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Sparta Prag - Thun 0-0
07.12.2005Champions League 2005/2006


Ist es unser letztes Europareisli in dieser Saison? Mit diesem Szenario müssen wir Thunfans vor der Abfahrt nach Prag durchaus rechnen. Doch wir sind optimistisch und hoffen auf mindestens einen Punkt gegen Sparta und ganz viel fröhliche Momente in der tschechischen Big City. Letzteres scheint leichter machbar zu sein, sind uns doch die spottbilligen Bierpreise dort schon von unserer Brno-Reise bekannt. Damals waren wir übrigens 15 Fans im Thun-Sektor – dieses Mal werden rund 650 Rotweiss-Supporters im Gästeblock stehen. Alleine im offiziellen Fanprojektbus mit Captain Wilu sind 48 Thuner unterwegs. Darunter übrigens auch mein Mami. Wer hätte gedacht, dass die erste gemeinsame Auslandreise von Mutter Engel und Sohn Engel ausgerechnet nach Prag führt. Da ist bei der Platzauswahl natürlich die richtige Taktik sehr wichtig. Meine Mutter platziere ich bei Lydia, Erika und Nelly in der ersten Reihe, ich dagegen setze mich weit hinten ihn. So kann die Fahrt und damit das Biertrinken – die erste Reihe hat mehr Freude an Wein – beginnen.
Abfahrtzeit ist Dienstagabend um 20.00, da Andy einmal nichts vergessen hat, sogar mal ganz pünktlich und ohne Umweg über die Grauholz-Raststätte. Meine letzte Oschtblock-Reise (gemeint ist in diesem Begriff mit „Oschtblock“ übrigens die langweilige östliche Europahälfte und nicht die langweilige Hälfte der Thuner Fankurve…) dauerte 40 Stunden – damals nach Kiew. Dieses Mal wird mir eine Reisezeit von 12 bis 13 Stunden versprochen. Die Tatsache, dass Ausdauer-Carfahrer Mätthu in meiner Reihe sitzt, beunruhigt mich aber etwas.
Wir kommen aber schnell vorwärts – trotz einigen Rauchpausen. Zwei sind besonders kultig. Jene, in der es für alle Gratis-Glühwein gibt (danke Wilu für die kreative Umsetzung meiner Idee, auch wenn Lauras „Es het no Glüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüühwyyyyyyyyyyyyyyyyyy“-Gekreische etwas fehlt), während die jüngeren Mitfahrer lieber auf dem Spielplatz Bagger fahren. Doch wer weiss, gut möglich, dass Röbi dabei die Promillegrenze trotzdem bereits hoch überschritten hat.
Bei einem weiteren Stopp um halb zwei Uhr morgens sind wir mitten in Deutschland. Erste Sprachprobleme gibt es trotzdem schon – oder liegt es vielleicht an den frechen Sprüchen, dass Tom nicht bedient wird? Mir jedenfalls serviert die Bedienung ganz nach dem Motto „flotter geht’s nicht“ eine Bockwurst mit ganz viel Senf. Dies ist wohl auch ein Grund dafür, wieso Tom sich nach der Fahrt über eine Überdosis Schweinswürstli aus dem Car beklagen wird.
Ich nehme mir dann vor, im Car ein paar Stunden zu schlafen. Wach werde ich erst vom Aufruf „Was ist das?“, als ein tschechischer Zöllner kurz nach Sechs über Amador stolpert. Man liegt auch nicht mitten im Gang, Ami. Ich hoffe, dass der Stopp am Zoll möglichst schnell geht, schliesslich sind Mätthu und ich ja auch die einzigen beiden mit verdächtigen ukraelischen Beziehungen, die stundenlanges Schikanieren am Zoll rechtfertigen würden. Hoffentlich entdeckt der Zöllner bloss nicht den ukraelischen Stempel in meinem Pass. Doch als ich ihm den hinhalte, schaut er nur auf das Kreuz auf der Titelseite. Das nenne ich eine speditive Passkontrolle… über eine Stunde später steht unser Car immer noch am Zoll. Langsam beginnen wir über die langwierige Kontrolle zu schimpfen, ukraelische Gastarbeiter-Geduld ist uns natürlich fremd. Nervig diese Tschechen! Nur… der Fehler liegt bei uns, oder genauer gesagt bei Käppeli-Tom. Dieser hat schlichtweg die tschechischen Einreisebestimmungen ignoriert und will Frau und Kind, die beide einen dominikanischen Pass haben, mit einem simplen Schweizer Hochzeitdokument über die Grenze schleusen. Doch für den Zöllner gilt: „Kein Visum = kein Match in Prag.“ Und so machen wir halt kehrt und steuern ein kleines deutsches Dorf an. Ade Familie Käppeli, man sieht sich am Donnerstag wieder. Und so schaffen wir zwei Stunden später endlich den Sprung über die tschechische Grenze, ohne übrigens angehalten zu werden.
Ein exotisches Land verlangt einen exotischen Film. Wir schmeissen den Film „Kangaroo Jack“ ins Video - ein bisschen Kultur muss auch auf einer Fussball-Fanfahrt sein. Und wie heisst es doch im Filmlexikon: „Furzende Kamele, dumme Mafiosos, ein australisches Känguru und sein Freund Louis (Anthony Anderson), der ihm einst das Leben rettete, machen Charlie (Jerry O’Connell) das Leben ziemlich schwer.“ Erwähneswert ist hier die Begleiterin der beiden Känguru-Jäger, die mich in ihrer Schönheit an Michèle erinnern würde, wüsste ich in dem Moment überhaupt, dass eine Michèle bei uns im Car sitzt. Jedenfalls ist der Film absolut bescheuert und wir finden ihn absolut genial. Ob das einen Zusammenhang mit unserem Schlafmangel und übermässigem Alkoholkonsum hat, kann ich aber nicht abschätzen.
Um 10.00 sind wir dann endlich in Prag - oder jedenfalls dort, wo unsere Carfahrer Prag vermuten. Wir fahren mal wieder ungeplant im Kreis, und überqueren die Moldau erst um 10.39. Dies sagt jedenfalls die Beschriftung des Bildes, mit dem ich den tschechischen Hauptstadtfluss fotografisch festgehalten habe. Eigentlich will ich ja eines der unzähligen Chomutov-Schilder festhalten, aber das will mir mangels Reaktionsfähigkeit nicht gelingen.
Um 11.00 sind wir dann endlich beim Hotel – 15 Stunden hat die Fahrt also gedauert. Für Mätthu und ich ein neuer Oschtblockreise-Minusrekord. Wie scheinbar alle Hotels in Prag ist auch hier das Hotel Luna in Farbe und bunt – Fassade und auch die Balkone sind ganz in türkis. Nach etwa einer halben Stunde sinnlose Registrierungszettel ausfüllen – meine Heimadresse ist übrigens Lachen, 3604 Thun – können wir endlich unsere Zimmer beziehen. Hinter jeder Zimmertüre verbergen sich zwei Räume, die Zimmerkombination A231/A232 wird das neue Zuhause von Sam, Mario R., Mercutio, Röbi und mir. Kurz kann ich mich auf mein Bett setzen, es wird mein letzter Bettkontakt bis am nächsten Morgen bleiben. Um Punkt 12.00 heisst es endlich Abmarsch Richtung Busstation. Am Kiosk lösen wir eine 24 Stunden-Fahrkarte. Okay, gemäss englischer Aufschrift ist das Billet nur 75 Minuten lang gültig, aber wir fahren trotzdem den ganzen Tag damit herum – auch in der U-Bahn. Immer wieder sehen wir dabei Plakate mit der wichtigen Information, das am 18.12.05 Katarina Witt in Prag auftritt. Doch Hobby-Fan Andy weiss nicht mal, wer das ist. Hätte er nicht einmal mehr seine kultige Wodka Caramel-Flasche bei sich, ich würde ihn direkt als Looser beschimpfen.
Zufälligerweise landen wir nach der U-Bahn-Fahrt an der internationalen Busstation. Oder wollen die anderen Fans Mätthu und mich darauf hinweisen, dass wir besser wieder mal mit einem Linienbus durch Osteuropa reisen sollten? Nein, eigentlich suchen wir ja nach Hinweisen, wie wir ins Stadtzentrum gelangen. Stattdessen werden uns von Prags Media Markt-Strassenverkäufer ein Handy und eine Videokamera angeboten. Nach mehrmaligem Rumfragen nach dem Weg, gehen wir zur U-Bahnstation zurück und dort in die nächste Beiz. Von 13.30 bis 14.30 leisten wir uns dort ein kalorienreiches Gelage. Zwei grosse Bier, eine Knoblauchsuppe (nur echt mit Spermafäden!), ein Barbados-Steak mit ganz viel Pommes Frites und ein Pfannkuchendessert mit Glace, Ananas und Röbis Ketchup kosten zusammen 200 Kronen, also ungefähr 10 Franken. Also geben wir ordentlich Trinkgeld und nehmen einige Biergläser als Andenken mit.
Für 80 oder 100 Kronen (wir kaufen natürlich für 100 Kronen) gibt es überall in der Stadt rote Zipfelmützen, mit tollen rot-funkelnden Lämpchen. Mit unserem „Big City Light“ passen wir nun bestens ins weihnachtliche Stadtbild, auch wenn wir den grossen Weihnachtsmarkt gar nie finden – ebenso wenig wie Andys grossen Turm. Grundsätzlich besteht unser Nachmittag in Prag bloss aus Biertrinken und Thunlieder singen, letzteres inklusive einem UFFTA unter einem – laut Andy welthistorisch bedeutsamen – alten Turm. Ponyreiten darf Röbi leider nicht, dies dürfen scheinbar nur tschechische Kinder. Wohl deshalb kauft er wie auch ein paar andere Thunfans einen Prag-Pulli auf einem chinesischen Kleidungsstück-Fälscher-Markt. Ob da eine neue Ultra-Bewegung geplant ist?
Dann heissts wieder rein in die U-Bahn bei der Station Florenc, wo auch sinnigerweise l’amore in der Luft liegt. Ich entdecke jedenfalls zwei ganz schöne tschechische Mädels, so dass ich mich natürlich in ihrer Nähe hinsetzen muss. Mit ein paar Brocken Tschechisch und etwa gleich grossen Riccola-Täfeli versuche ich mein Glück, doch die wirklich ganz süsse Braunhaarige schaut mich immer wieder bloss mit einem skeptischen Blick an. „Was söu i no säge?“ rufe ich in etwa meinen Kumpels weiter hinten zu. Da nimmt das Tschechengirl endlich den Kopfhörer aus dem Ohr und fragt lieb und nett: „Seid ihr aus Bayern?“ An der U-Bahn-Endstation trennen sich unsere Wege, um auf dem Strässchen zum Hotel Luna wieder zu kreuzen. Die Mädels sind im gleichen Hotel einquartiert wie ich. Keine Frage, dass ich da bei ihnen bleibe und Röbi meinen Rucksack ins Zimmer raufbringen lasse. Und so habe ich mit Anna (dunkelhaarig, Hannover 96-Fan, auf Klassenfahrt) und Melissa (blond, Handballspielerin, auf Klassenfahrt) noch einen lustigen Nachmittag. So lustig, dass ich mir gegen 18.00 tatsächlich überlege, lieber mit den Mädels ins „Black Theatre“ als mit den Jungs in die „Toyota Arena“ zu gehen. Wie so oft setze ich ganz unsicher auf die sichere Variante und so fahre auch ich ans Fussballspiel…
Ans Fussballspiel wollen wohl auch die Mitarbeiter vom McDonalds, weshalb schon um halb Sieben das halbe Restaurant geschlossen ist – dummerweise jener Teil mit dem WC. So bringt unser Abstecher nicht wirklich viel, der kurze Schwarz mit den Eltern von Äääääääää ääääääää Aegerter ist auch nicht besonders spannend. Also rein ins Stadion, nicht ohne dass ich mir zuvor bei einem Strassenhändler noch einen gefälschten Thun-Prag-Schal zum Preis von 0 Kronen schnappe. Auch in Anbetracht von den drei in Prag eingepackten Biergläsern komme ich zur Erkenntnis, dass im Ausland automatisch ein Diebstahl-Gen aktiviert wird. Jetzt verstehe ich die Ausländer in der Schweiz viel besser.
Im Stadion will ich meine Schweizer Fahne aufhängen, werde aber vom Security eines besseren belehrt. Ich soll meine mitgebrachten Utensilien im oberen der beiden Gästesektoren aufmachen – obwohl ich für jenen Bereich doch gar kein Ticket habe. Aber der Security lotst mich immerhin in den oberen Stock. Dass wenig später die Aebikurvenblockfahne unten an meinem eigentlich ausgesuchten Fahnenplatz aufgehängt wird, ist dann ziemlich lächerlich. Zumal noch lesbar und nicht etwa kopfüber, tsk tsk tsk. Doch da streite ich schon längst mit meinen Sitznachbarn.
Ich sitze natürlich nicht an einem Fussballspiel und schon gar nicht an Champions League-Spielen. Diese Ansicht teile ich auch in Prag wieder mit über 600 Thunfans – nur leider nicht mit der Reisegruppe neben mir. Ausgerechnet in der ersten Reihe positioniert sich jener Alt-Herren-Klub aus dem Seeland und beharrt auf seinem Recht zu sitzen. Und nicht nur das. Als ich beim Einmarsch der Spieler wie jeder normale Fan den Schal in die Höhe halte, werde ich dumm angemacht. „Was söu das eigentlech, nimm das Ding ache!“ Wahrscheinlich sind die Herren neidisch, weil keiner von ihnen einen Schal hat! Der Typ neben mir wird besonders aggressiv, er fordert mich auf die Brille abzunehmen und lechzt nur so richtig nach einer Schlägerei. Ich gehorche natürlich, doch den Schlag wagt er dann irgendwie doch nicht. Irgendwie finden sich die Seeländer dann damit ab, dass neben ihnen die Fly Agaric-Rumschreier stehen, nicht aber ohne immer wieder dumme Bemerkungen zu machen wie „Hie isch ja gar ke Stimmig“ oder „Die Oberländer si scho primitiv.“ Ach ja, nicht unerwähnt bleiben soll natürlich das absolut passende „Hopp Biel.“ In der Pause stehen übrigens die Seeländer, um sich pünktlich zum Wiederanpfiff wieder zu setzen.
Der Rest der doppelten Fankurve macht tolle Stimmung, die auch am Fernsehen sehr gut rüberkommt (für Ultras ist ja nichts wichtiger, oder?). Unten wie oben wird laut gesungen, auch wenn unten das Tempo der Lieder immer etwas quer ist. Nicht alle sind so hervorragende Sänger wie wir Pilze.
Etwas mehr Koordination wünschen wir uns bald auch für die Thuner auf dem Platz. Von einem Mannschaftsgefüge ist nur bedingt zu sprechen. Einen ausgeklügelten Angriff mit einer Ballstafette über mehrere Stationen gibt es während des ganzen Spieles nicht zu sehen und hinten sorgt das eher zufällige Wegschlagen der Bälle auch für keine Ruhe.
Vielleicht hat Käppeli-Tom doch Glück, dass er im fernen Deutschland sitzt und gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern die Premiere-Konferenzschaltung vom heutigen Champions League-Abend sieht. Nur etwa zwei Prager Spielminuten muss er sich ansehen – wobei er dabei sicher so sehr zittert und mitfiebert wie wir im Stadion.
Wäre Sparta ein starker Gegner, Thun hätte wohl keine Chance. Dem ist aber nicht so – und nach einer Rote Karte gegen Petras (Foul an Adriano) in der 78. Minute scheint sogar ein Thunsieg möglich. Doch ausgerechnet die zehn verbliebenen Prager haben nun die beste Torchance des Spieles, zum Glück geht der Ball an die Latte. In der 85. Minute sieht dann mit Goncalves ausgerechnet noch der beste Thuner ebenfalls Rot, weshalb die Schlussminuten zur absoluten Zitterpartie werden. Doch zum Glück gelingt es bis zum Schlusspfiff keiner Mannschaft mehr den Ball im gegnerischen Tor unterzubringen. Das Spiel endet 0-0, womit der FC Thun direkt von der Champions League in den Uefa Cup rüber wechseln kann. Prag ist somit nicht unser letztes Europareisli in dieser Saison – was dieses Reisli aber umso schöner macht.
Nach langem Aussinget (Austrinket ist ja wegem dem Bierverbot im Stadion nicht möglich), verlassen wir schliesslich unter grossem Polizeischutz um 23.00 Uhr das Stadion. Dabei stresst meine Mutter noch die Security, glaubt sie doch ihr Handy im Thunsektor verloren zu haben. Vielleicht ist dies aber auch nur eine Taktik, um auf meinem Handy ein teures Auslandgespräch führen zu können. Kein Wunder, dass die Security das Handy trotz intensiver Suche nicht im Thunsektor aufspüren kann – meine Mutter findet es plötzlich „zufällig“ in ihrer Jacke.
Zurück im Hotel, wird an der Bar gefeiert. Da diese um Mitternacht schliesst, gilt es schnell genügend Bier zu bestellen. Plötzlich stehen alleine vor mir sechs Biere, die ich mir für 35 Kronen das Stück geleistet habe. Lydia dagegen hat lieber Wein. „Wenn ich Weisswein bekomme, tanze ich auf dem Tisch“ meint sie – jedenfalls so lange, bis ihr Wilu eine Flasche Weisswein aus dem Car bringt. Tanzen will sie trotzdem nicht. Stattdessen bringt sie Emotionen in unsere nächtliche Feier, in dem sie Mätthu Mineralwasser über den Kopf schüttet. Das ist „Stimmung!“
„Stimmung!“ schreie ich auch immer wieder, wenn unsere norddeutschen Medizinstudenten vom Black Theatre zurückkommen. Doch ausgerechnet Anna und Melissa scheinen nicht mehr unterwegs zu sein. Witzig wie die Deutschen plötzlich mit den unmöglichsten Fanartikeln aufkreuzen – einem Dynamo-Schal, einem Aachen-Schal und einem Ronaldotrikot vom unbedeutenden Klub Real Madrid. Erst nach zwei Uhr setzen sich dann die ersten Deutschen zu uns. Viele von ihnen sind übrigens Kurden, was unser Deutschlandbild bestätigt. Dass dann übrigens zwei Mädels nicht etwa mich, sondern bloss Schnupf mit aufs Zimmer nehmen wollen, finde ich dann doch eher schlecht. „Schütte uns noch etwas Pulver auf die Zeitung.“ Ich erkläre ihnen aber, dass dies gegen sämtliche Traditionen wäre und so tragen sie den gewünschten Schnupf beide auf ihrer linken Hand zum Zimmer hoch.
Gegen halb Vier wünsche ich mir dann auch Bettruhe. Doch da habe ich meine Rechnung ohne Röbi gemacht. Die Jungs aus der Zimmerkombination A231/A232 haben mich ausgesperrt. Da kann ich noch so laut gegen die Zimmertüre poltern, Röbi schläft seelenruhig in unserem Doppelbett. Schliesslich öffnet sich die Türe des Nebenzimmers. Rüfä kommt raus und bietet mir einen Platz auf dem Sofa ein. Obwohl dort noch Taschen liegen, schlafe ich sofort ein. Wobei, so richtig gemütlich ist die Nacht nicht. Für eine richtige nordische Erholung hätte ich mir definitiv die Zimmernummer von Anna und Melissa merken müssen.
Am nächsten Morgen kann ich dann etwa um 7 Uhr endlich in mein Zimmer. In Rekordtempo ist Ausziehen, Duschen, Rasieren, Anziehen, Packen und Runtergehen angesagt. Als unten im Esssaal bin, bin ich ziemlich muffig und schnauze so ziemlich jeden an. Erst der Kauf einer Flasche Becherovka an der Reception beruhigt mich. Alleine so eine Flasche in der Hand zu halten beruhigt mich. Um gut gelaunt zu werden, muss man die Becherovka-Flaschen ja nicht gleich in einem höllischen Tempo austrinken, nicht wahr Michu?
Um 7.40 starten wir dann unsere Reise zurück in die Schweiz. Schlafen darf ich jetzt aber nicht, als weitere Folge des Ausgesperrt-Seins muss ich bis zur nächsten Raststätte noch alle meine zehn Postkarten schreiben. Ob meine zehn Kolleginnen – wie immer werden keine Jungs angeschrieben – aber die Karten jemals erhalten werden, ist nicht sicher. Mangels Briefkasten unterwegs, muss ich die Karten der Verkäuferin beim Tankstellenshop kurz vor der Grenze anvertrauen. Ob 20 Kronen für sie genügend Motivation sind, die Karten der Post zu übergeben? Ich weiss nicht recht.
Ich kaufe überlegt sein. So eine schöne Kartonschachtel mit vier Flaschen tschechischem Bier Marke Krusovice. Und zum sensationellen Preis von 5 Kronen kaufe ich die CD „Czechoslowak Beats“, die einem Heft beiliegt. Bei den Beats handelt es sich um Hip Hop-Sound, was weder Wilu noch die Carpassagiere so richtig überzeugt und wir uns deshalb nur die ersten Hälfte der CD anhören. Die zweite Halbzeit wäre bestimmt viel besser gewesen.
Der Grenzübertritt erfolgt problemlos, in der deutschen Provinz laden wir die Familie Käppeli wieder auf. Und nun schauen wir uns den zweiten Film der Reise an – einen Bondstreifen von 1973. Und was sagt uns das Filmlexikon zu „Leben und sterben lassen“: „Die Geschichte selbst dreht sich um Bond (Roger Moore), der sich mit einem internationalen Rauschgifthändler (Yaphet Kotto) herumschlägt.“ Der Film ist viel zu lang und die Frauen irgendwie gar nicht überschön – an Michèle reicht keine auch nur ansatzweise heran.
Kurz vor drei Uhr gibt es einen längeren Halt an einer Raststätte. Für mich die Gelegenheit, wieder einmal eine Currywurst zu essen. Wäre ich während der 20-minütigen Wartezeit annähernd so freundlich wie Gölä, würde mir die Bedienung bestimmt nicht nur die halbe Menge Pommes Frites ins Teller geben. Tom dagegen gönnt sich immer noch keine deutsche Mahlzeit und isst weiter Schweinswürstli.
Am Kiosk kaufen wir die Bild Zeitung, den Kicker (ich) oder das Bravo Girl (Mätthu). Das interessanteste am Kicker ist die Umschlagseite, ein nettes Samichlousmädchen, das uns leichtbekleidet viel Arsch zeigt und irgendwie auch einen Laptop.
„Lieber, guter Weihnachtsmann,
schliess mich schnell bei congster an.
Packe mir nen Router ein,
ich will auch immer online sein.“
Dieser Spruch mit lauter sexuellen Anspielungen (so jedenfalls unsere Textinterpretation) fällt uns Fly Agarics aber erst auf, nachdem wir die Anzeige eine halbe Stunde lang genau analysiert haben. Wieder einmal ein ganz unerklärliches Phänomen.
Schliesslich nähern wir uns der Schweiz, weshalb uns Wilu noch mit einem dritten Film plagen will. Der Film heisst "Cowboy mit 300 PS" und scheint trotz einer Laufzeit von 86 Minuten eine Ewigkeit zu dauern. Und was verrät uns das Filmlexikon zu dieser filmischen Qual von 1978? „Brummipilot James Brolin rächt sich an den Auftraggebern, die ihn auf kriminelle Abwege gebracht haben.“ Da wird viel geweint, viel geprügelt und noch bevor sich eine der x-Trucker-Freundinnen (konnte die irgendwer unterscheiden, ich nicht!) den Tränenblick verschwinden lässt und sich in eine Michèle verwandelt, endet der Film so ganz ohne Ende.
Immerhin gelangen wir während dem Film in die Schweiz – nach zweimal Basel kann ich dieses Mal den „Ja, Sanel, jetzt bist du leider wieder der einzige Ausländer“-Spruch in Au, Kanton St.Gallen anbringen. Und tatsächlich ist jetzt wieder er voll der Ausländer, halte ich mich doch jetzt wieder an die Gesetze, während er im Tankstellenrestaurant einen Blick mitlaufen lässt. Aber man muss ja nicht an der Tankstelle das Blick-Plakat „Thunglaublich! Helden sind weiter“ aufhängen und dann behaupten, der Blick sei ausverkauft. Ein dummer Versuch, Reisenden die Wiler Zeitung aufzuschwatzen. Und tatsächlich kauft Jacqueline die Wiler Zeitung.
Nach dem neuen Oschtblockreise-Minusrekord von 13 Stunden 20 Minuten erreichen wir um 20 Uhr Thun. Doch damit ist unsere Reise noch nicht vorbei, Wilu hat ganz spontan die geniale Idee, mit dem Car noch ein wenig in der Innenstadt herumzukurven – trotz Abendverkauf ist dabei auch das Bälliz bei der etwas speziellen Reiseroute inbegriffen. Riskieren wird keine Busse? Sicher nicht, denn bei einer allfälligen Polizeikontrolle könnte Wilu ja darauf hinweisen, dass er sich auch schon in Prag und Amsterdam verfahren hat.
Schliesslich heisst es beim Bahnhof Abschiednehmen – wobei ein paar von uns nochmals zu Fuss Richtung Innenstadt gehe. Leider schmeisse ich dabei auf dem Manor-WC meinen Rucksack so übermotiviert auf den Boden, dass ein Bierglas und vor allem zwei tschechische Biere kaputt geben. Seitdem stinkt das Buch, das ich lese, unangenehm nach Bier – und noch fehlen mir 200 Seiten.
In der Walliser Kanne essen wir dann als Höhepunkt ein Moitié-Moitié-Fondue. Und hierbei entdecke ich nun nach 48 Stunden gemeinsamen Unterwegssein Michèle. Kein Wunder, dass ich um 23.13 erst einen der beiden letzten Züge nehmen werde – was ich am Abend darauf übrigens nicht schaffe…

Matthias Engel