder die Thuner, eine halbe Stunde ist da gespielt. Dummerweise hatte jedoch der Fähndlima seine Fahne da schon längere Zeit hervorgestreckt, Schiri Schoch pfiff einzig viel zu spät. Dieser Ablauf irritiert viele im Stadion. Einige jubeln, einige protestieren und einige rennen ganz schnell - besonders dieser angegraute Spieler namens Chappi. Der hat echt den Nerv, Sekunden nach dem Thuner Offsidetreffer ein gültiges Tor zu erzielen. Und so steht es in der 33. Minute 1-2. Und wieder wird neben uns eine YB-Fahne geschwenkt. Ärger machts sich mal wieder in uns breit, doch noch dominiert die Hoffnung.
Der nächste Freudentöter nimmt da aber längst Anlauf zu seinem Treffer, Häberli ist diese Saison böserweise endlich wieder in Form. Auch er drückt ab, als die Thuner Defensive ordentlich verwirrt ist und so steht es in der 40. Minute 1-3.
Ganz nach dem Motto "wir wollen fairen Sport" stürme ich da auf den YB-Knirps los und erkläre ihm mal den Unterschied zwischen einem "Thun-Sektor" und einem "YB-Sektor". "Provoziere uns ja nicht weiter!" erkläre ich mich noch, um nicht nur einige bissige Kommentare (auch von einer Rotschwarz Frau) zu hören, sondern in den Schlussminuten der Halbzeit auch zu bemerken, wie die YB-Fahne immer näher zu mir rückt. Beim Pausenpfiff wird sie gerade noch fünf Meter neben mir geschwenkt. So beginnt Diskussion Nummer Zwei. "Das geht doch nicht! Provokation! Provokation!" Die Mutter verteidigt ihn aber: "Wir sind das erste Mal an einem Match! Da haben wir halt die falschen Billette gekauft..." "Ja wenn man schon zu blöd ist, richtige Billette zu kaufen, sollte man wenigstens die Klappe halten und nicht provozieren. Und überhaupt: In der Pause kann man ja den Sektor wechseln!" Meine Kritik prallt wie an einer Betonwand ab.
Auf dem Spielfeld dominiert die Tierwelt. Ein kleiner Strassenköter jagt einem Ball hinterher, Fahrni-Brieftauben fliegen aus einem unverständlichem Grund durch die Luft und plötzlich lässt der Stadionspeaker nach einem zusätzlichen Schiri ausrufen. Während sich Sascha Lehmann, als Nicht-mehr-Fanclub-Mitglied wäre der somit neutrale Kenner sämtlicher Fussballregeln doch der richtige Mann für den Job, sich schon warm läuft, fragen wir uns, ob sich Schiri Schoch eigentlich auf oder neben dem Platz verletzt hat. Auf - ist schliesslich die Antwort. Und die Pause dauert an und an und dank der plötzlich stark einsetzenden Regen werden wir so richtig nass.
Wir lernen in diesem Nass mal wieder die Ironie des Lebens kennen. Um uns herum stehen rund zehn schöne Mädels und was tragen sie - schwarze Schirme statt weisse T-Shirts. Dies führt bei Wiederanpfiff sogleich zu Diskussionen, können doch unsere Nachwuchsfans wegen der Schirme in Reihe 1 das Spielfeld nun nicht mehr sehen. Die Mädels zeigen sich verständnisvoll und schliessen die Schirme daher nun jeweils sofort, wenn nicht gleich Megatropfen runterprasseln. An dieser Stelle ein grosser Dank.
Der Match dauert an wie gehabt. Chappi schlägt einen genialen Pass, Petrosjan schiesst ein. Nach 50 Minuten steht es somit 1-4, das ganze Stadion fühlt sich an dass 2-8 erinnert. Und noch immer verbleiben 40 Minuten zu spielen, oh schreck.
Doch nun beginnt im Dauerregen einmal wieder so eine magische zweite Halbzeit, welche für Thuner Fussballfans unvergesslich ist. Während YB hinten rein steht, ich sage noch "das ist wieder typisch YB. Kaum steht es 4-1, spielen sie auf Resultat halten", riskieren die Thuner alles. Ein Angriff folgt dem anderen und das erste Tor innerhalb dieser Angriffsserie fällt rasch. In der 54. Minute trifft Yao zum 2-4.
Von den nächsten Minuten krieg ich nun nicht viel mit als jeweils bei Auswärtsspielen nach durchsoffenen Zuganreisen. Ich bin nüchtern und habe trotzdem Durch- und Überblick verloren. Der Regen überschwemmt mich nämlich geradezu, pflotschnass bin ich, die Brillengläser zeigen mir schon erste Fische an und so ziemlich alle 10 Sekunden wische ich mir Wassertropfen von Brillenglas und Nasenspitze. "Ich sehe nichts, ruft also laut, wenns ein Tor gibt!" gebe ich bekannt und jammere noch viel mehr "Hilfe, ich ertrinke!" Bei jedem Schlag auf die Riesenpauke fliegt ein ganzer Wasserteich durch die Luft. Die Witterungsbedingungen sind wirklich extrem, doch schliesslich sind wir hier nicht in Lugano, in Thun wird ordentlich fertig gespielt.
Spieler und Fans sind ohnehin keine Memmen wie Schiri Schoch. Doch den vermisst eh keiner, Ersatz Grossen aus Frutigen pfeift eh besser - ja gar Penalty nach 80 Minuten. Wollen wir mal nicht erwähnen, dass das Foul eigentlich vor dem Strafraum passierte. So nimmt Rama jedenfalls Anlauf und - verschiesst! Das glauben wir jedenfalls. Doch der Ball zischt an linkem Innenpfosten und Collaviti vorbei in die rechte Ecke. 3-4. Ich springe auf, stürzte mich nach vorne und beisse in die Hecke hinein. Dieses Grün schmeckt verdammt bitter nach Abwaschmittel. Wenn das nur mal keine kotzige Nacht bedeutet.
Die wahre letzte Viertelstunde, die Thuner Viertelstunde, beginnt. Einige gute Torchancen haben sie noch, unsere roten Helden. Doch auch Kobel muss immer wieder retten, da der YB-Angriff plötzlich auch wieder aus der Trance erwacht ist. Der Schlagabtausch, bis auf eine kleine Rangelei, stets fair, erreicht seinen Höhepunkt. Plötzlich schreien wir auf, wir wollen ein Hands eines Gelben gesehen haben. Nur eben, bei dieser schlechten Sicht will keiner von uns zu viel behaupten.
Und so endet das Spiel halt doch mit einem YB-Sieg. Wir aber pfeifen nicht, wie diese verdammten Modefans in Basel, denen selbst ein 1-1-Unentschieden nicht gut genug ist. Wir feiern vielmehr unser Thuner Team trotz Niederlage, denn sie haben sich nie aufgeben und super gerackert. BRAVO THUN BRAVO THUN!
Nachdem die Punktejagd nunmehr also abgeschlossen ist, begebe ich mich auf die Jagd nach einem trockenen Matchmagazin. Dieses Heft hat seit dem Start der Fanclubserie doch ordentlich an Niveau gewonnen. So stolpere ich also auf der Tribüne herum, schnappe in der obersten Reihe ein Heft, als ich plötzlich einen Chor singen höre: "Wir wolln den Mattäng sehn, wir wolln den Mattäng sehn." Ganz nach dem Motto "Stell dich!" zeige ich mein Gesicht und erblicke so die ganze Oldtown Boys Horde, wobei wir beiden Fangruppen glücklicherweise durch einen Zaun voneinander getrennt sind. Einige Worte werden gewechselt, bis die durchaus sympathischen Jungs, wer will solch verwirrte Fussballzuschauenden wirklich beleidigen, (mit hämischem Unterton?) ein Lied anstimmen, das schöner nicht sein könnte: "Top Ten Thun! Top Ten Thun!"
Trotz Null Punkten nach zwei Spielen glaube ich in diesem Moment an eine Zehnerliga mit Oberländer Jungs.