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Thun - Xamax 1-1
14.09.2002NLA Qualifikation 2002/2003


Hmmmmm. Was für ein Duft. Da gerate ich viel mehr ins Schwärmen, als wenn ich der neuen Miss Schweiz Nadine Vinzent in die Augen blicke. Der Duft dieses eigentlich unscheinbaren weissen T-Shirts berauscht. Für die Augen sichtbar sind einzig zwei auffällige Details. Die braune Schminke am Kragen und der tragisch-naive Aufspruch auf der Vorderseite: "Heimweh nach vorher."
Nicht alle in Thun und rund um Thun erleben derzeit den Herbst ihres Leben. Nicht alle Berner Oberländer und Herzogenbuchser können wegen ein paar Fussballsiegen des FC Thuns all ihre Alltagssorgen vergessen. Wie fühlt sich wohl Tamara Roth, die junge Blumensteinerin, die seit einem schweren Velounfall im letzten Jahr gelähmt ist, wenn sie heute ins Stadion rollt. Wenn sie am Eingang einen Stand der Wirtschaftschule sieht, wo für sie gesammelt wird. Wenn sie während der Halbzeitpause über den Rasen rollen muss und befragt wird über ihr Schicksal, ihr Befinden und ob sie denn überhaupt Thun-Fan sei. Irgendwie wünscht man sich da, der Blick hätte heute dieses Thema auf den Sportseiten aufgegriffen und nicht zweideutige Zeilen über die ramamassierende Masseuse geschrieben. Wobei - die Story ist natürlich Kult. Genau so wie die grosse Frontstory, die Latour auf einem Rasenmäher zeigt - und alle wilden Thun-Spielern darum herum.

"Sensations-Aufsteiger Thun: Sie mähen die Liga nieder!"

Was es nicht alles gibt über den FC Thun heute. Auch die Fanartikel-Palette weist wieder Neuerungen auf. Bereits die zweite Schal-Kreation der Saison wird verkauft, nach 50 Schals mit schwarzen FC Thun-Aufschriften auf rotem Hintergrund gibts nun Schals mit weissen FC Thun-Aufschriften zu kaufen. Die sehen in meinen Augen irgendwie wie Kopien der Frutiger-Werbebanner aus, weshalb ich erst einmal vom Kauf Abstand halte. So gehts auch Jeanette. Obwohl so ganz in schwarz, wie sie daher kommt, hätte sie ein rot-weisses Outfit ganz dringend nötig. Doch sie will unbedingt noch einen legendären Wollschal kaufen. Ein Ding der Unmöglichkeit? Nein! Mit ihrem Charme bringt sie den Verkäufer dazu, nach dem Schal im Liniger-Schaufenster in Spiez Ausschau zu halten. Da sind meine Wünsche schon viel bescheidener. Ich kaufe eines von nur zwei FC Thun-Figürchen. Das andere hat der Thun-Präsi, meins hat jetzt meine Mama. Und ich kaufe einen Stapel unterschriebener FC Thun-Autogrammkarte. Denn auf der Rückseite des Bildes der Masseuse steht ihre Natelnummer!
Dann will ich rein ins Stadion mit meinen Kumpels, doch die Security leistet gute Arbeit und findet inmitten meiner grossen Fahnen- und Transparentensammlung tatsächlich drei zufällig (!?) dort gelagerte Bierbüchsen. Umschüten in Becher ist angesagt. Was tut man nicht alles des Stadionfriedens zu Liebe.
Schliesslich beginnt der Match und wir Fans erhoffen uns einmal mehr einen Sieg von der Thuner Mannschaft. Das Spiel entwickelt sich aber eher träge, die Thuner haben leicht mehr Spielanteile, aber das wohl auch nur, weil sich ein sicheres Xamax sehr defensiv verhaltetet. Schnell wird klar, dies wird ein Spiel mit ganz wenig Toren. Helfen kann da eigentlich nur eine weitere brillante Aktion von Topskorer Rama. Und tatsächlich, nach 25 Minuten trifft er einmal mehr. Das neunte Mal in der Saison! Gross ist der Jubel!
Doch das ist kein Startschuss für einen Sturmlauf. Xamax spielt weiterhin abwartend, Thun findet die Wege in den Neuenburger Strafraum weiterhin selten. So versuchts man halt auch mit Weitschüssen. Ein Riesenball fliegt kurz vor Pause aufs Xamax-Tor zu, leider bloss als Lattenkratzer. Zur Pause stehts also 1-0.
3400 Zuschauer sind im Stadion. Darunter auch eine junge Frau, die mir Mätthu vorstellen will. "Kennst du die noch?" Ich reagiere leicht empört, denn wie kann man die Powerfrau (schon damals) und Panzerfrau (erst jetzt) Samantha jemals vergessen. Dann doch schon vielmehr jene Wenger-Familie, die einmal mehr unentschuldigt dem Stadion fern bleibt...
Halbzeit Zwei bringt noch mehr gemächlich-langweiligen Fussball. Einzig Moser junior bringt ab Minute 58 ab und zu etwas Schwung ins Spiel, doch Emotionen gibts eigentlich nur, wenn der eigentlich gute Schiri ab und zu gegen Thun entscheidet. So lau ist der Match.
Eine Standardsituation ist es schliesslich, die in der 69. Minute den Ausgleich bringt. Leandro knallt einen für Kobel unhaltbaren Freistoss ins Netz. Nun drängt Xamax tatsächlich etwas verhalten auf Sieg, doch in diesem Spiel fast ohne Torchancen gelingt auch den Neuenburgern kein Treffer mehr. Das Spiel endet 1-1, Thun bleibt ein weiteres Mal ungeschlagen - notabene bei einem Treffen mit einem Team, das überaus effektiv gespielt hat. Grundsätzlich aber kann man dieses Gekicke von heute ganz ganz schnell vergessen.
Bleibt die Sache mit dem T-Shirt. Als wir aus dem Stadion schlendern, ist da immer noch dieser Stand der Wirtschaftsschule, wo ein paar Mädels (die Knaben liessen sich wohl nicht nur Artbeit während eines Fussballspieles überreden) marktschreierisch weiter Geld für Tamara Roth sammeln. Für zwei Franken nur preisen sie Eisteeflaschen an. Sascha macht von diesem Angebot Gebrauch, doch die durchaus charmante Schönheit kann mich mit dem graziösesten Augenklimpern nicht zu einem Kauf bewegen. Da sie einfach nicht locker lässt, mache ich halt im Stile des Feilschens ein Gegenangebot: "Ich zahle zehn Franken für dein T-Shirt!" Die Antwort von ihr kommt spontan und überraschend: "Gut!" Und schon zieht sie sich aus. Wer jetzt böses denkt... es ist Herbstwetter und unter dem Shirt kommt noch nicht gleich der BH zum Vorschein. Und doch, dieser körpernahe Duft. Einzig der Spruch, "Heimweh nach vorher"... was den FC Thun anbelangt, kann ich diesen Wunsch nicht unterschreiben. Thun-Fan zu sein war niemals schöner. Mögen wir diese guten Zeiten noch lange in Erinnerung behalten, denn es werden auch einmal wieder schlechtere auf uns zu kommen.

Matthias Engel