Thunfans » Spielberichte » Super League 2006/2007 » St. Gallen - Thun
St. Gallen - Thun 1-2
19.11.2006Super League 2006/2007


Am Mittwoch merkte ich so richtig, wie angekratzt doch mein Vertrauen in den FC Thun ist. Da sitze ich eine Stunde vis-à-vis von Sportchef Gertschen und kann seinen „Es kommt gut mit Thun, der Knoten geht demnächst auf“- Optimismus nicht teilen. Ich staune nur, dass er ernsthaft damit rechnet, dass Thun in St. Gallen gewinnen wird. Nicht ein Hauch von Unsicherheit ist in seiner Stimme zu hören. Da sind wir Fans doch bedeutend skeptischer. Wie fragt doch Kumpel Judihui Gertschen Minuten später: „Erstattet der Verein vielleicht einmal den Fans die Kosten für einen Auswärtsmatch?“ Er antwortet ausweichend…
Am Sonntagmittag sind wir Fans trotzdem unterwegs nach St. Gallen. Mit dabei zum Beispiel der bei Liestalern, Aarauern und Frauen bekannte Sanel. Auch er ist ganz optimistisch – oder vielleicht nach seiner wilden Geburtstagsparty am Vorabend einfach immer noch bier- und liebestrunken. Gleich mit 5 Tipps nimmt er am Thunfans-Tippspiel teil. Unter anderem auch mit einem 2-1, mit seinem üblichen „Hodzic schiesst ein Tor“-Tipp. Ob so eine Idee wirklich Geld wert sein kann? Als Torschütze ist Hodzic jedenfalls kaum bekannt – in St. Gallen wird neben seinem Bild „Hodicz“ stehen.
Im Zug erhalten wir übrigens noch unerwartet eine Gruppentherapie. Eine Psychologin Typus Alte Jungfer hält uns ungebeten einen Vortrag zum Thema Alkoholismus. Alkohol schädige die Gene. Und überhaupt: „Wer trinkt, ist schwach im Bett.“ Gut sind unsere Zugfahrerinnen heute nüchtern…

Schön ist der Anblick im Stadion. Trotz SAT1-Live-Übetragung ist der Thunsektor gut gefüllt, rund 150 Thuner haben den Weg in die Ostschweiz auf sich genommen, um die Mannschaft zu unterstützen. Doch auch hier: Ganz traut man dem Leistungsvermögen des Teams nicht. Handgeschriebene Zettel werden verteilt. Mit der Melodie der alten Nicole-Schnulze (gemeint ist die Nicole ohne Schuhe, nicht die Nicole ohne Fussballverstand) singen wir beim Einlaufen der Spieler: „Ein bisschen Kämpfen für unsre Farben, das können wir doch von euch erwarten…“ Es ist der vorletzte Moment an diesem Tag, an dem Kritik an unserem Team laut wird. Ein paar Fans werden auch an diesem Match Rama lautstark kritisieren.
Allgemein gilt aber: Die Thuner treten als (starke!) Mannschaft auf und zeigen eine gute Leistung, die uns grosse Freude bereitet. Zugegeben, der Beginn ist eher schwach. St. Gallen ist überlegen und setzt Thun unter Druck. Selbst das verletzungsbedingte Out des Mittelfeldspielers Gjasula nach fünf Minuten schockt die Ostschweizer nicht. Ihre Angriffe sind schnell. Alex fehlt zwar, aber dieser Aguirre – Wahnsinn. In der 27. Minute schiesst er daher nicht unerwartet das 1-0. Es ist ein wunderschöner Treffer hoch ins Netz.
Noch schöner ist aber das 1-1 in der 34. Minute. Dabei haben es nur wenige Thunfans gesehen und erst recht wenige haben den Torschützen erkannt. Nach einem Freistoss von Hämmerli nickt Hodzic zum 1-1 ein. Endlich einmal eine Chance genutzt. Zuvor hatte im typischen Thunstil Gerber am Tor vorbeigeköpft.
Thun ist in dieser Schlussviertelstunde vor der Pause die bessere Mannschaft. Sie spielen frech mit, hinten wie vorne. Besonders die Nummer 14, dessen Name nach diesem Spiel wohl jeder Thunfan weiss: Marco Hämmerli macht 90 Minuten lang eine Hammerpartie! Gleiches gilt auch übrigens auch für Portmann, der auch heute wieder ein sicherer Rückhalt ist.
Auch Ferreira steht heute endlich wieder mal 90 Minuten auf dem Platz. Und wie! Nach einem guten Angriff kurz nach der Pause schreit die ganze Kurve „Hey, Nelson Ferreira!“ – minutenlang. Klar, die Melodie ist witzig. Aber es ist schön, einen Altbekannten nach mehreren schwachen Auftritten wieder erfolgreich fighten zu sehen. Und dann kommt die 52. Minute: Nelson schiesst aus 22 Meter-Entfernung aufs Tor – und trifft! Der nächste Moment im Thunfanblock: Laut, nass, glücklich! Heja, wir führen in St.Gallen. Und das absolut verdient. Hopp Thun.
Thun spielt weiter stark. Und doch zittern wir noch 40 Minuten um die möglichen drei Punkte. Ein kleiner Fehler wie zum Beispiel in einer Szene von Deumi könnte schon den Ausgleich zur Folge haben. Und Aguirre ist sowieso immer gefährlich. Doch die Thuner Elf hält dem Druck der St. Galler stand und setzt sich in der Nachspielzeit gar noch einmal in der Ostschweizer Hälfte fest. Und so ist nach genau 93 Minuten der überraschende Sieg perfekt – der erste Auswärtssieg seit dem 20. April in Schaffhausen notabene. Glückgefühl total im Thuner Block.

Klar, dass nach einem Sieg die Rückfahrt nach Thun besonders viel Spass macht. Die Mitreisenden im Zug mögen uns den lauten Gesang und die dicke Luft verzeihen. Und Aliki die „Wir basteln uns aus einem Sonntagsblick eine Choreo“-Aktion. Würdest du wie der Bassspieler neben uns die NZZ lesen, hätten wir nur den Stellenteil in Fetzen reissen müssen. Man stelle sich übrigens vor: Da sitzen an einem Tisch im Zug fünf grölende, stinkende Thunfans und ein Berufsmusiker problemlos nebeneinander. Das nenne ich Integration! Oder war er bloss so gut gelaunt, weil ihm Tom die ganze Zeit Münzen vor die Füsse warf. Nein, seine „ich klebe mir Münz an die Stirn“-Zirkusnummer war dann schon nicht als Spendenaktion gedacht. Ja wie sprach doch der weise Schizo am Schluss: „Bassspieler sind Verlierer.“ Thunfans hingegen nicht!
Nur der bei Liestalern, Aarauern und Frauen bekannte Sanel vielleicht ein wenig: Er hat trotz dem richtigen 2-1-Tipp inkl. einem richtigen Torschützen kein Geld im Tippspiel gewonnen. Ein Fan hat tatsächlich das Resultat und beide Torschützen erraten. Ob dieser Optimist mit Reto Gertschen bekannt oder verwandt ist – ich weiss es nicht.