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Thun - Sparta Prag 1-0
27.09.2005Champions League 2005/2006


Gonçalves links aussen an der Strafraumgrenze, er flankt in die Mitte. Gelson kommt knapp an den Ball, fälscht ihn leicht nach rechts ab. Dort vor dem rechten Torpfosten ruscht Hodzic in den Ball und schiesst ihn ins Tor. 1-0 für Thun - und das in der 89. Minute des Champions League-Spieles FC Thun-Sparta Prag. Himmlisch. Innert Sekunden liege ich unter jubelnden Kollegen. Als ich wieder hoch komme, reisse ich mir das Trikot vom Leib und schreie im Freudentaummel. 31'340 weiteren Zuschauern im Stade de Suisse geht es ähnlich wie mir. Nach flauen 88 Spielminuten, die mehr mit YB-Aarau als sagen wir mal mit Ajax-Arsenal gemeinsam hatten, ist das Glück perfekt. Thun siegt erstmals in den Champions League. Fast übrigens noch mit 2-0, wenn denn Ferreira in der 93. Minute bissiger beim Abschluss wäre.

Wie viele Thunfans rechnen wohl mit einem solch perfekten Spielende, als sie Stunden vorher bernwärts fahren. Im 18.13-Zug ab Thun herrscht zwar spätestens beim Zwischenstopp in Münsingen übelste Platznot, doch ausser Tom, Kevin, Marco und mir will so gar kein Rot-Weisser Schlachtgesänge anstimmen. Laut ist es trotzdem - noch lauter wird es bei der Ankunft in Bern Wankdorf. Ganze Strassenzüge sind in Thuner Hand.
Alle freuen sich auf schöne Champions League-Stunden. Doch ein Fan freut sich zu früh, verliert er doch gleich unter der Treppe sein Ticket. Beim BLS-Stand wird es abgegeben. Die Chance für Fan-Forum-Jan, der sogleich seinem Berner Kumpel anruft. "Hey, komm schnell ins Wankdorf, es hat ein Ticket, das keinem gehört." Ein ganz schön fieses Telefon. Dumm nur, dass Jan Minuten später plötzlich sein Ticket nicht mehr findet. Da merkt er erst, dass ihm bei der Treppe sein eigenes Ticket aus dem Rucksack gefallen sein muss. Dumm gelaufen.
Nach ganz viel Bier - die alkfreie Stadionatmosphäre hat viele Fans zum Gaschongmitnehmen veranlasst; Gaschongs, die es nun zu leeren gilt - gehts hinein ins Stadion. Nach den zwei Qualispielen sind die Spielregeln nun bekannt, im Fanblock (neu im D statt B) wird die ganze Zeit gestanden und kräftig mitgemacht. Und wer die Gesänge noch nicht kennt, kann sich auf einem Lieder-Spickzettel schlau machen. Die Texte von 12 Songs von "Mir si vo Thun, das liegt ar Aare" bis "u i ha heimweh nach de Bärge" können hier abgelesen werden, gesungen wird dann aber das ganze Repertoire. Die Stimmung ist gut - auch dank der genialen Choreo beim Einmarsch der Spieler und der Welle, die einmal pro Halbzeit durch das Stadion weht. Genial. Und all das trotz 88 flauen Spielminuten.

Die Stimmung ist natürlich genial nach dem Match. Da ist es noch so egal, dass ich mich zum zweiten Mal zu einem Stade TV-Auftritt habe überreden lassen, der auch heute nicht über die Grossleinwand flimmert. Statt als die härzigen Kinder würde man gescheiter noch einmal das Tor in Wiederholung bringen - am liebsten 1898 mal in Serie.
Einmal heisst es aber Abschied nehmen vom thunglaublichen Wankdorfrasen und wir müssen raus aus meinem Lieblingsstadion. Auf dem Weg zum Bahnhof treffen wir noch schlecht gelaunte Prager und fröhliche Fribourger. Dank einer cleveren Abkürzung stehen wir trotz Warteschlange kaum an und sitzen keine fünf Minuten nach Ankunft bei der Treppe im Zug. Wir fahren natürlich Erste Klasse - der Kondukteur gönnt uns dieses besondere Fahrvergnügen. Wir Thunfans haben es uns wohl verdient.
Für einmal feiere ich mit Kevin und Marco nicht in Thun, sondern gemütlich im Klösterli Pub in Münsingen. Bier hat es auch hier - und erstaunlich viele Pubbesucher, die auch am Match waren. So macht die Wiederholung des Tores auf dem Fernsehschirm natürlich Spass. Marco und ich bestellen noch zwei Sandwichs kurz vor halb 1. "Die sind aber günstig", meint Marco und zerbeisst sich an seinem harten Brötchen gleich einen Zahn. Bevor er die Situation überhaupt begreift, schluckt er den Zahn herunter - dies notabene wenige Stunden nach seinem Zahnarztbesuch. Es wird nicht sein letzter in diesem Jahr gewesen sein. Doch was will man sich an einem Abend wie diesem schon gross ärgern - jene Spielszene in der 89. Minute überstrahlt alles.

Und wieder steht Gonçalves links aussen an der Strafraumgrenze, er flankt in die Mitte. Gelson kommt knapp an den Ball, fälscht ihn leicht nach rechts ab. Dort vor dem rechten Torpfosten ruscht Hodzic in den Ball und schiesst ihn ins Tor...

Matthias Engel