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Thun - Servette 1-0
03.11.2002NLA Qualifikation 2002/2003


Hochmut kommt vor dem Fall. Nachdem wir am Samstag abend von der YB-Niederlage erfahren, ist fĂĽr uns Thun-Fans klar, was wir am Sonntag erreichen wollen: Mit einem Sieg wieder die Nummer 1 im Kanton und die Nummer 3 der Schweiz werden. FĂĽrchten tun wir uns da eigentlich nur vor dem Regen.
Doch selbst der stellt sich so kurz vor dem Spiel Thun nicht mehr entgegen, windig ist es, kalt, aber doch trocken. Rama-Wetter?
Auf jeden Fall das rechte Wetter, die Souvenirsammlung zu vergrössern.
Am Souvenirstand fällt mein Blick sofort auf einen der legendären, legal eigentlich gar nicht mehr erhältlichen roten Thun-Schals aus Wolle. Mit ein paar netten Worten übernehme ich ihn sogleich als Käufer. Nur... den Match werde ich ohnehin ihn verlassen.
Im Stadion drin zeigt sich wieder einmal, wer die wahren Stars der Fussballspiele sind: die Fans. Jedenfalls werden wir minutenlang durch einen hartnäckigen Tele Bärn-Reporter belagert, der bei ganz cleveren Interviews der Frage nachzugehen versucht, weshalb man eigentlich Thun-Fan ist. Röbi gibt die rechte Antwort: Weils in Thun einfach noch geiler ist als in Basel.
Kaum gesagt, kommt stürmisches Wetter auf. Zu der Kälte stösst jetzt der Regen, doch so unangenehm wie in Luzern sind die Bedingungen dann noch nicht ganz.
Gross ist da jedenfalls der Jubel, als Goldkehlchen Francine Jordi im roten, von allen Spielern unterschriebenen Dress den Anstoss ausfĂĽhrt. Bringt sie den Thunern GlĂĽck?
Das Spiel beginnt träge, Thun ist weniger offensiv als gewohnt. Noch bevor die erste Torchance zu verzeichnen ist, wirft Mitzu (tatsächlich wieder mal an einem Thun-Match!) eine interessante Frage in die Runde: "Welches Spiel ist beim Totomat die Nummer 6?" Viele vermuten Wil-St. Gallen, ich dagegen behaupte, dass der doch erst um 16.15 Uhr beginnt. Etwa ein Schreibfehler?
Servette ist auf dem Rasen leicht mehr im Ballbesitz. Doch die Abschlüsse der Genfer sind äusserst harmlos. Kobel kommt nicht in Gefahr.
Und plötzlich: "Da steht schon 3-1!" Langsam wir mir klar, das Wil tatsächlich schon gegen St. Gallen spielt - und urplötzlich klar in Führung liegt. Was ist denn da im Bergholz bloss los?
Frauen stehen nicht auf Mäntel aus Pelz, sondern auf Schals aus Wolle. Zu einem kleinen Teil jedenfalls. Jeanette auf alle Fälle. Nicht zum ersten Mal scheint neben ein paar Hopp Thun-Rufen ihre Hauptmotivation beim Stadionbesuch das Bekommen eines solchen der Haut wohltuenden Schals zu sein. Dieses Mal bin ich das Zielrohr ihrer Worte: "Du hast doch gleich drei Schals um? Darf ich denn einen aus Wolle ausleihen?" Na ja, wie schnell lässt man sich doch erweichen. Ich überreiche ihr den Schal und schon ist sie verschwunden. Eine Verbrecherin? Nein, nein, Minuten voller Panik später kehrt sie an meine Seite zurück.
Da steht es in Thun immer noch 0-0, in Wil dagegen 5-3. Kann denn eine solche Torflut überhaupt noch Spass machen? Wir geniessen im Lachen jedenfalls jede einzelne der seltenen Thunchancen und sind zur Pause doch froh, gekommen zu sein. "Also ich wäre auch besser ins Bergholz, dann hätte ich jetzt neun Tore gesehen!" meint da dazu Sascha.
In der Pause sorgt Francine wieder für einen Lichtblick, in dem sie minutenlang über Gott und die Schlagerwelt berichtet. Wir hören das leider nicht so recht, da die Speakeranlage mal wieder recht blasse Töne von sich gibt. Dafür sehen wir die Schlagerprinzessin zumindest beim Olympiator - was mich als "Einigermassen-Fast-Francine-CDs-Erdulder" recht freut, den kleinen Lukas jedoch regelrecht ekelt: "Die hat ja so viel Schminke im Gesicht!"
Und dann ertönt ihr französisches Lied über Lautsprecher (ja, das hören wir jetzt wieder), jedoch nur etwa das halbe Stück. Hm, was will Speaker Bercher uns damit wohl mitteilen.
Halbzeit Zwei bringt Schwung ins Stadion. Die Thuner legen nun ihre anfängliche Zurückhaltung ab und geben nun Gas. Das 1-0 wird nun offensiv offenherzig gesucht. Dabei ist immer wieder Rama der rechte Mann, am rechten Ort. Doch mal scheitert er an der Fahne des Linienrichters, mal am Fusse oder Kampfgeist eines Verteidigers oder ab und zu gar an einem eigenen Verstolperer. Die Thuner drücken nun also vehement, doch die Torausbeute ist mässiger als gewohnt. Selbst als Rama zu einem überaus genialen Sololauf ansetzt, bleibt die finale Krönung aus. Haben sich etwa an diesem Tag die Fussballgötter gegen Thun verschworen? Ein Sieg wäre doch wirklich verdient, Servette ist auch an diesem Auswärtsspiel wieder eine Beleidigung für alle Fussballfans. Besonders dieser "schwule Comisetti".
Und dann kommt Gil. Nach etwas mehr als 72 Minuten läuft er bekleidet auf den Rasen, nach etwas mehr als 78 Minuten läuft er mit nacktem Oberkörper über die Leichtathletikbahn am Spielfeldrand. Dazwischen liegt ein geniales Tor, bei dem er den Ball über Verteidiger und Goalie ins Tor schlägt. 1-0! Das Stadion tobt!
Gefeiert wird und gerechnet. YB ist gewiss ĂĽberholt, aber ob es national fĂĽr Platz 3 reicht? Wie steht es in Wil? 9-3! Da wird gejubelt. Denn damit scheint der 3. Platz in der Tabelle wirklich fĂĽr diesen Spieltag gesichert zu sein. Kann denn Wil noch mehr Tore schiessen?
Gezittert wird plötzlich aber auch. Zum einen, weil ein paar von uns in bester "Celtic"-Manier uns oben-ohne ausziehen. Bis auf die Schals natürlich. Echt warm diese Wolle. Zum andern zittern wir aber, weil Servette eine Schlussoffensive startet und keck den Ausgleich sucht. Zweimal, dreimal geraten die Thuner in arge Bedrängnis, aber schliesslich wird klar: Die drei Punkte lassen sich die Berner Oberländer nicht mehr nehmen. Und so strömen beim Schlusspfiff Dutzende Fans mit grösster Freude aufs Feld.
Ich dagegen diskutiere mit Jeanette, ganz Gentleman ziehe ich mich zuvor natĂĽrlich wieder an. Sie bettelt mit ihren treuherzigen Augen intensiv darum, den ausgeliehenen Schal behalten zu dĂĽrfen. Ich lasse mich ĂĽberzeugen.
So verlasse ich halt das Stadion nur mit zwei Schals, dafür umkreist von jeder Menge Thun-Freunden. Der Fussballtag ist nämlich noch nicht zu Ende, im Haus meiner Eltern lade ich zum gemeinsamen Schauen des Fernsehspiels GC-Luzern ein. Gewinnen da nämlich die Zürcher, kann Thun echt realistisch für die Finalrunde planen. Doch die liegen erst zurück, gleichen aus, geraten in Bedrängnis und... einige Biere später... schiessen schliesslich zwei Tore zum 3-1. Da ist unser Jubel gross, selbst das abschliessende 3-2 kann unsere Freude nicht mehr stoppen. Nur ein Details nervt ein klein klein bisschen. Da der FC Wil schlussendlich 11-3 gegen Pfui St. Gallen gewinnt, klettert Thun nur auf Platz 4. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Nein, in Thun kommt Hochmut gewiss nicht vor dem Fall.

Matthias Engel