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Lugano - Thun 0-3
15.01.2005Testspiele 2000 bis 2023


Samstagmorgen um 8.00 Uhr. Münsingen steckt voll im Nebel. Da ist für mich schnell klar: Ich will heute die Sonne sehen, ich will heute ins Tessin. Okay, ganz so spontan ist dieser Entschluss nicht, spielt doch der FC Thun heute ein Testspiel gegen den AC Lugano in Tenero. Da nimmt man doch noch so gerne viereinhalb Stunden Reiseweg auf sich - pro Richtung versteht sich. Zumal ich nicht bis ins Tessin auf den Sonnenschein warten muss, schon zwischen Langnau und Schüpfheim ist der Himmel strahlend blau. Doch als die Stimme von Radio Pilatus auf meinem Handyradio über Nebel klagt, weiss ich schon, wie die nächsten Stunden der Reise aussehen werden: Nebel, Nebel, überall. Aber was solls, in Loosern treffe ich auf weitere Thunfans, gemeinsam geht die Fanfahrt spassig weiter Richtung Bellinzona, wo wir auf die S2 (!?) umsteigen müssen. Selbstverständlich scheint hier im Tessin die Sonne, zumindest wettermässig hat sich die Fanfahrt also sicher gelohnt.
Ein paar Stationen später sind wir in Tenero, dessen Sehenswürdigkeiten neben einem Coop Bau + Hobby vor allem der Denner bei der Bahnstation ist. "Ist doch klar, dass es in Dennero so einen Laden gibt", bemerkt Beni.
Wir verpflegen uns aber doch lieber in der Kaffeestube des Trainingszentrum, wo auf einem Bildschirm die Lauberhornabfahrt übertragen wird. So erleben wir die Entscheidung oder besser gesagt das Schweizer Debakel unerwartet mit. Als aber Bruno Kernen geschlagen im Ziel, trotteln urplötzlich sieben Thunfans Richtung Fussballrasen davon, nur ich sehe mir noch kurz weiter an, welcher Österreicher denn jetzt gewinnt.
Aber Fussball ist natürlich wichtiger, schliesslich ist es das erste Spiel unter dem neuen (Erfolgs-) Trainer. Zu unserer Überraschung begrüsst Longo jeden von uns per Handschlag und nimmt sich Zeit für einen kurzen Schwatz. "Seid ihr im Tessin in den Ferien oder seit ihr für das Spiel hier her gekommen?" fragt er uns etwas ungläubig. Er klärt uns über die drei uns unbekannten Gesichter auf: Nebst dem brasilianischen Testspieler Rafael dürfen auch die beiden Junioren Stoller und Lüthi mitmachen.
Um 14.00 beginnt das Spiel - auf äusserst schwierigem Terrain. Der Platz ist zwar im Gegensatz zum "Zuschauerrasen" schneefrei, aber gefroren. "Der Platz ist hart wie eine Strasse", wird Eastender später bei einem Spielfeldtest urteilen. Doch die misslichen Platzverhältnisse haben zum Glück keine Einwirkung auf den Spielfluss, Thun und Lugano zeigen beide ein gutes Spiel. Bei Lugano, der trotz altbekanntem Outfit neu ja AC statt FC heisst, fallen besonders Esposito und Eastender Hassspieler Rota auf. Und die uns namentlich nicht bekannte Nummer 25, die regelmässig nach Zweikämpfen aufschreit und sich auch gerne am Böden wälzt.
Bei den Thunern sticht in der 1. Halbzeit besonders Milicevic ins Auge. Zurück in Team, will er gleich Verantwortung übernehmen und gibt zeitweise seinem Teamkameraden noch lautere Anweisungen als Coltorti. Gesundes Selbstvertrauen oder Überheblichkeit eines lange Verschollenen?
Vorne wird Raffael kaum angespielt. Lustrinelli zeigt sich ab und zu in guter Position. Und das Tor, das schiesst natürlich Gerber. In der 34. Minute führt Thun 1-0.
Nach der Pause kommt Portmann für Coltorti ins Spiel, es ist eine von zahlreichen Auswechslungen. Auch er hält seinen Kasten rein, auch wenn er zweimal arg bedrängt wird. Doch mehr als ein kläglicher Fehlschuss aus kurzer Distanz und ein Lattenknaller bringt Lugano gegen ihn nicht zustande, wie auch das Reporterteam des Corriere di Ticino feststellen muss.
Bei den Thunern zeigt Ojong, dass er noch nicht ganz der Alte ist. Das Tempo seiner Sprints ist überaus bescheiden, in der heutigen Form ist er keine Teamstütze. Die Tore schiessen vielmehr ein zweites Mal Gerber in der 55. Minute und dann in der 85. Minute zu unserer grossen Freude Rafael. Dieser zeigt ganz allgemein in der zweiten Halbzeit eine bessere Leistung, er hat viele Qualitäten, die wir beispielsweise bei Israel immer vermisst haben. Toll spielt aber auch Stoller, der ein Versprechen für die Zukunft zu sein scheint.
Schlussendlich gewinnt Thun nach einer durchwegs guten Leistung vor rund 150 Zuschauern mit 3-0, worauf wir wieder zurück in den Nebel reisen. Die Rückfahrt verläuft recht ereignislos, spätestens im Cisalpino würden wir wohl alle einnicken, wenn das Abteil nicht tiefgekühlt statt geheizt wäre. So schlafen wir halt nicht, sondern testen unzählige Sandwiches und Fahrpläne. Beim zweiten Test merken wird, dass der Thuner Städtefahrplan nicht gerade durchdacht ist, da keine einzige Tessiner Ortschaft vermerkt ist, dafür aber so häufig angefahrene Destinationen wie Meiringen und Zweisimmen. Aber dank SMS-Fahrplänen finden wir doch noch den schnellstmöglichen Heimweg. Nach 90 Minuten Fussball und 9 Stunden Zugfahrt bin ich so um 20.30 Uhr zurück in Münsingen.

Matthias Engel