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St. Gallen - Thun 1-2
04.05.2005SuperLeague 2004/2005


Erstmals seit der Saison 2002/2003 mache ich heute wieder die Hin- und Rückfahrt nach St. Gallen im Zug, denn bei den letzten drei St.Gallen-Fahrten handelte es sich um einen Wodkarausch in Zug, Car und Taxi, eine Auto-Irrfahrt zusammen mit Küsu und einer munteren Carreise. Doch heute sind Mätthu und ich auf der ganz originellen Reiseroute Münsingen-Thun-Interlaken Ost-Luzern-Rapperswil-Herisau-St.Gallen unterwegs. Thun passieren wir dabei um 12.27 – wie wir später erfahren zwei Stunden nach den Romanshorn-Reisenden von der Aebikurve, denen fünfeinhalb Stunden Zugfahrt viel zu wenig sind. Allerdings trinken die zur Entspannung auch 12prozentiges Bier, während wir uns mit 4,8 %-Bier, Pecca Fritz und einem YB-Energy Drink begnügen. Doch weil auf der gelben Dose „Nicht mit Alkohol mischen“ steht, landet die Büchse Stunden später in einem St. Galler-Gebüsch.
Die Fahrt an dutzenden Bahnhöfen dabei ist überaus gemütlich, bei sonnige Frühlingswetter lässt sich durchs Zugfenster manche Sehenswürdigkeit entdecken: Der „ist er hier schon fertig?“-See (Zitat Mätthu) in Brienz, das Hotel Bahnhöfli im bescheidenen Lungern (in welchem Kanton zur Hölle ist das?) oder die Jura- und Thurgau-Fahne in Sarnen (was die Kantonfrage auch nicht beantwortet.) Einen längeren Zwischenhalt machen wir nur in Luzern, wo einige besonders clevere Jungs immer wiederholen: „Hoffentlich gewinnt YB!“ und auch den tollen BSC-Song mehrmals anstimmen.
Nach BLS-, SBB- und Zentralbahnwagons dürfen wir ab Luzern auch noch die Sitzqualität des Voralpenexpress austesten – fast zweieinhalb Stunden lang. Immerhin sind die Vorhänge ganz edel und dass man auf dem WC für das Spülen auf einen Grün-leuchtenden Knopf drücken muss, ist beste Einstimmung auf den Fussballmatch. Zwei Stationen vor Herisau steigen dann bereits die ersten Güllen-Fans ein.
Ein Fan bleibt dagegen wieder einmal verschollen: Der liebe Jan. Schon ab Thun (zur Erinnerung: Abfahrt um 12.27) ruft er uns zwar immer wieder ein und erzählt, dass er uns noch unbedingt einholen möchte. Doch nicht einmal im St. Gallen Hauptbahnhof sichten wir ihn. Im Stadion wartet er schliesslich auf uns.
Hier läuft schon das muntere Einschiessen der Thunspieler – und wie? Plötzlich fliegt ein Ball voll auf Küsu zu und trifft ihn voll am Kopf. Die Brille fliegt weg, er geht benommen zu Boden. Mit einer Schramme an der Stirn rappelt er sich bald wieder auf. Und wichtig: Er setzt sich auch die ganz gebliebene Brille wieder auf. Dieses Detail ist wichtig, denn am nächsten Morgen wird Küsu mit brummendem Schädel vergeblich seine Brille suchen, was aber viel mehr mit vielen Bieren als mit hohen Bällen zu tun hat.
Schliesslich beginnt das Spiel – für das richtige Ostschweizfeeling sorgt der Regen. An Spassfussball ist heute nicht zu denken, was aber nicht nur am Wetter liegt. Mehrere Stammspieler fehlen und als nach 10 Minuten auch noch der frischgebackene Papi Deumi wegen Schmerzen im Bein ausgewechselt werden muss, ahnen wir Böses. Und es passiert Böses: In der 13. Minute erzielt Calla das 1-0 für Sink Gallen.
Zu diesem Zeitpunkt wird uns aus Chaux-de-Fonds schon das 2-0 der Basler gemeldet. Ein dummer Moment im Meisterschaftskampf. Doch ein echter Fan glaubt immer an seine Mannschaft. Immer. Oder? Als das 3-0 für Basel gemeldet wird, fängt Mr. Schneewittchen laut zu singen an: „Basel ist bald Meister…“
Thun kommt erst in der 24. Minute zur ersten Torchance. Ein Ball von der Seite in die Mitte zu Lustrinelli, dieser fliegt förmlich auf ihn zu und köpfelt das runde Ding ins Netz. Der Ausgleich.
Und in der 32. Minute ist Thun schon wieder in der Gästeplatzhälfte in Ballbesitz. Gerber ist noch weit vom Tor entfernt, als er zum Schuss ansetzt – und mit einem wunderschönen Weitschusstor das 2-1 erzielt.
Thun liegt also in Führung und Mr. Schneewittchen singt die Meistertitelsongs auch wieder in der Thuner Version. Doch ein Abend mit Spassfussball ist es deswegen noch lange nicht, ist doch St. Gallen deutlich überlegen. Dies sicher auch ein bisschen wegen der tatkräftigen Unterstützung von Schiedsrichter Busacca. Ein gehässiges Spiel ist es zwar nicht. Aber wenn er auf dem nassen Rasen Ballwegnahmversuche der Thuner durchwegs als Fouls und manchmal gar als gelbwürdig beurteilt, ähnliche Aktionen der St. Galler aber kaum pfeift und ihnen gar nie eine Karte zeigt, werden zumindest wir Fans hässig. Immer wieder schreie ich „Psycho-Schiri!“ in die Richtung des Gelben Herrn. Für einmal bin ich lauter und wütender als René.
Schliesslich ist zum Glück Pause und immer noch 2-1. In Chaux-de-Fonds ist da schon 4-0 für Basel, wie mir Sabööö schreibt. Ihr Hinweis auf eine mögliche Xamax-Aufholjagd ist leider nichts anderes als Galgenhumor.
In der zweiten Halbzeit nimmt die Stärke des Regens ebenso ab wie die Stärke der St. Galler Angriffe. Zwar sind sie optisch weiter klar überlegen, doch die Thuner kämpfen hinten stark. Auch der uns leider bald verlassende Cerrone zeigt grossen Kampfgeist. Und Ferreira macht zwar immer wieder beängstigende Fehler. Aber das ist auch kein Wunder, wenn er sich stets vorbildlich auf den Ball stürzt.
Da Lustrinelli leider eine tolle Konterchance nicht nutzt, muss bis zur letzten Minute um den Sieg gezittert werden. Die Erinnerung an manche gegentorreiche Schlussviertelstunde gegen St. Gallen kommt auf. Doch fĂĽr einmal glĂĽckt den Thunern das Verteidigen des Vorsprungs, nach 90 Minuten plus Nachspielzeit liegen wir uns in den Armen. Der allererste Sieg gegen St. Gallen ist Tatsache!
Jubel mit den Spielern, eine Welle mit Deumi und auch eine Welle mit Longo, das Thuner GlĂĽck ist perfekt.
Und doch fasse ich wenige Minuten später den Entschluss, dass dies meine letzte Zugfahrt nach St. Gallen gewesen sein wird. Denn vor dem Stadion steh ich plötzlich alleine, meine Zugskollegen sind ohne mich zum Bahnhof gestresst. „Wir haben gedacht, du bist weiter vorne unterwegs!“ erklärt mir Mätthu per Handy später. „Wir hatten Polizeischutz, du weisst doch auch, wie es in St. Gallen so läuft.“ Na ja, ich laufe jedenfalls alleine an den Bahnhof. Probleme habe ich keine, ausser das ich mich wundere, warum unter anderem auch ein St.Gallen-Trikotträger mit Thunschal an mir vorbeiläuft. Fandiebstahl oder Fanfreundschaft?
Wir sind schliesslich 7 Thunfans, die einzeln oder zu zweit am Fiden-Bahnhöfli stranden (das Verabschieden der Carkollegen oder das Abhängen der Fahnen war unser „Pech“) und schliesslich um 21.36 auch noch unsere Heimreise antreten. Langsamer als wir sind nur noch die Spieler… fast jedenfalls. Um 1.00 überholt mich dann in Thun nämlich noch der Mannschaftsbus, als ich heimwärts radle. Es ist die Mannschaft, die (man höre und staune!) Platz 2 nun definitiv auf sicher hat.

Matthias Engel