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Thun - Winterthur 1-0
07.05.2002Auf-/Abstiegsrunde 2001/2002


Schlaflos sind sie die Nächte vor dem Spiel. Samstag auf Sonntag träumt es mir gar wild und hitzig, Sonntag auf Montag esse ich noch bis halb drei Uhr früh tonnenweise Spaghetti um beschäftigt zu sein und Montag auf Dienstag lenke ich mich mit dem Lesen einer abstrusen Zeitreisestory ab. Noch nervöser sind gar die Tage. Da steige ich gar in den eiskalten See im Strandbad, um endlich zu einem kühlen Kopf zu kommen. Doch das ist ebenso keine Lösung gegen mein ununterbrochenes Nervenflattern wie das Putzen einer Viereinhalb-Zimmerwohnung. Kurzum muss ich ganz einfach möglichst früh im Stadion sein an diesem Dienstag, 7. Mai, der Thun verändern soll.
Ein hoher Sieg gegen Winti würde den FC Thun das erste Mal seit den Fünfziger Jahren wieder in die NLA versetzen. Und überraschend viele Thuner, Oberländer, Berner und sonstige Fussballfreunde verspüren die Einzigartigkeit dieser Möglichkeit und so strömen sie zu Tausenden ins Stadion. Bereits um 17.30 Uhr, zwei Stunden vor Anpfiff, sind die Schlangen vor den beiden Kassenhäuschen äusserst lang.
Uns langjährigen Fans bleibt dank Saisonkarten diese Zeitverzögerung erspart, so dass wir bald einmal lärmen und festen können im Stadion. Nie zuvor hatten wir dabei mehr Fahnen, unter anderem auch eine Kosova-Fahne, die uns der Speaker in Ramas Auftrag anvertraut. Und auch unsere Kleidung ist aufstiegsgerecht. Wir sind in Dress, Schals, Caps und vieles mehr eingehüllt, wobei Iris eindeutig den besten Look hat. Sie hat wohl erkannt, dass in diesem Monat in der Harald Schmidt-Show der Pumuckl der Liebling des Monats ist. Und so steht sie ganz rot am Spielfeldrand, rotes Tenu, rote Wangen, rotbesprayte Haare - sensationell!
Dabei in unserem Sektor ist auch einige Promis. Wie der Pressegott Marc Bächler, der in einigen Wochen im Berner Landboten auch unseren Münsinger Freunde von den
Thuner Heldentaten erzählen wird. Dank meinem Schal vergisst er glücklicherweise bald einmal seinen eigentlichen Lieblingsverein BSC Young Boys. TEARS-Fanclubheld und Big Brother-Tausendsassa Grünig dagegen ist etwas schwerer von der Tatsache zu überzeugen, dass der FC Thun DER Verein des Kantons Bern ist. Aber wir wollen nicht allzu stark missionieren, denn schliesslich hat seine Anwesenheit einen Vorteil: Einer seiner Kumpels verfolgt zeitgleich den Match in Aarau und versorgt uns mit hoffentlich positiven Meldungen.
Doch vorerst wollen wir uns mal auf das Thuner Spiel konzentrieren. Unter grossem Jubel laufen die Mannschaften ein. Der Schiri pfeift und dann laufen plötzlich nur noch die Thuner. Frisch und frech spielen sie die Winti-Spieler an die Wand und kommen von der ersten Minute an zu grandiosen Torchancen. Aber Chancen sind nicht gleich Tore und verfluchen wir beispielsweise nach fünf Minuten einen Pfostentreffer. Es soll nicht der letzte Torumrandungsberüher gewesen sein.
Irgendwie werden all die Spielszenen vor meinen Augen langsam zu einem Gemälde namens "Die nicht verwertete Thuner Torchance". Fiebrig verbleibe ich dennoch mit grössten Hoffnungen im Aufstiegswahn - bis Grünig die 1-0 Führung des FC Aarau vermeldet. Und für wenige Minuten zumindest steht der FCT jetzt unter dem Strich. Und es kommt fast noch schlimmer. Winti kommt wenig später zu seiner ersten dicken Torchance. Doch Kobel rettet Gott sei Dank souverän. Und dann kommts zu einem unscheinbaren Gegenangriff, mit ein paar schönen Pässen, einem schönen Spurt von Rama und einem recht weiten, flachen Schuss in die rechte Torecke. Der Ball sitzt, Thun führt, 1-0! Der Jubel im Stadion ist unbeschreiblich. Der Oberländer Aufstiegsexpress rollt in höllischem Tempo seinem Ziel entgegen, weitere Tore scheinen nun nur noch Formsache zu sein. Doch soweit kann es erst in Halbzeit Zwei kommen, da die restlichen Spielminuten in Halbzeit 1 ohne weitere grosse Torchancen verstreichen.
In der Pause wird etwas Buchhaltung gemacht. Thun liegt ein Tor vor Aarau und zwei Punkte vor Délemont, das in Lausanne auch 1-0 in Führung liegt. Es sieht also ganz danach aus, dass nach Spielschluss eine ganz ganz grosse Party in Thun steigen wird.
Doch dann kommt die zweite Halbzeit, die anders als manche zuvor absolut nicht magisch ist. Winti spielt nämlich nun wacker mit und kommt immer wieder zu guten Torchancen. Gross sind jeweils unsere Seufzer, Stöhner und Durchschnaufer, wenn wieder solch ein Angriff abläuft. Die Thuner dagegen, nun mit Adrian Moser als
weiterem Vollstrecker auf dem Spielfeld, spielen auch ordentlich offensiv. Pfostentreffer, Lattentreffer, Danebentreffer - es ist wie verhext, der Ball will einfach nicht mehr hinein.
Die Zeit läuft, noch für Thun. Doch als wir die Thuner Viertelstunde anzählen und es immer noch 1-0 steht, sind viele von uns harten Fans vor Angst am Zittern. Und da folgt der befürchtete K.O.-Schlag: Der FC Aarau schiesst gegen Xamax das 2-0 und hüpft einfach so über den Strich.
Nur will das nicht jeder wahrhaben. Grünig erzählt irgendeinen Mist über die Direktbegegnungen, die doch für Thun sprächen. Sascha glaubt gar, dass die Thuner immer noch das bessere Torverhältnis haben. Ich dagegen weiss, es ist bitter und wahr, dass momentan die Anzahl geschossener Tore entscheidend ist und da ist Aarau schlichtweg besser.
Frustriert schreien wir die Wut aus unseren Köpfen, geben noch einmal wie die Spieler alles. Lautstark brüllen wir gegen den Verbleib in der NLB und in diesem Moment schnappt sich Freddy Chassot den Ball. Nicht hier, sondern in Aarau. Er rennt durchs Mittelfeld an Freund und Feind vorbei und schliesst schliesslich seine Aktion mit einem satten Weitschuss ab. Hürzeler, der den Ball nicht kommen sieht, ist geschlagen. Aarau - Xamax steht damit fünf Minuten vor Schluss 2-1. Aarau ist im Elend...
wir Thuner dagegen, sobald wir alle die Meldung hören und nach anfänglicher Skepsis schliesslich auch glauben, brechen in Freudentaumel aus.
Nachspielzeit. Thun ist dem 2-0 jetzt ganz fern, vielmehr müssen die Latour-Giele aufpassen, dass sie nicht noch den Ausgleich bekommen. Nur so unter uns: So nervös und uneffizient wie heute haben die Thuner schon lange nicht mehr gespielt. Aber was zählt denn heute schon die Leistung... denn da ist der Schlusspfiff!
Alle rennen wir aufs Spielfeld. Umarmen uns, küssen uns. Uns sind dabei Fans, Betreuer, Funktionäre, Spieler, einfach alle. 4922 Zuschauer sind ganz im Aufstiegsrausch.
Mich hats ganz schlimm erwischt. Ich schnappe mir die gelbe Eckfahne und jubiliere damit immer wieder übers Spielfeld. Hier ein Schlachtruf, da eine Umarmung, da ein spontaner Freudentanz. Ein Becher Bier wird mir geschenkt, es gibt ohnehin Freibier im Stadion, weshalb der erste nicht mein letzter Becher bleibt. Auch eine Zigarre darf ich entzünden, dem unbekannten Kumpel sei Dank. So sieht mich denn auch die ganze Fussballschweiz auf SF2 bei zwei Interviews hinter Rama und Latour in meinem ganzen Aufstiegswahn.
Daneben nehme ich mir auch noch ein bisschen Zeit für einen Schwatz mit denn doch tatsächlich zahlreich angereisten Winti-Fans. Trotz aller Wortgeplänkel in den vergangenen Monaten wird dabei klar, dass wir auf beiden Seiten keine Hooligans sind.
So übergebe ich meine Eckfahne denn auch alsbald Securityheld Reto und ziehe mit Sascha und Marc, der einstige YB-Fan erweist sich nach 10 Bier urplötzlich als heissblütiger Thun-Anhänger, in die Innenstadt. Wir schreien, Autos hupen, alles ist perfekt. Die Aufstiegsfeier nimmt auf dem Rathausplatz und im Hardy's ihre Fortsetzung, wobei ich aus Sicherheitsgründen nur auf den Stühlen und nicht gleich auf dem Tisch tanze. Langsam werde ich überaus heiser und auch ein klein bisschen blau. Die Erinnerungen schwinden da langsam und irgendeinmal wache ich dann morgens mit schlechter Gesundheit, aber ganz viel Freude auf.

U MIR SIE D'UFSTIGERJUNGS,
D'UFSTIGERJUNGS
NIE MEH NATI B
NIE MEH NATI B.

Matthias Engel