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Thun - Malmö 3-0
23.08.2005Champions League 2005/2006


Es hätte der schönste Tag im Leben aller Thunfans werden sollen. Und klar, der 23. August 2005 bleibt für immer in Erinnerung. Doch die Freude ist halt doch nicht 100-prozentig, zu betroffen macht die Hochwasserkatastrophe im ganzen Berner Oberland.
Nehmen wir alleine unseren Fanclub: Ein Mitglied muss seit Montag auswärts übernachten, da das Heimatdorf im Oberland von der Aussenwelt abgeschnitten ist. Ein anderes Mitglied kämpft im Gwatt gegen das Wasser. Und wie ein Dritter die Katastophe in Oey erlebt hat, lässt sich gar nicht nachvollziehen. Einfach traurig. Schliesslich sind auch alle unsere Fansachen - Fahnen, Doppelhalter, Pauke, Megaphon - durch einen reissenden Bergbach zerstört worden. Als wäre das überflutete Lachenstadion nicht schon ein genug grosser Schicksalsschlag für alle Thunfans. In den nächsten Wochen kann man hier sicher nicht mehr spielen.
Hunderte Fans verpassen das ursprünglich ausverkaufte Spiel im Stade de Suisse, weil sie entweder ihr verschüttetes Tal nicht mehr verlassen können oder weil sie als Feuerwehrleute und sonstige Helfer pausenlos im Einsatz stehen. Trotzdem sind 31'241 Zuschauer im Stadion. Hut ab für so viel Fussballbegeisterung in einer so schweren Zeit.
Vor dem Stadion ist viel los. Souvenirs sind begehrt, Tickets auch. Allerdings ist der «Suche Tickets»-Junge weniger erfolgreich als jeweils auf dem Gurten, er hat etwa so viel Kunden wie der Surprise-Verkäufer. Ein Kollege von Rüpel-Alain versucht bei einem Ticketdealer sein Glück. Doch der will 55 Franken für ein weitaus billigeres Ticket. Schliesslich hilft ein Oberländer, dessen Kollege im Unwettereinsatz ist. Ein Ticket für 35 Franken - der Originalpreis. So muss es doch sein.
Das Anstehen vor dem Stadion ist einigermassen erträglich, jedenfalls wenn man noch die letzten Bierdosen für ein paar Stunden auszutrinken hat. Dumm einfach, wenn man in der Schlange wie ich noch ein weiteres Bier erhält. Da muss man halt beim Haupttor einen Sonderstopp einlegen. Gelegenheit mit vorbeigehenden Frauen philosophische Diskussionen darüber zu starten, weshalb man als Oberländerin ein Himmelbla-farbenes Shirt anzieht. Dies nervt nicht die Frauen, wohl aber den Bronco bei der Eingangskontrolle, der uns endlich im Stadion haben will.
Im Stadion herrscht gespannte Atmosphäre, man ist kribbelig auf das Jahrhundertspiel. Muss man heute Spassfussball oder eine Abwehrschlacht erwarten? Beim Einlauf der Mannschaften gibt es eine improvisierte Choreo - die ursprüngliche Choreo fiel auch dem Hochwasser zum Opfer. Eine Trauerminute gibt es zu meiner Verwunderung nicht, wäre wirklich ein wichtiges Zeichen gewesen.
Aber zumindest für die kommenden zwei Stunden ist alles Schicksal ausserhalb des Stadions vergessen, nun zählt einzig der Fussball. Die Stimmung ist, die Fans schreien ihre positiven und negativen Emotionen aus sich heraus. Thun spielt gut, lässt keine Malmö-Torchancen zu. In der 26. Minute wird ein erstes Mal ein "Steht auf, wenn ihr Thuner seid" angestimmt. Im ganzen Stadion machen die Fans mit, eine tolle Atmosphäre. Genau da kommt der Ball von Goncalves auf Bernardi. "Jetzt ein Tor..." beginne ich und beende meinen Satz mit einem grossen Jubelschrei. Denn Bernardi trifft wirklich, Thun führt 1-0. Die Champions League-Gruppenspiele sind nun ganz nah.
Die Stimmung ist nun fantastisch. Es ist ein wahrer Freudentränen-Moment. Traumhaft, nicht zu beschreiben. Als dann Lustrinelli in der 40. Minuten um den Ball fightet, diesen auch kriegt und das 2-0 erzielen kann, ist das Glück dann schier perfekt. Ich verstehe nicht mehr, was da heute Abend eigentlich genau passiert. Aber es ist einfach wunderschön. Ich reisse mir das Trikot vom Körper und verfolge den Rest des Matches oben-ohne. Viel zu heiss ist mir. "Achselschweiss, Achselschweiss!" stimmen Röbi und Jan an. Vielleicht ist es aber nur der Duft absoluter Freude.
Die zweite Halbzeit ist kein Zittern. Wir starren nicht pausenlos auf die Uhr wie noch beim RĂĽckspiel gegen Kiew. Thun ist ja heute klar ĂĽberlegen, fast immer im Ballbesitz. Es ist wirklich ein Spassfussballabend. So kann jeder Moment dieses traumhaften Abends voll genossen werden. In Stunden wie diesen ist das Traumtor von Lustrinelli zum 3-0 in der 66. Minute keine grosse Besonderheit mehr. Ein Weitschuss aus 30 Meter landet da einfach im Tor.
Die Atmosphäre im Stadion ist einfach genial. Die Welle geht mehrmals ringsum - einzig die Malmöfans machen aus Frust nicht mit - und das Publikum steht immer wieder auf. Besonders bei der Auswechslung von Lustrinelli in der 85. Minute und dann natürlich in den Schlussminuten.
3-0 endet das Spiel. THUN IST DAMIT IN DER CHAMPIONS LEAGUE!
Nach dem Spiel - lange nach dem Schlusspfiff - geht mit SonderzĂĽgen zurĂĽck nach Thun. Fantastische Szenen dort auf dem Muulbeerikreisel. Hupfende Autos, auf denen teilweise bis zu 20 Fans herumspringen. Wehende Fahnen, singende und wiiihuuuuende Fans. Immer wieder Rauch - sei es Pyrofeuer oder ein Motorradfahrer, der seine Maschine wirklich absolut im Griff hat.
Dann geht's weiter auf den Rathausplatz, wo die Spieler trotz abgesagter Feier kurz empfangen werden. Auch hier Pyro (sogar von einem gewissen E.J.) und gemeinsame Gesänge. Anschliessend verteilen sich die Fans auf die einzelnen Beizen. Gross ist die Party im Orvis, wo auch die Spieler sind. Doch auch im Rattäloch ist der Spass gross. Wie schon nach dem Kiewmatch fahre ich mit dem ersten Schnellzug um 5.31 heimwärts. Wie schon nach dem Kiewmatch kaufe ich um Viertel vor Sechs am Kiosk in Münsingen einen Blick mit traumhaften FC Thun-Schlagzeilen. Doch eben... im Blick hat es auch 19 Seiten über die Hochwasserkatastrophe, auch mit vielen schrecklichen Bildern aus dem Oberland. Der Alltag im Oberland ist derzeit schön und schrecklich zugleich.

Matthias Engel